Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des D in F, vertreten durch Mag. Lukas Bittighofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20/2, gegen das am 4. Mai 2023 mündlich verkündete und am 17. Juli 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW 031/018/959/2023 17, betreffend Übertretungen des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien),
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I. im Umfang der Bestätigung des Spruchpunktes 1. des Straferkenntnisses vom 9. Dezember 2022 sowie hinsichtlich seines Spruchpunktes II. (Ausspruch über den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 9. Dezember 2022 wurden dem Revisionswerber in zwei gesonderten Spruchpunkten 1. und 2. zwei näher konkretisierte Übertretungen des § 102 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 2 KFG zur Last gelegt, weshalb über ihn jeweils gemäß § 134 Abs. 1 KFG eine Geld und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens festgesetzt wurde.
2 In der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde vom 27. Dezember 2022 beantragte dieser u.a. seine Einvernahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.
3 Mit Beschluss vom 4. April 2023 wurde der Revisionswerber zur mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2023 um 09:00 Uhr geladen, wobei er aufgefordert wurde, an dieser Verhandlung „als Partei persönlich teilzunehmen“.
4 Mit Ladung vom 26. April 2023 wurde der Revisionswerber von der Verlegung der Verhandlung auf den 4. Mai 2023 um 09:00 Uhr verständigt.
5 Der Vertagungsbitte des Revisionswerbers vom 28. April 2023 wurde mit E Mail vom 2. Mai 2023 nicht stattgegeben, weil der geltend gemachte Notariatstermin kein Verhinderungsgrund und der Revisionswerber außerdem anwaltlich vertreten sei.
6 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2023 mündlich verkündeten und über rechtzeitigen Antrag des Revisionswerbers schriftlich ausgefertigten Erkenntnis vom 17. Juli 2023 gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses Folge, behob das Straferkenntnis in diesem Umfang und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt (Spruchpunkt I.). Weiters setzte das Verwaltungsgericht den Beitrag zu den Kosten des „behördlichen Verfahrens“ in Bezug auf Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses neu fest (Spruchpunkt II.) und erklärte eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt III.).
7 Das Verwaltungsgericht stellte soweit für die Revision von Bedeutung fest, der Revisionswerber habe seine Einvernahme als Partei im Rahmen einer mündlichen Verhandlung beantragt. Das Verwaltungsgericht habe den anwaltlich vertretenen Revisionswerber zur mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2023 um 09:00 Uhr geladen, wobei die Ladung dem Revisionswerber am 11. April 2023 zugegangen sei. Die Verhandlung habe in Folge einer Terminkollision auf den 4. Mai 2023 um 09:00 Uhr verlegt werden müssen, worüber der Revisionswerber am 26. April 2023 vorab per E Mail informiert worden sei. Am 28. April 2023 habe der Revisionswerber um Vertagung mit der Begründung ersucht, dass er am 4. Mai 2023 um 10:00 Uhr einen Termin in einer Notariatskanzlei in St. Pölten habe, weshalb ihm die Teilnahme an der Verhandlung nicht möglich sei; der Notariatstermin könne aufgrund seiner Dringlichkeit und der Tatsache, dass dieser bereits seit Längerem vereinbart sei, nicht verschoben werden. Der Vertagungsbitte sei eine Bestätigung des Notars über den Termin angefügt gewesen. Mit Schreiben vom 2. Mai 2023 sei dem Revisionswerber per E Mail mitgeteilt worden, dass mit diesem Vorbringen kein Verhinderungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG dargetan worden sei. In der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2023, zu welcher der Revisionswerber nicht erschienen sei, habe dessen anwaltlicher Vertreter konkretisierend ausgeführt, dass es sich bei dem Notariatstermin um einen Termin zu einer Gesellschaftsgründung gehandelt habe, an dem auch andere zukünftige Gesellschafter teilgenommen hätten, und dessen Nichtwahrnehmung für den Revisionswerber mit einem unwiederbringlichen finanziellen Schaden verbunden gewesen wäre, zumal die Gesellschaft unmittelbar nach ihrer Gründung in Betrieb gehen wolle und Umsätze lukrieren würde. Ein Ersatztermin sei in der Kürze der Zeit nicht zu vereinbaren gewesen.
