Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak, die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revisionen 1. der G GmbH als RNF der A GmbH in W, 2. der G GmbH als RNF der O GmbH in W, und 3. der I AG in W, alle vertreten durch die KPMG Alpen Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51, gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts 1. vom 28. Februar 2023, Zl. RV/7103376/2022, 2. vom 28. Februar 2023, Zl. RV/7103378/2022, und 3. vom 1. März 2023, Zl. RV/7103379/2022, jeweils betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Gruppenfeststellung 2012), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1 Zum bisherigen Verfahrensgeschehen ist eingangs auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2022, Ra 2022/13/0035 bis 0037, zu verweisen.
2 Daraus ist hervorzuheben, dass die revisionswerbenden Parteien mit Schriftsatz vom 11. März 2019 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einreichung einer Bescheidbeschwerde gegen den Gruppenfeststellungsbescheid 2012 vom 29. Juli 2015 beantragten. Gleichzeitig holten sie die versäumte Handlung (Bescheidbeschwerde) nach.
3 Mit „Zurückweisungsbescheid“ vom 3. März 2000 wies das Finanzamt diesen Antrag zurück. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, mit Zugang der Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 (zur Beschwerde gegen den Bescheid vom 21. Mai 2015 in der Rechtssache S) sei den Antragstellern bereits bekannt geworden, dass der Gruppenfeststellungsbescheid vom 29. Juli 2015 „in Rechtskraft erwachsen“ sei. Auch der Beschluss des Bundesfinanzgerichts (in jener Rechtssache) vom 23. Oktober 2018 habe darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 29. Juli 2015 „in Rechtskraft erwachsen“ sei. Den Antragstellern sei somit bereits vor dem 13. Dezember 2018 die Fristversäumnis bekannt gewesen, sodass der Antrag als verspätet zurückzuweisen sei.
4 Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen diesen Bescheid Beschwerde.
5 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. Februar 2021 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Die revisionswerbenden Parteien beantragten die Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht.
6 Mit Erkenntnissen vom 5. Jänner 2022 wies das Bundesfinanzgericht diese Beschwerde als unbegründet ab. Mit dem eingangs erwähnten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2022 wurden diese Entscheidungen des Bundesfinanzgerichts wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
7 Die revisionswerbenden Parteien übermittelten dem Bundesfinanzgericht in der Folge die in jenem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Schriftsätze (u.a. auch die Revisionsbeantwortungen).
8 Die revisionswerbenden Parteien erstatteten in der Folge weiteres Vorbringen; die belangte Behörde erklärte auf Vorhalt dieses Vorbringens, keine weitere Stellungnahme zu erstatten.
9 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden neuerlich als unbegründet ab. Es sprach jeweils aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
10 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht zum „Sachverhalt“ im Wesentlichen aus, die I AG bilde mit fast 300 Gruppenmitgliedern eine Unternehmensgruppe (I Unternehmensgruppe). Im Jahr 2012 habe sich die Unternehmensstruktur (vereinfacht) so dargestellt, dass die I AG (mittelbar) an einer niederländischen Gesellschaft (BV) beteiligt gewesen sei; diese sei an der inländischen D GmbH beteiligt gewesen, welche wiederum an den Rechtsvorgängerinnen der erstrevisionswerbenden Partei (in der Folge: A GmbH) und der zweitrevisionswerbenden Partei (in der Folge: O GmbH) beteiligt gewesen sei. Die O GmbH sei wiederum an der S GmbH beteiligt gewesen.
11 Mit Gruppenfeststellungsbescheid 2012 vom 29. Juli 2015 sei das Ende der Gruppenzugehörigkeit der O GmbH und der A GmbH mit der Veranlagung 2012 festgestellt worden. Die Frist zur Beschwerdeerhebung gegen diesen Bescheid sei antragsgemäß bis 2. Oktober 2015 verlängert worden. Vom steuerlichen Vertreter der revisionswerbenden Parteien sei ein mit 7. September 2015 datierter Beschwerdeschriftsatz am selben Tag der Post zum „eingeschriebenen“ Versand übergeben worden. Es könne nicht belegt werden, dass dieses Schriftstück bei der belangten Behörde eingelangt sei.
12 Mit einem bereits am 21. Mai 2015 erlassenen weiteren Gruppenfeststellungsbescheid 2012 sei u.a. das Ausscheiden der S GmbH aus der I Unternehmensgruppe festgestellt worden („Rechtssache S“). Dieser Bescheid sei (u.a.) an die I AG als Gruppenträgerin und die S GmbH gerichtet worden. Gegen diesen Bescheid hätten die I AG und die S GmbH Beschwerde erhoben.
