JudikaturVwGH

Ra 2023/04/0044 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Stadt Wien Wiener Wohnen, vertreten durch die Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 30. Jänner 2023, Zl. VGW 123/029/14458/2022, betreffend ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei: E GmbH, vertreten durch die Singer Fössl Rechtsanwälte OG in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

1 1.1. Aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt sich folgender unstrittiger Sachverhalt:

2 Die Revisionswerberin führte im Jahr 2022 zeitgleich fünf Vergabeverfahren zur Sanierung von Wohnhausanlagen in Wien hinsichtlich jeweils unterschiedlicher Gewerke.

3 Die Mitbeteiligte (Antragstellerin im verfahrensgegenständlichen Nachprüfungsverfahren) hat in diesen Vergabeverfahren jeweils ein Angebot gelegt.

4 Im hier nicht gegenständlichen, parallel geführten Verfahren betreffend die Vergabe „Rahmenvertrag mechanische Lüftungen in den Objekten der Stadt Wien Wiener Wohnen“ wurde von der Revisionswerberin ein kontradiktorisches Aufklärungsverfahren mit der Mitbeteiligten durchgeführt. Im Zuge dieses Aufklärungsverfahrens hat die Revisionswerberin die Mitbeteiligte mit Schreiben vom 17. Oktober 2022 aufgefordert, zu den in einem Anfang des Jahres 2022 ebenfalls von der Revisionswerberin geführten Vergabeverfahren betreffend einen „Rahmenvertrag Gas, Wasser, Heizung in den Objekten der Stadt Wien“ mit Angebotsöffnung 9. Februar 2022 festgestellten und das Ausscheiden des dortigen Angebots der Mitbeteiligten begründenden Verfehlungen Stellung zu nehmen. Die Mitbeteiligte wurde gleichzeitig aufgefordert, Selbstreinigungsmaßnahmen darzulegen. Die Mitbeteiligte hat in diesem Aufklärungsverfahren eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme abgeben. Nach Prüfung dieser Stellungnahme ging die Revisionswerberin von der Unzuverlässigkeit der Mitbeteiligten aus und erließ in allen fünf parallel geführten Vergabeverfahren jeweils gesondert eine Ausscheidensentscheidung betreffend das jeweilige Angebot der Mitbeteiligten.

5 Das Angebot der Mitbeteiligten im verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren betreffend „HKLS Arbeiten für die Sanierung der städtischen Wohnhausanlage in Wien 23., N...gasse 1 11“ wurde mit Ausscheidensentscheidung der Revisionswerberin vom 14. November 2022 wegen mangelnder Zuverlässigkeit gemäß § 78 Abs. 1 Z 4 iVm. § 141 Abs. 2 BVergG 2018 ausgeschieden.

6 1.2. Gegen diese Ausscheidensentscheidung richtete sich der verfahrensgegenständliche Nachprüfungsantrag der Mitbeteiligten mit dem Antrag, die angefochtene Ausscheidensentscheidung für nichtig zu erklären und der Revisionswerberin als Auftraggeberin aufzutragen, die entrichteten Pauschalgebühren zu ersetzen.

7 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis erklärte das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung die Entscheidung der Revisionswerberin vom 14. November 2022, mit der das Angebot der mitbeteiligten Partei im Vergabeverfahren „HKLS Arbeiten für die Sanierung der städtischen Wohnhausanlage in Wien 23., N...gasse 1 11“ ausgeschieden wurde, gemäß § 23 WVRG 2020 für nichtig und verpflichtete die Revisionswerberin gemäß §§ 14 und 15 WVRG 2020 zum Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren in Höhe von € 3.241,00. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

8 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, erlange der öffentliche Auftraggeber von einer Verfehlung oder vom Vorliegen eines Ausschlussgrundes gemäß § 78 Abs. 1 oder 2 BVergG 2018 nachweislich Kenntnis, so sei der Unternehmer gemäß § 83 Abs. 1 BVergG 2018 mangels Zuverlässigkeit vom Vergabeverfahren auszuschließen, es sei denn, der Unternehmer mache glaubhaft, dass er trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes zuverlässig sei.

