JudikaturVwGH

Ra 2023/14/0420 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. November 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, in den Revisionssachen 1. des S N, 2. der Z E, 3. des S N, und 4. der S N, alle vertreten durch Mag. Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2023, 1. W272 2259785 1/15E, 2. W272 2259782 1/13E, 3. W272 2259784 1/13E und 4. W272 2259783 1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind verheiratet und die Eltern des Dritt und der minderjährigen Viertrevisionswerberin. Alle Revisionswerber sind Staatsangehörige des Iran, wo sie bis zu ihrer Ausreise im März 2022 wohnten. Die beiden Eltern stellten am 29. März 2022 für sich selbst und ihre Kinder einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheiden vom 18. August 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber jeweils zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Revisionswerber jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte jeweils fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 30. Mai 2023 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. September 2023, E 2077 2080/2023 10, ablehnte und die Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 Sodann wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen eingebracht, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit in mehreren Punkten die Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung durch das BVwG rügen. Zudem habe das BVwG Feststellungen zur Strafbarkeit des exilpolitischen Verhaltens des Erst und Drittrevisionswerbers und zur Rückkehrsituation des Erstrevisionswerber als ehemaliges Mitglied einer näher genannten, den Revolutionsgarden nahestehenden Gruppierung unterlassen und sich im Rahmen der Rückkehrentscheidung nicht mit der Situation der minderjährigen Viertrevisionswerberin auseinandergesetzt.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 13.9.2023, Ra 2023/14/0316, mwN). Der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 2.5.2023, Ra 2023/14/0118, mwN).

10 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck von allen Revisionswerbern verschaffen konnte, in einer umfangreichen Beweiswürdigung mit sämtlichen Verfahrensergebnissen auseinandergesetzt. Dabei ging das BVwG davon aus, dass das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers vor dem Hintergrund der eingeholten näher genannten Länderberichte und seiner widersprüchlichen Angaben nicht nachvollziehbar sei, ebenso mangle es der behaupteten Verfolgung aufgrund der politischen Gesinnung der Revisionswerber wie behauptet durch Teilnahme an Demonstrationen durch die Zweit bis Viertrevisionswerber und das Weiterleiten von Tweets des Drittrevisionswerbers an Plausibilität. Das Vorbringen zur drohenden Einberufung des Drittrevisionswerbers sei vage und vor dem Hintergrund der Länderinformationen sei keine Bedrohung durch die Einberufung zu erkennen. Das BVwG setzte sich im Rahmen seiner Beweiswürdigung auch damit auseinander, wie es der Zweit- und der Viertrevisionswerberin erginge, wenn sie im Iran den im Entscheidungszeitpunkt gelebten Lebensstil führen würden und kam zu dem Schluss, dass die Zweit- und Viertrevisionswerberinnen eine „westliche Orientierung“, der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent sei, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung in Österreich verankert hätten. Vor diesem Hintergrund betreffe das Vorbringen zur allgemeinen Situation der Frauen im Iran die beiden Revisionswerberinnen, abgesehen von der Pflicht des Tragens eines Kopftuches, nicht.

11 Eine nach dem dargestellten Maßstab unvertretbare Beweiswürdigung zeigen die Revisionen mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das einerseits bloß darauf verweist, dass das BVwG sich mit einzelnen Vorbringen nicht näher bzw. anders auseinandergesetzt habe, und andererseits bloß einzelnen weiteren Argumenten der Beweiswürdigung entgegentritt, nicht auf.

12 Soweit die Revisionen in diesem Zusammenhang Verfahrensmängel hier: Ermittlungs , Feststellungs sowie Begründungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen führen, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 27.2.2023, Ra 2023/14/0035, mwN). Weder werden die Revisionen mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen diesen Anforderungen gerecht noch zeigen sie zu diesen Punkten auf, dass die diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären (zum diesbezüglichen Prüfmaßstab vgl. erneut VwGH 2.5.2023, Ra 2023/14/0118, mwN).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 3.10.2023, Ra 2023/14/0275, mwN).

14 Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2022/20/0382; 9.3.2022, Ra 2022/14/0044 bis 0046, mwN)

15 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen seiner gemäß § 9 BFA VG vorgenommenen Interessenabwägung die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände. Dabei bezog es die Art und Dauer des Aufenthalts der Viertrevisionswerberin in Österreich ebenso mit ein wie den Umstand, dass durch die gemeinsame Ausreise der Familie die wichtigsten Bezugspersonen der Viertrevisionswerberin erhalten blieben und sie weiterhin im gewohnten Familienverband aufwachsen würde. Nach einem Aufenthalt von einem Jahr in Österreich sei auch keine derart bestehende Verwurzelung gegeben, die im Falle einer Rückkehr in den Iran dem Kindeswohl der Viertrevisionswerberin entgegenstehe. Es würdigte darüber hinaus im Rahmen seiner Kindeswohlprüfung und unter Einbeziehung der Rückkehrsituation der Viertrevisionswerberin im Iran alle weiteren für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände, wie etwa den Grad der Integration in Österreich, die Bindungen zum Herkunftsstaat und das anpassungsfähige Alter der Viertrevisionswerberin.

16 Die Revisionen vermögen vor diesem Hintergrund mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass die Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK mit einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangelhaftigkeit behaftet wäre.

17 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. November 2023

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