JudikaturVwGH

Ra 2023/18/0341 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger, Dr. in Sabetzer und Dr. Kronegger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M B, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Mag. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2023, W191 2201882 2/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I. (Zurückweisung des Folgeantrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben zugehöriger Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 21. Dezember 2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welchen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 23. Juni 2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abwies. Es erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 11. März 2021 rechtskräftig ab.

3 Am 30. Dezember 2021 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Seine „alten“ Fluchtgründe seien weiterhin aufrecht. Überdies sei sein Leben als ehemaliger afghanischer Polizist seit der Machtübernahme der Taliban nun auch deswegen in Gefahr, weil die Taliban ehemalige Polizisten verhaften und foltern würden.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das aufgrund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Folgeantrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zurück, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

5 Begründend führte das BVwG zur Zurückweisung hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten aus, es liege eine entschiedene Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG vor. Der Revisionswerber habe den Folgeantrag mit der Lageänderung im Herkunftsstaat, nämlich der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, begründet. Er habe als „ehemaliger afghanischer Polizist“ mit dem „früheren Regime“ zusammengearbeitet, weshalb seine Fingerabdrücke sowie Personalien „im System“ registriert seien. Es werde nicht verkannt, dass die Taliban nun Zugang zu diesen Daten hätten und diese zur Identifizierung von möglichen Gegnern nutzen könnten. Aus den Länderfeststellungen lasse sich jedoch „aus der ehemaligen Tätigkeit in der Polizeiakademie“ selbst im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse in Afghanistan nicht per se eine (neue) asylrelevante Verfolgungslage für „jeden ausgebildeten Polizisten“, somit auch für den Revisionswerber erkennen. Sein (weiteres) Fluchtvorbringen sei im Vorverfahren als unglaubhaft beurteilt worden und würden sich gegenständlich keine neu hinzugekommenen, individuellen asylrelevanten Umstände erkennen lassen.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich gegen die Zurückweisung des Folgeantrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, der Sachverhalt habe sich im gegenständlichen Fall schon insoweit geändert, als nunmehr in Afghanistan die Taliban herrschten und somit die behauptete Verfolgung des Revisionswerbers anhand der neuen Gegebenheiten in Afghanistan zu beurteilen sei. Sein relevantes Fluchtvorbringen laute, dass er als ehemaliger Schüler einer afghanischen Polizeiakademie und somit ehemaliger Mitarbeiter des vormaligen Regimes besonders gefährdet sei und seitens der Taliban verfolgt werde. Bei diesem Vorbringen könne angesichts der Gegebenheiten in Afghanistan keinesfalls davon gesprochen werden, dass dem keine asylrelevante Bedeutung zukommen würde. Ob das Fluchtvorbringen glaubwürdig und schlüssig sei, sei alleine Gegenstand einer inhaltlichen Entscheidung.

7 Das BFA erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

9 Es entspricht im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, an den eine positive Entscheidungsprognose im obigen Sinne anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 5.7.2023, Ra 2021/18/0270, mwN).

10 Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall, im dem das BVwG im Säumnisverfahren anstelle des BFA für die Entscheidung über den Folgeantrag zuständig war, übertragbar.

11 Im Revisionsfall legte das BVwG dem angefochtenen Erkenntnis die im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde und stellte damit fest, dass sich die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 grundlegend verändert hätten. Aus diesen Berichten ergibt sich u.a., die Taliban hätten offiziell eine „Generalamnestie“ gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und ehemaligen Sicherheitskräften angekündigt, jedoch berichteten Menschenrechtsorganisationen über Entführungen, Ermordungen und andere Arten der Verfolgung von Angehörigen des ehemaligen Sicherheitsapparates durch die Taliban.

12 Das BVwG zog auch nicht in Zweifel, dass der Revisionswerber vor der Machtübernahme durch die Taliban eine Ausbildung zum Polizisten absolviert hat und in einer Polizeiakademie tätig gewesen sei.

13 Ungeachtet dessen verneinte es einen relevant geänderten Sachverhalt, der eine neue inhaltliche Beurteilung des Folgeantrags rechtfertigen könne. Damit verkennt das BVwG, dass sich der Sachverhalt auf der Grundlage der oben dargestellten Feststellungen seit der Machübernahme der Taliban durchaus geändert hat und die Frage, ob dem Revisionswerber nunmehr anders als vor dem Machtwechsel aufgrund seiner Tätigkeit in einer Polizeiakademie im Staatsgefüge der früheren afghanischen Regierung asylrelevante Verfolgung droht, in einem inhaltlichen Asylverfahren geklärt werden musste.

14 Da das BVwG den Folgeantrag somit in Bezug auf den begehrten Asylstatus zu Unrecht wegen entschiedener Sache zurückwies, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes im Anfechtungsumfang aufzuheben.

16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und Z 6 VwGG abzusehen.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. Dezember 2024

Rückverweise