8 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zur Durchführung der mündlichen Verhandlung und Verkündung seiner Entscheidung in Abwesenheit des Revisionswerbers aus, der Revisionswerber sei ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und über die notwendig gewordene Verlegung informiert worden. In seiner Vertagungsbitte vom 28. April 2023 habe der Revisionswerber eine Terminkollision mit einem nicht näher spezifizierten Notariatstermin, welcher seit längerer Zeit vereinbart sei, deshalb nicht verschoben werden könne und dringlich sei, als Entschuldigungsgrund geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung habe der Vertreter des Revisionswerbers dieses Vorbringen wie festgestellt konkretisiert. Selbst unter Berücksichtigung dieses ergänzenden Vorbringens sei nicht von einer Unverschiebbarkeit des Notariatstermins auszugehen, zumal alleine aus dem Umstand, dass ein Termin bereits seit längerer Zeit vereinbart sei, nicht auf dessen Unverschiebbarkeit zu schließen sei und auch nicht näher dargelegt bzw. bescheinigt worden sei, inwiefern es für die übrigen Gesellschafter, zu deren Zahl bzw. Verhältnis zur Person des Revisionswerbers keine näheren Angaben gemacht worden seien, unmöglich gewesen wäre, über den (gemeinsamen) Termin wenn auch kurzfristig zu disponieren. Auch der ins Treffen geführte unwiederbringliche finanzielle Schaden für den Revisionswerber sei weder näher ausgeführt noch entsprechend belegt worden. Der Revisionswerber habe das Vorliegen eines triftigen Grundes gemäß § 19 Abs. 3 AVG nicht dargetan. Es sei von einem unentschuldigten Fernbleiben des Revisionswerbers von der mündlichen Verhandlung auszugehen.
9 Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. September 2023, E 2773/2023 5, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision mit den Anträgen eingebracht, der Verwaltungsgerichtshof möge eine mündliche Verhandlung durchführen und in der Sache selbst entscheiden, in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben, sowie dem Revisionswerber Aufwandersatz entsprechend der verzeichneten Kosten zusprechen.
11 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision erweist sich als teilweise zulässig und begründet.
13 Das vom Revisionswerber angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, zwei verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin zwei voneinander unabhängige Spruchpunkte. Auch das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der zwei angelasteten Verwaltungsübertretungen getrennte Absprüche getroffen (vgl. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/02/0165, mwN).
14 Liegen wie hier trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. VwGH 22.6.2022, Ra 2021/02/0147, mwN).
15 Zu II.:
16 Gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B VG kann gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben, wer durch das Erkenntnis in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
17 Entscheidend für eine auf Art. 133 Abs. 6 Z 1 B VG gestützte Berechtigung zur Revisionserhebung ist somit, dass die behauptete Rechtsverletzung zumindest möglich ist. Eine Revision ist nach § 34 Abs. 1 VwGG wegen fehlender Revisionsberechtigung somit immer dann zurückzuweisen, wenn der Verwaltungsgerichtshof zur Erkenntnis gelangt, dass der Revisionswerber durch die angefochtene Entscheidung unabhängig von der Frage ihrer Gesetzmäßigkeit in einem Recht nicht verletzt sein kann (vgl. VwGH 11.9.2017, Ro 2017/17/0019, mwN).
18 Die vorliegende Revision bekämpft das angefochtene Erkenntnis „zur Gänze“ und wendet sich somit auch gegen die Aufhebung des Spruchpunktes 2. des Straferkenntnisses vom 9. Dezember 2022 und der damit verbundenen Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens. Durch diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes kann der Revisionswerber jedoch denkmöglich nicht in subjektiven Rechten verletzt sein (vgl. VwGH 1.4.2022, Ra 2022/02/0042, mwN), weshalb die Revision in diesem Umfang mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.
19 Zu I.:
20 Die Revision erweist sich jedoch, soweit sie sich gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses in Spruchpunkt I. sowie der damit untrennbar verknüpften Kostenentscheidung hinsichtlich der Kosten des behördlichen Verfahrens (Spruchpunkt II.) richtet, mit ihrem Vorbringen zur Unzulässigkeit der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Revisionswerbers als zulässig und begründet.
