JudikaturVwGH

Ra 2023/18/0338 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des H K, in Attnang Puchheim, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2023, L507 2255873 1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 22. Juni 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung brachte er zusammengefasst vor, ihm drohe bei einer Rückkehr Verfolgung durch die türkische Regierung. Ihm werde unterstellt, regierungskritische Facebook Postings veröffentlicht zu haben. Er sei tatsächlich Sympathisant der kurdischen Oppositionspartei Halklarin Demokratik Partisi (HDP). „Seine Onkel“ seien Mitglieder der HDP gewesen und hätten sich deshalb in Haft befunden. Gegen den Revisionswerber selbst werde in der Türkei ein Strafverfahren geführt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit der Maßgabe von Modifikationen der Spruchformulierung zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3 Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber sei zwar im Jahr 2017 in seinem Herkunftsort von der Gendarmerie zu regimekritischen Einträgen auf einem Facebook Profil, das den Namen des Revisionswerbers getragen habe, befragt worden. Allerdings sei gegen ihn in der Türkei keine Anklage erhoben worden und kein Strafverfahren anhängig. Er sei kein Mitglied der HDP und dies auch nie gewesen. Im Fall einer Rückkehr in die Türkei sei er nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit willkürlicher Gewaltausübung, willkürlichem Freiheitsentzug oder exzessiver Bestrafung ausgesetzt.

4 In der Beweiswürdigung hielt das BVwG fest, der Revisionswerber habe trotz Aufforderung seitens des BVwG keine Dokumente zu dem behaupteten Gerichtsverfahren in der Türkei etwa aus der Datenbank des türkischen Justizministeriums „e Devlet“ vorgelegt, obwohl der Revisionswerber nach seinem eigenen Vorbringen über eine Rechtsvertretung in der Türkei verfüge. Wenn auch die polizeilichen Ermittlungen gegen den Revisionswerber im Jahr 2017 aufgrund des vorgelegten Protokolls über eine Einvernahme glaubhaft seien, habe sich der Revisionswerber in Bezug auf die behaupteten späteren polizeilichen Einvernahmen vor dem BFA einerseits und dem BVwG andererseits selbst widersprochen, etwa über deren Anzahl. Dass der Revisionswerber eine Verfolgung aufgrund politischer Tätigkeiten seiner Onkel zu befürchten habe, sei nicht glaubhaft, weil er dies erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht habe und er sich im Laufe des Verfahrens hinsichtlich der Frage, welche Rolle die Onkel in der HDP innegehabt hätten, widersprochen habe. Aufgrund der Länderberichte bestünden zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Revisionswerber eine Verfolgung drohe, nur weil er HDP Sympathisant sei, ohne eine besondere Stellung in der HDP eingenommen zu haben oder einzunehmen.

5 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, indem das BVwG die Dokumente betreffend das Strafverfahren gegen den Revisionswerber aus „e Devlet“ nicht amtswegig beschafft habe, habe es die Mitwirkungspflicht des Revisionswerbers überspannt. Die Beweiswürdigung des BVwG sei unvertretbar, weil es außer Acht gelassen habe, dass der Revisionswerber angesichts des Umstandes, dass seine Onkel als Mitglieder der HDP aus politischen Gründen in Haft gewesen seien, aufgrund der Sippenhaftung in einem autoritären Staat wie der Türkei von Verfolgung bedroht sei.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision moniert zunächst, das BVwG habe seine Ermittlungspflichten im Zusammenhang mit der Beschaffung der Dokumente betreffend das Strafverfahren gegen den Revisionswerber aus „e Devlet“ (einer türkischen E Government Datenbank) verletzt, weil es diese nicht amtswegig etwa unter Beiziehung eines Vertrauensanwaltes beschafft habe. Das BVwG habe die Mitwirkungspflicht des Revisionswerbers überspannt.

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 27.3.2023, Ra 2023/18/0082, mwN) stehen eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen. Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, wie etwa polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen. Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt.

12 Eine Mitwirkung des Revisionswerbers an der Feststellung des behaupteten Strafverfahrens in der Türkei war daher erforderlich. Dazu gewährte das BVwG dem Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 eine Frist von vier Wochen, um entsprechende Unterlagen aus der Türkei zu beschaffen und vorzulegen. Mit Eingabe vom 16. März 2023 teilte der Revisionswerber zwar mit, sein Rechtsanwalt in der Türkei habe die Unterlagen nicht zeitgerecht beschaffen können und er werde versuchen, diese über Beauftragung eines anderen Rechtsanwaltes zu bekommen, bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am 19. Juli 2023 erfolgte jedoch keine Beweismittelvorlage. Bei dieser aktenkundigen Ausgangslage vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Mitwirkungspflichten des Revisionswerbers überspannt worden wären und dem BVwG ein relevanter Verfahrensmangel unterlaufen wäre.

13 Soweit sich die Revision gegen die vom BVwG vorgenommene Beweiswürdigung richtet, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 7.8.2023, Ra 2023/18/0139, mwN).

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Verhandlung durchgeführt und den Revisionswerber zu seinen Fluchtgründen befragt. Es hat sich ausführlich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und dessen Unglaubhaftigkeit aufgrund zahlreicher Argumente angenommen. So habe der Revisionswerber abgesehen von der durch Vorlage eines Protokolles bewiesenen polizeilichen Einvernahme im Jahr 2017 vor dem BFA und dem BVwG jeweils unterschiedliche Angaben zu den behaupteten wiederkehrenden Einvernahmen durch die Polizei gemacht. Weiters habe er Verfolgungsmomente im Zusammenhang mit seinen vermeintlichen Aktivitäten auf sozialen Medien nur vor dem BFA und nicht (mehr) vor dem BVwG vorgebracht. Stattdessen habe er in der mündlichen Verhandlung sein Vorbringen dahingehend ausgewechselt, dass ihm eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit seiner Onkel zur HDP, weshalb sich diese in Haft befunden hätten, drohe, wobei der Revisionswerber nicht einmal angeben habe können, welche Positionen die Onkel in der HDP gehabt hätten. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts in ihrer Gesamtheit unvertretbar wären, zeigt die Revision nicht auf.

15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. Oktober 2023

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