JudikaturVwGH

Ra 2023/14/0449 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, in den Revisionssachen 1. der A K und 2. des B K, beide vertreten durch Dr. Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 19. Juli 2023, 1. W247 2269700 1/11E und 2. W247 2269698 1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Die Erstrevisionswerberin ist die Großmutter des Zweitrevisionswerbers. Die revisionswerbenden Parteien (in der Folge: Revisionswerber) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation sowie Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen. Sie stellten am 7. bzw. am 8. Jänner 2022 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), nachdem sie mit einem ungarischen Visum C, gültig von 28. Dezember 2021 bis 19. Jänner 2022, auf dem Luftweg von Moskau nach Ungarn und danach von dort weiter nach Österreich eingereist waren. Während die Erstrevisionswerberin keine eigenen Fluchtgründe geltend machte, begründete der Zweitrevisionswerber seinen Antrag auf internationalen Schutz damit, dass er „zu einer Gruppe von Leuten“ gehöre und in diesem Zusammenhang Probleme mit der Polizei gehabt habe. Weiters befürchte er die Einziehung zum Wehrdienst und Entsendung in den Ukrainekrieg.

2 Mit Bescheiden je vom 1. Februar 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und gewährte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise.

3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten aus, die Erstrevisionswerberin habe abgesehen von ihrer Befürchtung, wegen ihrer Asylantragstellung im Bundesgebiet einer Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt zu sein, keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich auf die Fluchtgründe des Zweitrevisionswerbers bezogen. Letzterem sei es nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihn als Person gerichtete Verfolgung, auch im Hinblick auf die geäußerte Furcht vor der Einziehung zum Wehrdienst, aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe glaubhaft zu machen.

5 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit den Beschlüssen je vom 4. Oktober 2023, E 2744-2745/2023-5, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung abtrat.

6 In der Folge wurden die vorliegenden Revisionen eingebracht.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revisionswerber wenden sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revisionen gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, der Zweitrevisionswerber habe im Herkunftsstaat keine asylrechtlich relevante Verfolgung wegen einer drohenden Einziehung zum Wehrdienst zu befürchten.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 12.10.2023, Ra 2023/14/0097, mwN).

12 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. erneut VwGH 12.10.2023, Ra 2023/14/0097, mwN).

13 Soweit die Revisionen zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe seine eigenen Länderfeststellungen im Zusammenhang mit dem Wehrdienst in der Russischen Föderation unzureichend berücksichtigt sowie es fehle den Länderfeststellungen zur Gefahr eines zwangsweisen Einsatzes des Zweitrevisionswerbers in der Ukraine an Aktualität, machen sie Verfahrensmängel geltend.

14 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 28.6.2023, Ra 2023/14/0073, mwN).

15 Das Bundesverwaltungsgericht verschaffte sich im Rahmen einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck von den Revisionswerbern und befasste sich mit der individuellen Situation des Zweitrevisionswerbers in Bezug auf den Herkunftsstaat. Anhand der dazu getroffenen Feststellungen hat es das Vorliegen einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Zweitrevisionswerbers durch das russische Regime in einer den konkreten Einzelfall betreffenden Beurteilung in vertretbarer Weise verneint. Maßgeblich ging das Verwaltungsgericht unter Berufung auf die hinreichend aktuellen Länderberichte mit näherer Begründung in Bezug auf die persönliche Situation des Zweitrevisionswerbers davon aus, dass er seinen Grundwehrdienst in der Russischen Föderation noch nicht abgeleistet und auch keine Einberufung dazu erhalten habe und die bisherige Teilmobilisierung für einen Einsatz in der Ukraine vor allem Reservisten betroffen habe. Ebenso wenig werde verkannt, dass es nach dem Länderinformationsblatt (LIB) auch zu Fehlern bei der Umsetzung der Teilmobilmachung gekommen sei und auch Personen einberufen worden seien, welche eigentlich von der Teilmobilisierung ausgenommen gewesen seien. Aus dem LIB ergebe sich jedoch keine systematische Missachtung der vorgesehenen Regelungen für die Umsetzung der Teilmobilisierung, weshalb davon auszugehen sei, dass es sich dabei um einzelne Fälle handle. Aktuell gebe es dem LIB zu Folge auch keine Hinweise auf eine Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine.

16 Die vorliegenden Revisionen halten diesen Erwägungen nichts Stichhaltiges entgegen. Sie begegnen den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes mit einzeln aus den Länderberichten herausgegriffenen Passagen und verweisen dabei vor dem Hintergrund der vom Zweitrevisionswerber geäußerten Befürchtungen, keine Möglichkeit zur Ableistung eines Wehrersatzdienstes zu haben und dass es nicht ausgeschlossen sei, als Wehrpflichtiger gezwungen zu sein, in der Ukraine zu kämpfen, auf sich aus den Länderberichten in Einzelfällen ergebende Konsequenzen. Letztlich stellen die Revisionen damit eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios für den Zweitrevisionswerber in den Raum und keine für ihn konkret vorliegende Gefahrenlage, weshalb auch den in diesem Zusammenhang vermissten Feststellungen die erforderliche Relevanz fehlt.

17 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 13.9.2023, Ra 2023/14/0316, mwN).

18 Die Revisionen machen darüber hinaus geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur innerstaatlichen Fluchtalternative abgewichen, da es ohne konkreten Bezug zum Zweitrevisionswerber angenommen habe, dass er in anderen Teilen der Russischen Föderation Sicherheit vor einer Zwangsrekrutierung in Tschetschenien erlangen könne und die Beurteilung, ob die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei, nicht nachvollziehbar sei.

19 Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass es darauf nach dem Vorgesagten nicht mehr entscheidungswesentlich ankommt (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei einer für sich tragenden Begründung VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0064, mwN).

20 Soweit sich die Revisionen auch darauf stützen, dem Zweitrevisionswerber drohe im Zuge des zwangsweisen Einsatzes in der Ukraine aufgrund der zu erwartenden Kampfhandlungen und der Bombardements und sonstigen Gewaltakten auf ukrainischer Seite eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte, entfernen sich die Revisionen vom festgestellten Sachverhalt und vermögen schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. dazu VwGH 29.6.2023, Ra 2023/14/0199, mwN). Aus welchem sonstigen Grund das Bundesverwaltungsgericht mit seiner rechtlichen Beurteilung in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, zeigen die Revisionswerber nicht auf (vgl. zu den Leitlinien der Prüfung, ob ein „real risk“ der Verletzung des Art. 3 EMRK droht, VwGH 19.4.2023, Ra2023/14/0051, mwN).

21 Soweit sich die Revisionen letztlich auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes wenden und ausführen, das Verwaltungsgericht sei im Zusammenhang mit der Relevanz der Angaben des Zweitrevisionswerbers hinsichtlich seiner Probleme mit der Polizei bei der Erstbefragung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der - zur Rechtskontrolle berufene - Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 3.10.2023, Ra 2023/14/0275 bis 0277, mwN).

22 Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhob, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl betonte der Verwaltungsgerichtshof aber, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 1.6.2023, Ra 2023/14/0043, mwN).

23 Die Revisionen übergehen in ihrem diesbezüglichen Vorbringen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht alleine auf Steigerungen zwischen den Angaben in der Erstbefragung und in späteren Einvernahmen gestützt hat, sondern in der gebotenen Gesamtschau überdies Widersprüche zwischen der Einvernahme vor der Behörde und jener vor dem Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführt hat. Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermögen die Revisionen vor diesem Hintergrund nicht aufzuzeigen.

24 In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 12. Dezember 2023

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