21 Gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG hindert das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses. Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine ordnungsgemäße Ladung, von der dann nicht gesprochen werden kann, wenn einer der in gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendendem (vgl. hierzu VwGH 12.5.2021, Ra 2020/02/0060, mwN) - § 19 Abs. 3 AVG genannten, das Nichterscheinen rechtfertigenden Gründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun (vgl. hierzu VwGH 20.12.2021, Ra 2018/08/0013; 17.1.2022, Ra 2021/02/0248, jeweils mwN).
22 Eine berufliche Verhinderung kann dabei nur dann ein sonstiges begründetes Hindernis im Sinn des § 19 Abs. 3 AVG bilden, wenn sie nicht etwa durch zumutbare Dispositionen hätte beseitigt werden können (vgl. VwGH 27.2.2018, Ra 2018/05/0008, mwN).
23 Der Revisionswerber ersuchte mit Schreiben vom 28. April 2023 um die Verlegung der für den 4. Mai 2023 anberaumten mündlichen Verhandlung und begründete dies mit einem unaufschiebbaren Notariatstermin, wobei er eine Bestätigung des betreffenden Notars vom 27. April 2023 über diesen Termin vorlegte. Zwar konnten dem Schreiben vom 28. April 2023 nicht die näheren Umstände dieses Termins entnommen werden, jedoch wurde das diesbezügliche Vorbringen im Rahmen der am 4. Mai 2023 in Abwesenheit des Revisionswerbers durchgeführten Verhandlung, an der dessen Vertreter teilgenommen hat, durch diesen dahingehend konkretisiert, dass es sich um einen Termin zu Gründung einer Gesellschaft handle. Insbesondere kann den Ausführungen des Vertreters des Revisionswerbers auch entnommen werden, dass der Revisionswerber (die ihm zumutbaren) Dispositionsversuche zur Beseitigung der Verhinderung unternommen hat, zumal vorgebracht wurde, dass aufgrund der kurzfristigen Verlegung der Verhandlung und der Teilnahme anderer Personen, nämlich der zukünftigen Gesellschafter, an diesem Termin kein Ersatztermin habe vereinbart werden können, wobei die Bedeutung der zeitlichen Nähe eines solchen Ersatztermins dargelegt wurde.
24 Der Revisionswerber hat damit hinreichend begründet dargetan, weshalb der mit der mündlichen Verhandlung kollidierende und bereits zuvor vereinbarte Notariatstermin unverschiebbar war und somit ein zwingender Grund für die Nichtbefolgung der Ladung vorlag (vgl. demgegenüber VwGH 9.6.2021, Ra 2021/03/0083, wenn nicht einmal konkret geltend gemacht wurde, dass ein Hindernis eine Gesellschafterversammlung nicht durch zumutbare Dispositionen hätte beseitigt werden können, und dem Teilnehmerkreis keine unternehmensfremden oder nicht im Auftrag des Revisionswerbers tätig gewordenen Personen angehörten).
25 Da somit ein Rechtfertigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG vorlag, hätte das Verwaltungsgericht die mündliche Verhandlung nicht in Abwesenheit des Revisionswerbers durchführen dürfen. Dies ist dem rechtswidrigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gleichzuhalten. Darin liegt ein Verfahrensmangel, der im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK ohne nähere Prüfung seiner Relevanz zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führt (vgl. VwGH 23.2.2023, Ra 2022/08/0137; siehe auch VwGH 23.1.2020, Ra 2019/11/0183, jeweils mwN).
26 Das angefochtene Erkenntnis war daher in dem im Spruch genannten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben. Da das Verwaltungsgericht hinsichtlich des von ihm bestätigten trennbaren Spruchpunktes 1. des Straferkenntnisses keine Kosten gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG vorgeschrieben hatte, unterblieb die Aufhebung eines solchen Spruchpunktes.
27 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.
28 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Da für den Schriftsatzaufwand (§ 48 Abs. 1 Z 2 VwGG) in der zitierten Verordnung gemäß § 49 Abs. 1 VwGG Pauschalbeträge festgesetzt wurden, in welchen auch bereits die geltend gemachte Umsatzsteuer enthalten ist (vgl. VwGH 15.12.2020, Ra 2019/02/0223, mwN), war das über den Ersatz der Eingabegebühr und den in der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014 genannten Pauschalbetrag (vgl. § 1 Z 1 lit. a leg. cit.) hinausgehende Mehrbegehren abzuweisen.
Wien, am 13. Februar 2024