JudikaturVwGH

Ra 2023/18/0204 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. September 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision des M D, vertreten durch Mag. Philipp Zigling, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2023, W218 2261651 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, beantragte am 27. September 2021 internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, er habe im Jahr 2012 an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen, weshalb sein Name „vermerkt“ worden sei. Zudem sei er als Reservist für den syrischen Militärdienst einberufen worden, wolle jedoch weder für die syrische Regierung, noch für die kurdischen Oppositionellen, welche die Kontrolle über seinen Heimatort hätten, kämpfen.

2 Mit Bescheid vom 21. September 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab. Gleichzeitig gewährte es dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG soweit für das Revisionsverfahren von Belang aus, der Revisionswerber habe seinen Militärdienst für das syrische Regime bereits abgeleistet und dabei keine besonderen Fähigkeiten erworben. Aus den Aussagen ergebe sich, dass der Revisionswerber bisher keinen Einberufungsbefehl erhalten habe. Angesichts seines Alters und seiner mangelnden speziellen Qualifikationen sei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr vom syrischen Regime (erneut) einberufen werde. Sofern der Revisionswerber vorgebracht habe, in der Vergangenheit an Demonstrationen teilgenommen zu haben, habe er selbst verneint, dass ihm unmittelbar deshalb Probleme entstanden wären; er habe sich nach diesen über zehn Jahre zurückliegenden Ereignissen noch jahrelang an seiner Adresse aufhalten können. Zur Befürchtung des Revisionswerbers, aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem ehemaligen syrischen Botschafter, welcher sich gegen das Regime gestellt habe, belangt zu werden, führte das BVwG aus, dass außer demselben Nachnamen keine Hinweise auf eine Verwandtschaft vorlägen, die Berichte über die Aktivitäten des ehemaligen Botschafters bereits aus 2012 stammten, der Revisionswerber noch bis 2021 in Syrien gelebt habe und nicht anzunehmen sei, dass dem Revisionswerber in diesem Zusammenhang eine aktuelle Verfolgungsgefahr drohe.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit geltend gemacht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sei. Entgegen den Annahmen des BFA und des BVwG sei der Revisionswerber bereits 2013 aus Syrien in die Türkei ausgereist, was sich unter anderem aus seinen Aussagen sowie seinem vorgelegten Reisepass ergebe. Zudem habe das BVwG die Länderfeststellungen gegenüber jenen des BFA aktualisiert und es sei diesen nun zu entnehmen, dass die syrische Regierung auch in Gebieten unter kurdischer Kontrolle Personen einberufe. Ferner habe sich das BVwG in unzulässiger Weise auf die Aussagen des Revisionswerbers in seiner Erstbefragung gestützt und insgesamt nicht nachvollziehbar dargelegt, warum dem Revisionswerber nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Einberufung zum Reservedienst drohe. Letztlich sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach der Bestrafung, welche Wehrdienstverweigerern drohe, asylrechtliche Bedeutung zukommen könne.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Revision mit dem Vorbringen, das BVwG habe nicht ausreichend begründet, warum keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit bestehen sollte, dass der Revisionswerber bei seiner Rückkehr zum Reservedienst des syrischen Militärs einberufen werde, erkennbar gegen die Beweiswürdigung wendet.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist somit nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 10.5.2023, Ra 2022/18/0279, mwN).

12 Das BVwG stützte sich wie schon das BFA auf Länderberichte, wonach in die syrische Armee Reservisten bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen sowie vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren eingezogen werden würden, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen könnten, und wies davon ausgehend darauf hin, dass sich der Revisionswerber bereits im 45. Lebensjahr befinde und er kein Spezialwissen im Rahmen seiner Grundausbildung erworben habe. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Revisionswerber zum Reservedienst in der syrischen Armee einberufen werde. Die Revision vermag mit dem bloßen Hinweis auf Aussagen in Länderberichten, denen zufolge fallweise abhängig vom Rang auch Männer über den genannten Altersgrenzen eingezogen würden, nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre.

13 Nur im Zusammenhang mit der behaupteten Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung macht die Revision auch eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend, weil das BVwG seinen Länderfeststellungen ein aktualisiertes Länderinformationsblatt zugrunde gelegt habe, ohne darüber verhandelt zu haben. Aus diesem Länderinformationsblatt ergebe sich, dass die syrische Regierung nun auch in Gebieten unter Kontrolle kurdischer Gruppierungen Personen einberufen könne.