13 In der Rechtssache S sei am 23. März 2016 die abweisende Beschwerdevorentscheidung ergangen. Darin sei u.a. ausgeführt worden, da die O GmbH mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 2011/12 aus der Unternehmensgruppe auszuscheiden gewesen sei, gelte diese Vorgehensweise auch für die S GmbH als Tochtergesellschaft der O GmbH. Grundlage für das Ausscheiden der S GmbH sei somit das Ausscheiden der O GmbH. Die Abgabenbehörde halte fest, dass der Gruppenfeststellungsbescheid vom 29. Juli 2015 betreffend Ausscheiden der O GmbH „in Rechtskraft erwachsen“ sei.
14 Im dagegen gerichteten Vorlageantrag vom 21. Juni 2016 sei ausgeführt worden, der Feststellung der Abgabenbehörde, dass der Gruppenfeststellungsbescheid vom 29. Juli 2015 bereits in Rechtskraft erwachsen sei, sei entgegenzuhalten, dass gegen diesen Bescheid sowohl von der A GmbH und der O GmbH als auch von der I AG das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde erhoben worden sei. Da über die Bescheidbeschwerde bislang nicht abgesprochen worden sei, könne dieser Bescheid entgegen der Ansicht der Abgabenbehörde in der Beschwerdevorentscheidung nicht in Rechtskraft erwachsen sein.
15 Mit Beschluss vom 23. Oktober 2018, zugestellt am 25. Oktober 2018, habe das Bundesfinanzgericht die I AG und die S GmbH aufgefordert, bekannt zu geben, ob der Gruppenfeststellungsbescheid 2012 vom 29. Juli 2015 in Rechtskraft erwachsen sei und die für ihre Antwort zweckentsprechenden Unterlagen vorzulegen. In der Begründung sei u.a. ausgeführt worden, die belangte Behörde habe in der Beschwerdevorentscheidung festgehalten, dass der Bescheid vom 29. Juli 2015 betreffend Ausscheiden der O GmbH in Rechtskraft erwachsen sei. Im Vorlageantrag finde sich hingegen der Hinweis, dass die O GmbH eine Bescheidbeschwerde gegen diesen Bescheid erhoben habe.
16 In der Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018 sei ausgeführt worden, die Beschwerde sei innerhalb offener und verlängerter Rechtsmittelfrist am 7. September 2015 an das Finanzamt übermittelt worden. Der an die O GmbH ergangene Bescheid vom 29. Juli 2015 sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig gewesen.
17 In der an die I AG gerichteten Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2018, zugestellt am 13. Dezember 2018, habe das Bundesfinanzgericht u.a. ausgeführt, die I AG habe mit Schreiben vom 8. November 2018 u.a. mitgeteilt, dass die Beschwerde innerhalb offener und verlängerter Rechtsmittelfrist am 7. September 2015 an das Finanzamt übermittelt worden sei. Es sei zwar eine Kopie des Fristverlängerungsansuchens beigelegt worden. Nachweise für das „Übermitteln“ und das Einlangen einer Beschwerde seien aber nicht vorgelegt worden. Die I AG werde daher aufgefordert, jene Beweismittel zur mündlichen Verhandlung mitzubringen, aus denen hervorgehe, dass eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 29. Juli 2015 fristgerecht bei der belangten Behörde eingelangt sei.
18 Am 28. Jänner 2019 habe eine mündliche Verhandlung in der Rechtssache S stattgefunden; dabei sei das Einlangen des Beschwerdeschriftsatzes vom 7. September 2015 thematisiert worden.
19 Von den revisionswerbenden Parteien oder ihrem steuerlichen Vertreter seien zu keinem Zeitpunkt Erkundungen eingeholt worden, warum die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 von einem abgeschlossenen Verfahren (betreffend O GmbH) ausgegangen sei. Weder von der belangten Behörde noch von den steuerlich vertretenen Gesellschaften sei im Zeitraum vom 7. September 2015 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht am 28. Jänner 2019 in der Rechtssache S eine Kontaktaufnahme erfolgt. Eine Unzumutbarkeit der Kontaktaufnahme in einem Zeitraum von nahezu vier Jahren werde weder behauptet noch sei eine solche erkennbar.
