Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Schörner, über die Revision des K in S, vertreten durch die Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte GmbH in 5700 Zell/See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 10. August 2023, 405 4/4643/1/41 2023, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber wurde mit dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg (Verwaltungsgericht) nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen wegen der Überschreitung der auf Freilandstraßen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 53 km/h an einem näher konkretisierten Tatort schuldig erkannt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung des § 20 Abs. 2 iVm. § 99 Abs. 2e StVO wurde über den Revisionswerber eine (im Vergleich zum Straferkenntnis jeweils herabgesetzte) Geld- sowie Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Das Verwaltungsgericht reduzierte den Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens und sprach aus, dass der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen müsse. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe als Lenker eines näher bezeichneten KFZ am Tatort zur Tatzeit die auf Freilandstraßen (ausgenommen Autobahnen) zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 53 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz von 15% sei zu seinen Gunsten abgezogen worden. Sein Cousin sei zur gleichen Zeit am gleichen Ort das Fahrzeug mit dem polizeilichen Kennzeichen X, parallel bzw. knapp dahinter mit derselben Geschwindigkeit gefahren. Der Revisionswerber und sein Cousin, jeweils mit einer bestimmten Automarke unterwegs, hätten das zivile Polizeifahrzeug mit ungeeichtem Tachometer ca. 100 km/h fahrend bei Strkm 25,8, vor der Abfahrt E, unmittelbar nach der zweispurigen Richtungsfahrbahn in Richtung L, mit deutlichem Geschwindigkeitsunterschied überholt. Der Revisionswerber habe sein Fahrzeug zwar beschleunigt, aber nicht so stark beschleunigt, dass für die Beamten eine Verfolgung aussichtslos gewesen wäre. Die Polizeibeamten hätten vom Revisionswerber unbemerkt die Verfolgung aufgenommen und sei das schlechter motorisierte zivile Polizeifahrzeug bis auf 180 km/h laut Tacho beschleunigt worden, wobei sich der Abstand auch zuletzt zum Fahrzeug des Revisionswerbers bei der gefahrenen Geschwindigkeit von 180 km/h vergrößert habe. Die Beamten hätten dann die Geschwindigkeit wegen eines Bereichs mit der Gefahr von Wildwechsel und bei kurvenreicher Streckenführung bei ca. StrKm 24,00, reduziert und kurzzeitig Sichtkontakt verloren, hätten aber vor der Abzweigung ins G-Tal wieder aufschließen und dann die Anhaltung durchführen können. Kurz vor der Kreuzung habe der Revisionswerber das zivile Polizeifahrzeug als Polizeifahrzeug wahrgenommen. Alle drei Polizeibeamten hätten am Tachometer des Polizeifahrzeuges bei der Nachfahrt am Tacho 180 km/h abgelesen.
3 Der Sachverständige R habe eine Vergleichsfahrt durchgeführt, wobei der relevante Streckenabschnitt von der Polizei gesperrt worden sei. Der Sachverständige habe mit dem Vergleichsfahrzeug von Strkm 25,8 bis 24,8 auf eine Geschwindigkeit von 164 km/h, ausgehend von 102 km/h und bis Strkm 24,3 auf die Geschwindigkeit von 180 km/h laut Fahrzeugtacho beschleunigt. Bis Strkm 24,25, habe auf 182 km/h beschleunigt werden können, bis Strkm 24,2 auf 183 km/h.
4 Das Verwaltungsgericht begründete ausführlich seine Beweiswürdigung, die sich auf die Aussagen der drei Polizeibeamten sowie ein Sachverständigengutachten stützt und nähere Ausführungen dazu enthält, weshalb der Verantwortung des Revisionswerbers und seines Cousins nicht gefolgt werde; insbesondere führte das Verwaltungsgericht auch aus, die Behauptung des Revisionswerbers, das zivile Polizeifahrzeug könne bei dem Streckenabschnitt mit den Steigungen keine 180 km/h erreichen, sei durch das Sachverständigengutachten widerlegt.