9 Gemäß § 83 Abs. 3 BVergG 2018 habe der öffentliche Auftraggeber die vom Unternehmer ergriffenen Maßnahmen zu prüfen und bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit insbesondere die vom Unternehmer gesetzten Maßnahmen in ein Verhältnis zur Anzahl und zur Schwere der begangenen strafbaren Handlungen bzw. Verfehlungen zu setzen. Erachte der öffentliche Auftraggeber die Maßnahmen des Unternehmers als unzureichend, so habe er diese Entscheidung gegenüber dem Unternehmer zu begründen. Die Frage, ob ein Ausschlussgrund vorliege, sei jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Zwar handle es sich bei § 78 Abs. 1 Z 4 BVergG 2018 um einen bieterbezogenen Ausscheidensgrund, doch bleibe dieser dennoch auf ein konkretes Vergabeverfahren bezogen. Dem betroffenen Bieter sei im konkreten Verfahren die Möglichkeit zu geben, durch Darlegung entsprechender Maßnahmen das Ausscheiden seines Angebots wegen Vorliegens eines ihn betreffenden Ausschlussgrundes zu verhindern. Dies müsse auch für Fälle gelten, in denen die Auftraggeberin Vergabeverfahren in zeitlicher Nähe zueinander oder wie hier sogar zeitgleich parallel abwickle. Die Auftraggeberin hätte daher auch im gegenständlichen Vergabeverfahren einen Vorhalt der mangelnden Zuverlässigkeit machen und der Antragstellerin die Möglichkeit zur Entkräftung einräumen müssen, anstatt ihre Entscheidung unbesehen auf Äußerungen der Antragstellerin zu einem Vorhalt in einem anderen Vergabeverfahren zu stützen. Andernfalls sei es weder für die Bieter klar erkennbar und vorhersehbar noch für die Revisionswerberin objektivierbar, in welchem zeitlichen Konnex kontradiktorische Prüfungen von Ausscheidensgründen auf weitere gerade anhängige Vergabeverfahren angewandt werden könnten. Dies stehe in klarem Widerspruch zu den Grundsätzen des Vergabeverfahrens, insbesondere der Bietergleichbehandlung und dem Transparenzgebot.

10 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

11 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit vor, es sei fraglich, ob in jedem der zeitlich parallel geführten Vergabeverfahren jeweils ein eigenes kontradiktorisches Verfahren zu derselben Frage stattfinden müsse oder ob es einem Auftraggeber erlaubt sei, die ohnedies aktuellen Aufklärungen desselben Bieters sowie die Ergebnisse der Eignungsprüfung bei demselben Bieter auch in den zeitlich parallel geführten Vergabeverfahren zu verwerten. Hierzu fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Zudem verkenne das Verwaltungsgericht, dass die Darlegung der Wiedererlangung der verlorenen beruflichen Zuverlässigkeit nach der Systematik des BVergG 2018 keine Holschuld des Auftraggebers, sondern eine Bringschuld des betreffenden Bieters sei.

13 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.

14 4.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Vergaberechtsschutzgesetzes 2020 WVRG 2020, LGBl. Nr. 34, lauten auszugsweise:

„2. Hauptstück

Nachprüfungsverfahren

1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Zuständigkeit

§ 8. (1) Das Verwaltungsgericht Wien entscheidet nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Hauptstückes über Anträge zur Durchführung von Nichtigerklärungsverfahren (2. Abschnitt), zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (3. Abschnitt) und zur Durchführung von Feststellungsverfahren (4. Abschnitt). Derartige Anträge sind unmittelbar beim Verwaltungsgericht Wien einzubringen.

(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zur Widerrufserklärung eines Vergabeverfahrens ist das Verwaltungsgericht Wien zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen das BVergG 2018, das BVergGKonz 2018, das BVergGVS 2012 oder die hierzu ergangenen Verordnungen oder wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht zuständig

1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie

2. zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers im Rahmen der von der Antragstellerin oder vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte.

...

Inhalt und Zulässigkeit des Nichtigerklärungsantrages

§ 20. (1) Ein Antrag gemäß § 18 Abs. 1 hat jedenfalls zu enthalten:

1. ...

...

5. die Bezeichnung der Rechte, in denen die Antragstellerin oder der Antragsteller verletzt zu sein behauptet (Beschwerdepunkte) sowie die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

...“

15 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesvergabegesetz 2018 BVergG 2018, BGBl. I Nr. 65/2018, lauten auszugsweise:

„Ausschlussgründe

§ 78. (1) Der öffentliche Auftraggeber hat unbeschadet der Abs. 3 bis 5 einen Unternehmer jederzeit von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen, wenn

...

4. der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür verfügt, dass der Unternehmer mit anderen Unternehmern für den öffentlichen Auftraggeber nachteilige Abreden getroffen hat, die gegen die guten Sitten verstoßen, oder mit anderen Unternehmern Abreden getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbes abzielen, oder

...

Zuständigkeit

§ 334. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes über Anträge zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren (2. Abschnitt), zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (3. Abschnitt) und zur Durchführung von Feststellungsverfahren (4. Abschnitt). Derartige Anträge sind unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen.

(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf eines Vergabeverfahrens ist das Bundesverwaltungsgericht zum Zweck der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hierzu ergangenen Verordnungen oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht zuständig

1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen, sowie

2. zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte.

...

Inhalt und Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages

§ 344. (1) Ein Antrag gemäß § 342 Abs. 1 hat jedenfalls zu enthalten:

...