20 Nach allgemeiner „Praxiserfahrung“ könne bei komplexen Themenstellungen die Entscheidung durch die belangte Behörde oftmals einen längeren Zeitraum als sechs Monate in Anspruch nehmen. Es entspreche aber nicht der allgemeinen „Lebenserfahrung“, dass in einem Fall „politischer Dimension“, der vordergründig eine Rechtsfrage der Unionsrechtswidrigkeit des § 9 Abs. 2 KStG 1988 aufwerfe, von der belangten Behörde mehr als drei Jahre mit einer Entscheidung zugewartet werde, wenn im Parallelverfahren (Rechtssache S) bereits nach ca. sieben Monaten die Entscheidung durch Beschwerdevorentscheidung ergehe. Weitere Sachverhaltsermittlungen seien unstrittig nicht erfolgt und auch nicht erforderlich gewesen.
21 Die nunmehr revisionswerbende I AG sei unter Beiziehung derselben Steuerberatungskanzlei als auch desselben Steuerberaters auch beschwerdeführend in der Rechtssache S gewesen. Die O GmbH sei zu 100 % an der S GmbH beteiligt gewesen. Insbesondere das Ausscheiden der O GmbH als Muttergesellschaft der S GmbH sei im Parallelverfahren als Begründung für das Ausscheiden der S GmbH als Gruppenmitglied herangezogen worden. Die beiden Verfahren seien somit nicht nur hinsichtlich der Person des steuerlichen Vertreters, sondern durch die in beiden Verfahren beschwerdeführende I AG verflochten, sodass die übergreifende Kenntnis zumutbar erscheine und auch vorgelegen sei. Es habe nicht nur die belangte Behörde auf die jeweiligen Verfahren gegenseitig Bezug genommen, sondern auch der steuerliche Vertreter in seiner Argumentation in der Rechtssache S. Der Begriff der „Rechtswidrigkeit“ (gemeint wohl: Rechtskraft) und deren Folgen werde vom steuerlichen Vertreter selbst mehrfach verwendet und entsprechend dazu ausgeführt (Vorlageantrag vom 21. Juni 2016 und Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018). Dass der Begriff Rechtskraft und dessen Rechtswirkung nach den persönlichen Fähigkeiten eines rechtskundigen Parteienvertreters nicht bekannt sei, entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung.
22 Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt das Bundesfinanzgericht u.a. fest, da im Vorlageantrag (zur Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016) ausdrücklich auf die Thematik der eingetretenen Rechtskraft eingegangen worden sei, gehe das Bundesfinanzgericht davon aus, dass der steuerliche Vertreter zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Vorlageantrags erkannt habe, dass die belangte Behörde von der Rechtskraft des Bescheides vom 29. Juli 2015 ausgegangen sei. Die formelle Rechtskraft eines Bescheides trete dann ein, wenn nicht fristgerecht ein Rechtsmittel erhoben werde. Dies habe hier nur dann der Fall sein können, wenn entweder der Beschwerdeschriftsatz vom 7. September 2015 nicht bei der belangten Behörde eingelangt wäre oder die belangte Behörde allenfalls bereits mit Beschwerdevorentscheidung entschieden hätte, diese der Partei nicht zugegangen wäre, die Behörde jedoch von der Zustellung ausgegangen wäre. Eine Beschwerdevorentscheidung sei aber unstrittig nicht zugegangen, ja nicht einmal ergangen. Wenn in der Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 ausgeführt worden sei, der Bescheid vom 29. Juli 2015 sei in Rechtskraft erwachsen, könne für einen verständigen Parteienvertreter damit nur gemeint gewesen sein, dass die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels ungenützt verstrichen sei. Ein rechtskundiger Parteienvertreter hätte dies bei Anwendung pflichtgemäßer Aufmerksamkeit jedenfalls erkennen können, auch wenn die belangte Behörde nicht ausdrücklich auf das Einlangen der Beschwerde Bezug genommen habe.