5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der Revisionswerber habe die angelastete Verwaltungsübertretung verwirklicht. Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei für ungeeichte Tachometer eine allgemein übliche Toleranz von 10 % einzurechnen. Vorliegend sei sogar eine Toleranz von 15 % berücksichtigt worden. Die Messung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho sei eine zulässige Methode der Geschwindigkeitsmessung, wobei das Verwaltungsgericht hiezu auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwies, wonach eine Beobachtungsstrecke von ca. 100 m für ausreichend erachtet werde sowie, dass das Polizeifahrzeug den Abstand zum angezeigten Fahrzeug „mehrmals verringere“, es an sich nicht hindere, dass ein gleichbleibender Abstand auf einer Strecke von 100 m eingehalten werde. Nichts Anderes könne - so das Verwaltungsgericht - für die Vergrößerung des Abstands zum angezeigten Fahrzeug bedeuten. Aufgrund des Ermittlungsergebnisses sei davon auszugehen, dass die vorgeworfene Geschwindigkeit erst am Ende des vorgeworfenen Tatortbereiches erreicht worden sei, weshalb eine entsprechende Einschränkung auf den Straßenbereich bei Strkm 24,3 vorzunehmen gewesen sei.
6 Dem Antrag auf Durchführung eines Ortsaugenscheins und auf Beiziehung des Revisionswerbers und seines Rechtsvertreters zur Nachstellfahrt sei keine Folge zu geben gewesen, weil der Ablauf der Fahrt und die örtliche Situation auf der relevanten Straßenstrecke durch das Video der Nachfahrt und die Angaben des Sachverständigen entscheidungsrelevant geklärt seien.
7 Zuletzt begründete das Verwaltungsgericht seine Strafzumessung.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
9 Diese erweist sich als unzulässig:
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Zunächst wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes verletzt: Es sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Voraussetzung für eine Bestrafung, dass das dem Beschuldigtenfahrzeug nachfolgende Fahrzeug über eine bestimmte Distanz gleichmäßig hinter diesem Fahrzeug herfahre. Von dieser Rechtsprechung sei das Verwaltungsgericht abgewichen, weil seitens des Verwaltungsgerichtes in weiterer Folge ausgeführt werde, dass der Umstand, dass das den Revisionswerber verfolgende Polizeifahrzeug den Abstand mehrmals verringert habe, nicht gegen den Umstand spreche, dass eine Strecke von 100 m Nachfahrt eingehalten worden wäre. Genau in diesem Punkt weiche das Verwaltungsgericht von der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab. Seitens des Verwaltungsgerichts werde genau hierbei übersehen, dass eine Nachfahrt über eine Strecke von zumindest 100 Meter mit gleichbleibendem Abstand stattzufinden habe. Dies sei aber genau nicht der Fall, weil sich laut Erkenntnis des Verwaltungsgerichts der Abstand „mehrmals verringert“ habe. Der Umstand, dass sich der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Revisionswerbers und dem Dienstfahrzeug mehrmals verringert habe, verhindere die Nachfahrt mit einem gleichbleibenden Abstand und sohin eine rechtsrichtige Geschwindigkeitsfeststellung.
14 Aufgrund der ungenauen bzw. nicht gleichbleibenden Nachfahrt, sowie aufgrund der kurvigen, sowie an- und absteigenden Strecke, sei daher jedenfalls eine höhere Messtoleranz, nämlich 30 % , heranzuziehen.
15 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass das Nachfahren mit dem Dienstfahrzeug und das Ablesen des damit ausgestatteten Tachometers grundsätzlich ein taugliches und zulässiges Beweismittel zur Feststellung einer von einem Fahrzeug eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit darstellt. Voraussetzung hiefür ist jedoch, dass das Nachfahren über eine Strecke und über eine Zeitspanne erfolgt, die lange genug sind, um die Einhaltung etwa derselben Geschwindigkeit wie der des beobachteten Fahrzeuges prüfen und sodann das Ablesen der eigenen Geschwindigkeit ermöglichen zu können (vgl. etwa VwGH 17.1.2022, Ra 2021/02/0248, mwN). Es entspricht auch der ständigen hg. Rechtsprechung, dass die Tatsache, dass das Polizeifahrzeug den Abstand zum angezeigten Fahrzeug „mehrmals verringert“ hat, gerade nicht hindert, dass ein gleichbleibender Abstand auf einer Strecke von 100 m eingehalten wird (vgl. z.B. VwGH 29.8.1990, 90/02/0058).