14 Mit diesem Vorbringen stützt sich die Revision auf eben jene Länderfeststellungen, deren Einbeziehung in das Verfahren (ohne mündliche Verhandlung) sie gleichzeitig als unberechtigt rügt. Schon darin liegt ein Widerspruch, der in der Revision nicht weiter aufgeklärt wird. Ungeachtet dessen lässt die Revision außer Acht, dass sowohl das BVwG als auch schon das BFA gestützt auf dahingehend unverändert gebliebene Länderberichte die Rekrutierungsgefahr für den Revisionswerber mit einer Begründung verneint haben, die von der angesprochenen Lageänderung unabhängig ist. Die Revision vermag daher nicht darzutun, dass eine Verhandlung wegen der aufgezeigten Umstände iSd § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG und der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018) hätte stattfinden müssen.

15 Dem Revisionsvorbringen, das BVwG habe dem Revisionswerber entgegenhalten, dass er das letztlich als unglaubhaft beurteilte Vorbringen, er habe an Demonstrationen teilgenommen und stehe in einem Verwandtschaftsverhältnis zu einem Botschafter, der sich regimekritisch geäußert habe, noch nicht im Rahmen der Erstbefragung angegeben habe, ist einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich etwa auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 29.8.2022, Ra 2022/18/0135, mwN). Darüber hinaus stützte sich das BVwG wie bereits eingangs dargestellt beweiswürdigend maßgeblich auf das Argument, dass der Revisionswerber Probleme aufgrund seiner behaupteten Demonstrationsteilnahme verneint habe und die geschilderten Ereignisse bereits mehr als zehn Jahre zurückliegen würden, was gegen eine aktuelle Verfolgungsgefahr spreche. Dem hält die Revision entgegen, es wäre für das BVwG erkennbar gewesen, dass die vom Revisionswerber ausgesagte Ausreise aus Syrien erst im Jahr 2021 auf einem Missverständnis beruht habe. In Wirklichkeit sei er bereits im Jahr 2013 in die Türkei ausgereist, was sich aus einzelnen näher umschriebenen Umständen ergebe. Außerdem legte die Revision einen (angeblichen) Auszug aus dem syrischen Strafregister in arabischer Sprache vor, aus dem sich nach dem Revisionsvorbringen ergeben soll, dass der Revisionswerber des Verbrechens der Teilnahme an Demonstrationen und Hetze gegen den Staat beschuldigt werde und ihm eine Gefängnisstrafe für die Dauer von sieben Jahren drohe. Diesen Auszug habe sich der Revisionswerber mittlerweile „über Kontakte, die sich einer anwaltlichen Unterstützung in Syrien bedient haben, organisieren“ können.

16 Soweit die Revision erstmals auf den angeblichen syrischen Strafregisterauszug verweist, steht einer Berücksichtigung dieses Vorbringens sowie des gleichzeitig vorgelegten Beweismittels das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot im Revisionsverfahren entgegen.

17 Im Übrigen ist der Revision zuzugestehen, dass die Aussagen des Revisionswerbers zum Aufenthalt in der Türkei in der Zeit zwischen 2012 und 2021zeitlich nicht vollkommen konsistent waren. Allerdings sagte er vor dem BFA unmissverständlich aus, seine (endgültige) Flucht aus Syrien auf illegalem Weg im Februar 2021 begonnen zu haben und sich von Februar bis September in der Türkei aufgehalten zu haben, ehe er nach Europa weitergereist sei. Bereits das BFA ging in seiner Entscheidung von diesen Angaben des Revisionswerbers aus, denen in der Beschwerde an das BVwG auch nicht entgegengetreten wurde. Dass das BVwG bei dieser Ausgangslage, wie die Revision vermeint, den Ausreisezeitpunkt des Revisionswerbers und die Aufenthaltsdauer in der Türkei näher hätte ermitteln müssen bzw. in seine Beweiswürdigung nicht hätte einfließen lassen dürfen, dass der Revisionswerber nach den Demonstrationen im Jahr 2012 bis in das Jahr 2021 unbehelligt in Syrien gelebt habe, vermag die Revision nicht überzeugend darzutun.

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 8. September 2023

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