23 Dass der Begriff „Rechtskraft“ und die damit verbundene Rechtswirkung für einen rechtskundigen Parteienvertreter in Durchschnittsbetrachtung auch ohne Zuhilfenahme einer Onlinesuchmaschine verständlich und nicht unbestimmt sei, werde vom Bundesfinanzgericht angenommen. Damit erscheine für das Bundesfinanzgericht die Aufklärung des Irrtums über das Nichteinlangen des Schriftsatzes vom 7. September 2015 bei der belangten Behörde jedenfalls im Zeitpunkt der Erstellung des Vorlageantrages vom 21. Juni 2016 möglich und zumutbar, wenngleich zu diesem Zeitpunkt in der fehlenden Aufklärung noch kein auffallend sorgloses Verhalten erblickt werden könne. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, als auch von der belangten Behörde keine über die Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 hinausgehende Kontaktaufnahme über das Nichteinlangen des Beschwerdeschriftsatzes erfolgt sei, obwohl diese das Nichteinlangen offenkundig erkannt habe. Zudem habe der steuerliche Vertreter die Postaufgabe per Einschreiben des Beschwerdeschriftsatzes gemeinsam mit 27 weiteren Schriftsätzen nachweisen können, wobei sechs an die vormals zuständige belangte Behörde gerichtet gewesen seien und fünf davon unstrittig bei dieser eingelangt seien. Weiters sei auch um Fristverlängerung im betreffenden Beschwerdeverfahren angesucht und damit dem Grunde nach signalisiert worden, eine Beschwerdeerhebung in Betracht zu ziehen.
24 Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 25. Oktober 2018 (Rechtssache S) seien die I AG und die S GmbH ausdrücklich aufgefordert worden, bekanntzugeben, ob der Bescheid vom 29. Juli 2015 in Rechtskraft erwachsen sei und dies entsprechend zu belegen. In der Vorhaltsbeantwortung werde sowohl auf die rechtzeitige „Einbringung“ der Beschwerde als auch auf die mangelnde Rechtskraft dieser „Beschwerde“ Bezug genommen. Für den steuerlichen Vertreter wäre bei entsprechender Sorgfaltswaltung jedenfalls mit der Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018 der Irrtum über das Einlangen der Beschwerde zumutbar erkennbar und nach den persönlichen Fähigkeiten eines rechtskundigen Parteienvertreters aufklärbar gewesen.
25 Es entspreche der Praxiserfahrung, dass Finanzämter auch ohne Weisungscharakter der Verwaltungsrichtlinien regelmäßig nicht von der darin vertretenen Rechtsansicht abwichen. Dies sei auch im konkreten Fall wahrscheinlich gewesen, weil die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 in der Rechtssache S unter Verweis auf diese Richtlinien ausgeführt habe, dass mit der D GmbH als Tochtergesellschaft eines ausländischen Gruppenmitglieds verbundene inländische Körperschaften nach Verwaltungsmeinung nicht in die Unternehmensgruppe einbezogen werden könnten. Ein Abgehen von dieser Verwaltungsansicht und eine deswegen längere Verfahrensdauer erscheine daher äußerst unwahrscheinlich. Nach der Praxiserfahrung erscheine es naheliegend, dass die belangte Behörde bei Einlangen eines Beschwerdeschriftsatzes zunächst über die Gruppenzugehörigkeit der O GmbH als Muttergesellschaft der S GmbH absprechen würde, wenn sie dies wie im konkreten Fall erfolgt als Begründung der Beschwerdevorentscheidung in der Rechtssache S GmbH zugrunde legen möchte. Aufgrund der konkreten Umstände des Falles sei nach der allgemeinen Praxiserfahrung mit einer kürzeren als über drei Jahre andauernden Entscheidungszeit zu rechnen gewesen. Es habe daher in Gesamtschau nicht mehr auf das rechtzeitige Einlangen des Beschwerdeschriftsatzes vertraut werden können.
26 In den im konkreten Fall besonderen Umständen der „personellen Übergreifung“ sowohl der Gesellschaften als auch der steuerlichen Vertretung in den beiden Verfahren (betreffend Gruppenfeststellungsbescheide vom 21. Mai 2015 und 29. Juli 2015), der langen Zeitdauer, in welcher jegliche Aufklärung des Irrtums etwa durch Kontaktaufnahme unterblieben sei, wobei nicht zu erwarten gewesen sei, dass die belangte Behörde über drei Jahre mit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung zuwarten würde, und dem Umstand, dass die Rechtskraft des Bescheides vom 29. Juli 2015 wiederholt im Verfahren in der Rechtssache S angesprochen worden sei, sei in der Nichtaufklärung des Irrtums ein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt eines rechtskundigen Parteienvertreters zu erblicken. Im gesamten Zeitraum sei (beidseitig) kein naheliegender und zumutbarer Versuch der Kontaktaufnahme zur Aufklärung des Irrtums über das Einlangen der Beschwerde unternommen worden.