16 Es ist im vorliegenden Fall angesichts der Feststellungen und der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes nicht zu erkennen, warum diese Grundsätze nicht auch für den hier vorliegenden Fall gelten sollten oder dass das Verwaltungsgericht den Grundsätzen der hg. Rechtsprechung gerade nicht entsprochen hätte (vgl. auch VwGH 6.9.2001, 98/03/0146, mwN). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird damit nicht aufgezeigt.
17 Darüber hinaus wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe den Tatort geändert: im Straferkenntnis der belangten Behörde sei dem Revisionswerber die Geschwindigkeitsübertretung im Bereich Straßenkilometer 24,8 bis 24,3 angelastet worden; nunmehr sei seitens des Verwaltungsgerichtes der Tatort auf den Bereich Straßenkilometer 24,3 abgeändert worden. Eine Änderung des Tatortes sei nach Eintritt der Verfolgungsverjährung auch wegen der Gefahr der Doppelbestrafung unzulässig.
18 Eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG ist auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z 2 VStG zu beziehen (VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0048, mwN). Es ist somit erforderlich, dass sich die Verfolgungshandlung im Sinn der §§ 31 und 32 VStG auf alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen muss (VwGH 5.12.2017, Ra 2017/02/0186, mwN).
19 Dass das Verwaltungsgericht gegenüber der von der belangten Behörde vorgenommenen Tatanlastung zusätzliche Tatbestandselemente herangezogen hätte, ist nicht ersichtlich. Es erfolgte lediglich eine Präzisierung des Spruchs hinsichtlich des Tatortes in Form einer Einschränkung auf einen konkreten, bereits angelasteten Straßenkilometer und keine die Sache des Beschwerdeverfahrens überschreitende Erweiterung oder Änderung des Tatvorwurfs.
20 Der Revisionswerber zeigt auch nicht auf, dass die ihm vorgeworfene Tat nicht insoweit unverwechselbar konkretisiert gewesen sei, dass er außer Stande gewesen sei, auf den Vorwurf zu reagieren und damit sein Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/02/0013, 0014, mwN), oder dass er der Gefahr einer Doppelverfolgung ausgesetzt werde (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2019/02/0213, mwN).
21 Zuletzt wird zur Zulässigkeit der Revision ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht keinen Ortsaugenschein durchgeführt. Ein Ortsaugenschein sei nach näher bezeichneter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dann durchzuführen, wenn dieser zweckdienlich und notwendig zur Feststellung des Sachverhalts sei. Bei der Strecke, auf welcher die angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden sei, handle es sich um eine Strecke mit An- und Abstiegen sowie zahlreichen Kurven, weshalb daher die durchgeführte Nachfahrt des Sachverständigen jedenfalls unter Anwesenheit sämtlicher Parteien bzw. Beteiligten hätte durchgeführt werden müssen. Dies insbesondere um beispielsweise die genauen Beschleunigungspunkte bzw. Bremspunkte festzustellen. Dies sei seitens des Verwaltungsgerichtes unterlassen worden, was jedenfalls einen die Rechtssicherheit und Rechtseinheit beeinträchtigenden Verfahrensfehler darstelle.
22 Die Zulässigkeit der Revision setzt im Zusammenhang mit einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann bei einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass im Falle der Durchführung eines mängelfreien Verfahrens abstrakt die Möglichkeit bestehen muss, zu einer anderen - für die revisionswerbende Partei günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu gelangen (vgl. VwGH 20.4.2020, Ra 2020/02/0053, mwN).
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Beurteilung, ob eine Beweisaufnahme - wie etwa ein Ortsaugenschein - im Einzelfall notwendig ist, dem Verwaltungsgericht obliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG läge diesbezüglich nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 2.6.2021, Ra 2019/02/0239, mwN). Dies ist vorliegend aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens weder erkennbar noch wurde dies in der Revision aufgezeigt.
24 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 13. Oktober 2023