5. die Bezeichnung der Rechte, in denen der Antragsteller verletzt zu sein behauptet (Beschwerdepunkte) sowie die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

...“

16 4.2. Das Verwaltungsgericht begründete die Nichtigerklärung der angefochtenen Ausscheidensentscheidung damit, dass die Revisionswerberin diese Entscheidung getroffen habe, ohne der Mitbeteiligten im Rahmen des konkreten Vergabeverfahrens Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben zu haben. Eine Prüfung der Frage des Vorliegens des von der Revisionswerberin als Auftraggeberin herangezogenen Ausscheidensgrundes nahm das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund nicht vor.

17 4.3. Das Verwaltungsgericht verkennt damit die Rechtslage: Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Mai 2007, 2005/04/0214, ausgeführt, „Sache“ des Vergabenachprüfungsverfahrens sei immer die Frage, ob der Antragsteller durch eine bestimmte Entscheidung in Rechten verletzt worden sei. Dies leitete der Gerichtshof unter anderem aus § 162 Abs. 2 Z 2 BVergG 2002 ab, wonach die Vergabekontrollbehörde den Antrag auf Nichtigerklärung nur im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte zu prüfen hatte.

18 Gleiches ist in § 8 Abs. 2 Z 2 und § 20 Abs. 1 Z 5 WVRG 2020 und ebenfalls gleichlautend in § 334 Abs. 2 Z 2 und § 344 Abs. 1 Z 5 BVergG 2018 normiert. In diesen Bestimmungen ist die Zuständigkeit des jeweiligen Verwaltungsgerichts zur Nichtigerklärung von gesondert anfechtbaren Entscheidungen jeweils nur im Rahmen der vom Antragsteller im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Beschwerdepunkte vorgesehen, bzw. nur für den Fall normiert, dass die angefochtene Entscheidung den Antragsteller in dem von ihm geltend gemachten Recht dem Beschwerdepunkt im Nachprüfungsverfahren verletzt. Damit ist klargestellt, dass das Vergabekontrollverfahren nicht der objektiven Rechtskontrolle dient, sondern der Prüfung, ob der Antragsteller in den von ihm geltend gemachten subjektiven Rechten verletzt ist.

19 Der verfahrensgegenständliche Nachprüfungsantrag richtet sich gegen eine Ausscheidensentscheidung gemäß § 78 Abs. 1 Z 4 BVergG 2018, die für den Fall für nichtig zu erklären wäre, dass sich ausgehend von den seitens der Mitbeteiligten vorgebrachten und erwiesenen Tatsachen ergäbe, dass sich die Revisionswerberin zu Unrecht auf den herangezogenen Ausscheidenstatbestand berufen habe, weil das Vorliegen desselben zu verneinen sei. In diesem Fall wäre von einer Verletzung der Mitbeteiligten in ihrem subjektiven Recht, nur bei Vorliegen eines Ausschließungsgrundes von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden, auszugehen. Die bloße Frage, wie die Revisionswerberin, die als öffentliche Auftraggeberin bei Vorliegen eines der gesetzlich determinierten Gründe einen Unternehmer von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen hat (vgl. hierzu etwa VwGH 27.9.2000, 2000/04/0050), zu ihrer Entscheidung gelangt ist, kann die Verletzung der Mitbeteiligten in ihrem subjektiven Recht hingegen nicht begründen.

20 Das Verwaltungsgericht hat somit das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

21 4.4. Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der dem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Bei der vergaberechtlichen Nachprüfung liegt ein derartiges Handeln einer Behörde nicht vor. Da dem Gesetzgeber des VwGG nicht unterstellt werden kann, er wollte für diese Fälle von einem Aufwandersatz nach den §§ 47 ff leg. cit. absehen, ist diese Lücke dahingehend zu schließen, dass der Kostenersatz von jenem Rechtsträger zu tragen ist, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Rechtssache gehandelt hat. Danach ist entscheidend, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen der vergaberechtlichen Nachprüfung in einer Angelegenheit tätig wurde, die nach den Zuständigkeitsregeln des B VG (hier des Art. 14b B VG) in den Vollzugsbereich des Bundes oder der Länder fällt (vgl. etwa VwGH 29.1.2018, Ra 2016/04/0086, Rn. 44). Vorliegend wäre das Land Wien als zuständiger Rechtsträger zum Aufwandersatz zu verpflichten.

22 Beim Land und der Stadt Wien handelt es sich um eine einzige Gebietskörperschaft (vgl. VwGH 29.1.2018, Ra 2016/04/0088).

23 Ein Aufwandersatz an die obsiegende Revisionswerberin findet aus diesem Grund nicht statt. Es ist nämlich ausgeschlossen, dass ein und derselbe Rechtsträger sich selbst Kosten ersetzen kann (vgl. etwa VwGH 20.3.2018, Fr 2017/10/0008).

Wien, am 29. Juli 2025

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