27 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, unstrittig sei, dass der steuerliche Vertreter der revisionswerbenden Parteien den Beschwerdeschriftsatz vom 7. September 2015 der Post zum Versand übergeben habe. Ein Nachweis des Einlangens bei der belangten Behörde sei jedoch nicht mehr möglich. Mangels nachgewiesenem Einlangen des Beschwerdeschriftsatzes bei der belangten Behörde sei diese von der Rechtskraft des Gruppenfeststellungsbescheides 2012 vom 29. Juli 2015 ausgegangen. Es sei in der Folge ein Irrtum darüber vorgelegen, ob die zur Post gegebene Beschwerde bei der belangten Behörde eingelangt sei.
28 Den revisionswerbenden Parteien sei beizupflichten, dass sie nach dem normalen Gang der Dinge auf das Einlangen der dem Wiedereinsetzungsantrag zugrundeliegenden Beschwerde vom 7. September 2015 hätten vertrauen dürfen. Weder im Zeitpunkt der Erlassung der Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 in der Rechtssache S, in welcher erstmals auf die Rechtskraft hingewiesen worden sei, noch im Zeitpunkt des Verfassens des dagegen gerichteten Vorlageantrags sei ein auffallend sorgloses Handeln des Parteienvertreters erkennbar gewesen. Die Rechtskraftproblematik sei jedoch von der steuerlichen Vertretung der I AG und der S GmbH auch erkannt worden, wenn im Vorlageantrag in der Rechtssache S ausdrücklich in einem eigenen Punkt auf die Rechtskraft des Gruppenfeststellungsbescheides 2012 vom 29. Juli 2015 Bezug genommen und ausgeführt worden sei, es sei fristgerecht Bescheidbeschwerde erhoben worden, über welche noch nicht abgesprochen worden sei. Wenngleich der Irrtum bereits erkennbar gewesen wäre, sei aber kein über den minderen Grad des Versehens vorwerfbares Verhalten vorgelegen.
29 Zumindest ab dem Zeitpunkt des Verfassens der Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018 sei aber in einer Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht mehr vom Unterbleiben der Irrtumsaufklärung aufgrund eines bloß minderen Grad des Versehens des Parteienvertreters auszugehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, somit mehr als drei Jahre nach Postaufgabe des Beschwerdeschriftsatzes vom 7. September 2015, habe der Parteienvertreter nicht mehr darauf vertrauen können, dass der Beschwerdeschriftsatz bei der belangten Behörde eingelangt sei. Eine Entscheidungsdauer von drei Jahren entspreche nicht der allgemeinen Praxiserfahrung. Die Rechtskraft des Gruppenfeststellungsbescheides 2012 vom 29. Juli 2015 sei bereits in der Beschwerdevorentscheidung vom 23. März 2016 thematisiert worden. Dem Beschluss vom 25. Oktober 2018 sei der Hinweis der Rechtskraft zugrunde gelegt worden, es seien Unterlagen zur vermeintlichen Beschwerdeerhebung abverlangt worden. Dennoch sei keine Überprüfung der Fristeinhaltung durch den Parteienvertreter erfolgt. Zudem sei in der Vorhaltsbeantwortung ausdrücklich auf die „Einbringung“ der Beschwerde am 7. September 2015 Bezug genommen worden, weshalb das Argument, dass erstmals in der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2018 darauf bezogen worden sei, insoweit ins Leere gehe. Auf die Thematik der Rechtskraft sei wiederholt hingewiesen worden.
30 Trotz zumutbarer Erkennbarkeit und offensichtlichem Erkennen der Problematik durch den Parteienvertreter bereits im Vorlageantrag vom 21. Juni 2016 und insbesondere in der Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018, seien vom steuerlichen Vertreter zu keinem Zeitpunkt ihm zumutbare Erkundungen eingeholt worden, die zur Aufklärung des Irrtums über das Einlangen der Beschwerde hätten führen können. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei erst am 11. März 2019 eingebracht worden. Ob die revisionswerbenden Parteien oder ihr steuerlicher Vertreter die Fristversäumung als solche tatsächlich erkannt hätten, sei für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung nicht relevant, es komme auf die zumutbare Erkennbarkeit an.
31 Zumindest ab dem Zeitpunkt der Erstellung des „Vorlageantrages“ vom 8. November 2018 hätte ein gewissenhafter und sorgfältiger Parteienvertreter nicht so agiert wie jener im konkreten Fall, weil zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf das Einlangen des Beschwerdeschriftsatzes hätte vertraut werden dürfen. Hinsichtlich des auffallend sorglosen Verhaltens sei jedenfalls der lange Zeitraum zwischen Erkennbarkeit und Stellung des nunmehrigen Antrags auf Wiedereinsetzung zu berücksichtigen.
