Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, in den Revisionssachen 1. der L L und 2. des K V, beide vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 13. Jänner 2023, 1. L515 2216088 2/3E und 2. L515 2216089 2/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1 Die Revisionswerber sind georgische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des mittlerweile volljährigen Zweitrevisionswerbers. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte die Erstrevisionswerberin erstmals am 29. November 2018 für sich und den damals minderjährigen Zweitrevisionswerber Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend brachten sie vor, dass der Zweitrevisionswerber krank sei und die für ihn notwendigen Operationen in Georgien nicht durchführbar seien.
2 Mit Bescheiden jeweils vom 22. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit Erkenntnissen je vom 30. August 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet ab und erklärte die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig. Die gegen die Erkenntnisse eingebrachten außerordentlichen Revisionen wurden vom Verwaltungsgerichtshof mit den Beschlüssen vom 4. November 2021, Ra 2021/14/0333 0334, zurückgewiesen.
4 Am 5. Jänner 2022 stellten die Revisionswerber die gegenständlichen zweiten Anträge auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, dass die medizinische Behandlung des Zweitrevisionswerbers in Georgien nicht weitergeführt werden könne, sich dieser bereits in Österreich integriert und in Georgien nicht dieselben schulischen Möglichkeiten wie in Österreich habe.
5 Mit Bescheiden jeweils vom 31. Oktober 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber sowohl hinsichtlich der Zuerkennung der Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei, und legte eine 14 tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt III. VI.).
6 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber mit den Maßgaben als unbegründet ab, dass die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Zudem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 In der Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Revisionswerber im Folgeantragsverfahren behaupteten, es läge weiterhin ein Sachverhalt vor, der die Rückverbringung in ihren Herkunftsstaat nicht zulässig erscheinen ließe. Werde die seinerzeitige Behauptung aufrechterhalten und beziehe sich der Asylwerber auf sie, so liege nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es werde der Sachverhalt bekräftigt, über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei. Im vorliegenden Fall sei in Bezug auf die medizinische Versorgungslage im Wesentlichen nach wie vor von jenen Verhältnissen auszugehen, wie sie zum Eintritt der Rechtskraft der Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2021 vorgelegen seien. Die Revisionswerber hätten auch keine relevante Änderung nachgewiesen. Es ergebe sich im Vergleich zum Vorverfahren daher weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die Revisionswerber betreffende asyl- und abschieberelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in den sonstigen in den Revisionswerbern gelegenen Umstände. Die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz seien daher zurückzuweisen. Auch wenn die Behörde eine inhaltliche Prüfung der Anträge vornehme, stehe es dem Verwaltungsgericht offen, die Beschwerden mit der im Spruch enthaltenen Maßgabe abzuweisen, wenn es zur Einschätzung gelange, dass entschiedene Sache vorliege.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die Revisionen bringen zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, dass im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Sache der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gewesen wäre. Indem das Bundesverwaltungsgericht jedoch die Anträge auf internationalen Schutz (im Rahmen einer Maßgabe) zurückgewiesen und daher nicht inhaltlich entschieden habe, wichen die angefochtenen Erkenntnisse von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu bereits ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag zurückzuweisen hat (vgl. VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, mit Hinweis auf VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050). Dass das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Anträge auf internationalen Schutz zurückwies, obwohl die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl eine Sachentscheidung beinhalten, steht daher grundsätzlich bei weiterer Beachtung des Verfahrensgrundsatzes zu § 68 Abs. 1 AVG im Einklang mit der hg. Rechtsprechung.
13 Gegenstand der vorliegenden Revisionsverfahren ist damit die Frage, ob das Verwaltungsgericht die Anträge der revisionswerbenden Parteien zu Recht im Sinn des tragenden Verfahrensgrundsatzes, wie er sich aus § 68 Abs 1 AVG ergibt, wegen entschiedener Sache zurückwies (vgl. idS erneut VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 28.2.2022, Ra 2022/20/0009; 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, jeweils mwN).
15 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/14/0195 0196, mwN).
16 Im vorliegenden Fall kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass sich die in den Personen der Revisionswerber gelegenen Umstände nicht geändert haben, sich weder aus dem Vorbringen der Revisionswerber noch aus den sonstigen Ermittlungsergebnissen „neue subsidiäre Schutzgründe“ ergeben hätten und keine medizinischen Abschiebehindernisse vorliegen würden. Zudem bestünde in Georgien die Möglichkeit der medizinischen Versorgung des Zweitrevisionswerbers.
17 Diesen Erwägungen, die letztlich vom Vorliegen einer entschiedenen Rechtssache und somit von keiner Änderung des Sachverhaltes ausgehen, setzen die Revisionen nichts Stichhaltiges entgegen und vermögen nicht aufzuzeigen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht von den dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung des Vorliegens der entschiedenen Sache entfernt hätte.
18 Wenn die Revisionen vielmehr darauf verweisen, dass sich sowohl die Behörde als auch das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht auf die offizielle Länderinformation der Staatendokumentation verlassen haben und sie nun auf den Inhalt der von ihnen vorgelegten Urkunden verweisen, wenden sie sich damit gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts.
19 Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen „glaubhaften Kern“ aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2020/20/0425, mwN).
20 Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermögen die Revisionen mit dem pauschalen Vorbringen und dem Verweis auf vorgelegte Urkunden nicht darzutun. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass es hinsichtlich der Behauptung des Vorliegens eines Begründungsmangels und somit eines Verfahrensfehlers schon an einer Darstellung der Relevanz derselben in der Begründung für die Zulässigkeit der Revisionen fehlt (vgl. zu den Anforderungen an die Relevanzdarstellung VwGH 17.11.2022, Ra 2022/14/0288, mwN).
21 Die Revisionswerber wenden sich im Weiteren gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidungen nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) vorgenommene Interessenabwägung und führen dazu aus, das Bundesverwaltungsgericht habe den Schulbesuch des Zweitrevisionswerbers in Österreich zu Unrecht außer Acht gelassen.
22 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH 24.5.2022, Ra 2022/14/0123, mwN).
23 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. abermals VwGH 24.5.2022, Ra 2022/14/0123, mwN).
24 Den Revisionen ist zwar zuzustimmen, dass der Besuch einer Bildungseinrichtung in Österreich als Aspekt des Privatlebens im Sinn von Art. 8 EMRK zu jenen Umständen zählen kann, die bei der Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig ist, zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 2.3.2022, Ra 2021/20/0156 u.a.). Die Revisionen zeigen mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das sich hinsichtlich der Interessenabwägung nur auf das Kriterium des Schulbesuchs stützt, jedoch nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht die Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widerspräche.
25 Wenn die Revisionen ohne auf die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer Verhandlung Bezug zu nehmen die Verletzung der Verhandlungspflicht rügen, verabsäumen sie es, konkret darzulegen, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung zum hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre (vgl. zu diesen Leitlinien grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der weiteren, dem folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 21.9.2022, Ra 2022/14/0202, mwN). Außerdem vermag dieses Vorbringen schon deswegen eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aufzuzeigen, weil darauf in den Revisionsgründen nicht mehr zurückgekommen wird (vgl. VwGH 5.10.2022, Ra 2022/14/0222 bis 0224, mwN).
26 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 6. April 2023