32 Soweit ins Treffen geführt werde, dass die Bezugnahme auf die „Rechtskraft“ durch die belangte Behörde missverständlich sei, könne diese Argumentation nicht nachvollzogen werden. Einem rechtskundigen Parteienvertreter könne ein Verständnis über die grundsätzliche Rechtswirkung der Rechtskraft zugemutet werden. Zum Zeitpunkt der Verfassung des „Vorlageantrages“ vom 8. November 2018 könne ein unaufgeklärt gebliebenes Missverständnis über die Rechtswirkung der wiederholt thematisierten Rechtskraft nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht mehr als dem Sorgfaltsmaßstab einer vernünftigen und durchschnittlich gewissenhaften Person angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden Handlung entsprechend angesehen werden.
33 Zumindest im Zeitpunkt der Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018 hätte ein gewissenhafter und umsichtiger Parteienvertreter Handlungen gesetzt, die auf eine Aufklärung des Irrtums über das Einlangen der Beschwerde hingewirkt hätten. Zumindest ab dem Zeitpunkt des Verfassens der Vorhaltsbeantwortung vom 8. November 2018 sei sohin eine über den minderen Grad des Versehens hinausgehende subjektive Vorwerfbarkeit der Nichtaufklärung vorgelegen. Damit erweise sich der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet.
34 Gegen diese Erkenntnisse wenden sich die vorliegenden Revisionen.
35 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die belangte Behörde (nunmehr das Finanzamt für Großbetriebe) erklärt, vom Einbringen einer Revisionsbeantwortung abzusehen.
36 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
37 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
38 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein derartiger Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
39 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
40 Zur Zulässigkeit wird in den Revisionen jeweils geltend gemacht, die angefochtenen Erkenntnisse wichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wenn das Bundesfinanzgericht im Falle einer Beschwerdefristversäumnis die Rechtzeitigkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung verneine, weil die Revisionswerberin von der Abgabenbehörde bzw. dem Bundesfinanzgericht in einem anderen Verfahren auf ein „Erwachsen in Rechtskraft“ des gegenständlichen Bescheides hingewiesen worden sei und die Tatsache des Nichteinlangens der Beschwerde für die Revisionswerberin oder für einen außenstehenden Dritten objektiv nicht erkennbar und daher auch subjektiv nicht vorwerfbar sei. Weiters fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob im Falle einer Beschwerdefristversäumnis die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung bereits mit dem bloßen (Rechtsfolgen-)Hinweis der Abgabenbehörde bzw. des Bundesfinanzgerichts in einem anderen Verfahren auf ein „Erwachsen in Rechtskraft“ des gegenständlichen Bescheides zu laufen beginne, ohne dass die Tatsache des Nichteinlangens der Beschwerde für die Revisionswerberin wie für einen fremden Dritten erkennbar gewesen sei, und ob der Vorwurf eines die leichte Fahrlässigkeit übersteigenden Verschuldens trotz dieser objektiven Nichterkennbarkeit überhaupt denkmöglich sei. Schließlich wird geltend gemacht, es lägen relevante Ermittlungsfehler, mangelhafte Begründungen sowie eine unschlüssige Beweiswürdigung vor.
41 Mit diesem Vorbringen kann die Zulässigkeit der Revisionen nicht aufgezeigt werden.
42 Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der tatsächliche Ablauf des Geschehens, insbesondere der Inhalt der jeweiligen Bescheidbegründungen, Vorhalte und Schriftsätze im Revisionsverfahren unstrittig ist. Auch der Umstand, dass das Einlangen des mit 7. September 2015 datierten Beschwerdeschriftsatzes nicht belegt werden könne, ist unbestritten. Ein relevanter Verfahrensmangel kann insoweit nicht aufgezeigt werden.
43 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht ausgehend von diesem unstrittigen Sachverhalt zu Recht das Vorliegen eines minderen Grad des Versehens verneint hat, ist aber grundsätzlich keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG zukommt. Eine solche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 26.1.2023, Ra 2022/16/0112, mwN).
44 Die Revisionen können nicht aufzeigen, dass die Annahme eines den minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschuldens im vorliegenden Fall unvertretbar wäre.
45 In den Revisionen werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
Wien, am 22. November 2023