Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des M M, in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. Mai 2023, Zl. VGW 102/067/3901/2023 9, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien),
Spruch
I. den
Beschluss
gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde gemäß § 28 Abs. 6 und § 31 Abs. 1 VwGVG wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Wien richtet (Spruchpunkt 1. des angefochtenen Beschlusses), zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Der Revision wird, soweit sie sich gegen die Verpflichtung des Revisionswerbers zum Aufwandersatz gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG Aufwandersatzverordnung VwG AufwErsV, BGBl. II Nr. 517/2013, in der Höhe von € 57,40 für Vorlageaufwand und € 368,80 für Schriftsatzaufwand gegenüber dem Bund richtet (Spruchpunkt 2. des angefochtenen Beschlusses), Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahingehend abgeändert, dass dessen Spruchpunkt 2. ersatzlos entfällt.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Schriftsatz vom 21. März 2023 erhob der Revisionswerber beim Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) eine Maßnahmenbeschwerde wegen der „Verwehrung der Inanspruchnahme / des Empfangs des Besuchs des Rechtsbeistandes des BF in den Räumlichkeiten des Polizeianhaltezentrums Hernalser Gürtel (PAZ)“ sowie eine Richtlinienbeschwerde wegen „Verletzung der Dokumentationspflicht iSd § 10 RL-VO“. Darin führte der Revisionswerber unter anderem aus, es sei für ihn nicht eindeutig ersichtlich, auf welcher gesetzlichen Grundlage die in Beschwerde gezogenen Amtshandlungen erfolgt seien, weshalb „die Beschwerde aus anwaltlicher Vorsicht mit Schriftsatz vom 21.03.2023 auch beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht“ werde. Unter der Annahme, dass die Festnahme und Anhaltung des Revisionswerbers auf der Grundlage des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) erfolgt sei, ergebe sich die Zulässigkeit der Beschwerdeerhebung an das Verwaltungsgericht. „Sollte aus Sicht des Verwaltungsgerichtes Wien erkennbar sein, dass die Beschwerdesache ganz oder teilweise in die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes fällt, wird ... um ... Weiterleitung der Beschwerde gemäß § 6 AVG an das Bundesverwaltungsgericht ersucht“.
2 In ihrer Gegenschrift vom 18. April 2023 wendete die Landespolizeidirektion Wien (belangte Behörde) zusammengefasst die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts ein, weil die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beim Vollzug der Anhaltung eines Fremden gemäß § 40 BFA VG und ihren Modalitäten in einer Angelegenheit der unmittelbaren Bundesverwaltung tätig geworden seien und deshalb die Zuständigkeit für die Behandlung der Maßnahmenbeschwerde gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA VG beim Bundesverwaltungsgericht liege. Die belangte Behörde beantragte insofern, „die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen wobei Schriftsatzaufwand und Vorlageaufwandgemäß § 1 der VwG-AufwErsV in der geltenden Fassung verzeichnet werden“.
3 In seiner Eingabe vom 16. Mai 2023 trat der Revisionswerber der Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach die in Beschwerde gezogene Amtshandlung in Vollziehung der unmittelbaren Bundesverwaltung erfolgt sei und von einer sachlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Maßnahmenbeschwerde auszugehen sei, nicht entgegen. Aus anwaltlicher Vorsicht seien die Maßnahmenbeschwerde und die Richtlinienbeschwerde sowohl beim Verwaltungsgericht als auch beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht worden. Das Bundesverwaltungsgericht gehe von seiner eigenen Zuständigkeit für die Maßnahmenbeschwerde aus und habe lediglich die Weiterleitung der Richtlinienbeschwerde gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG an das Verwaltungsgericht veranlasst. Der Revisionswerber ersuche das Verwaltungsgericht, „die Weiterleitung der Maßnahmenbeschwerde gemäß § 6 AVG an das Bundesverwaltungsgericht“ zu veranlassen.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Maßnahmenbeschwerde gemäß §§ 28 Abs. 6 und 31 Abs. 1 VwGVG wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zurück (Spruchpunkt 1.), verpflichtete den Revisionswerber gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG Aufwandersatzverordnung - VwG AufwErsV, BGBl. II Nr. 517/2013, gegenüber dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde zum Aufwandersatz in der Höhe von € 57,40 für Vorlageaufwand und € 368,80 für Schriftsatzaufwand binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution (Spruchpunkt 2.) und sprach aus, dass die Revision unzulässig sei (Spruchpunkt 3.).
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe mit „seinem klaren Beschwerdevorbringen ... ausdrücklich auch die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien“ angesprochen. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen habe nicht ausgeschlossen werden können, „dass die Beschwerdeangelegenheit auch in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien“ falle. Das Verwaltungsgericht sei daher gehalten gewesen, seine Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen.
Der Revisionswerber sei gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 BFA VG im Polizeianhaltezentrum angehalten worden. Die Verweigerung des Beratungsgesprächs sei eine Modalität im Abschiebeverfahren des Revisionswerbers. Über die dagegen erhobene Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B VG erkenne gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG das Bundesverwaltungsgericht. Die Maßnahmenbeschwerde sei daher wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen.
Zum Ersuchen des Revisionswerbers auf Weiterleitung der Maßnahmenbeschwerde gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG an das Bundesverwaltungsgericht verwies das Verwaltungsgericht auf die Möglichkeit des Revisionswerbers, die beim Verwaltungsgericht eingebrachte Maßnahmenbeschwerde zurückzuziehen, wenn er von der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ausgehe, und zwar noch vor Einbringung der Gegenschrift der belangten Behörde und dem Entstehen der darin angesprochenen Kosten.
Obzwar die Beschwerde bereits beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht worden sei, werde die Beschwerde im Hinblick auf das Ersuchen des Revisionswerbers in der Eingabe vom 16. Mai 2023 dem Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet.
6 Den Kostenzuspruch gründete das Verwaltungsgericht ausgehend vom Aufwandersatzanspruch auf § 35 Abs. 1, 3 und 4 Z 1 VwGVG iVm § 1 Z 3 und 4 VwG-AufwErsV.
7 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich sowohl gegen die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde als auch gegen die Verpflichtung zum Aufwandersatz.
8 Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
Zu Spruchpunkt I.: Zurückweisung der Revision, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde richtet
9 In Bezug auf die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes moniert die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen zusammengefasst, dass die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Vorgangsweise nach § 6 AVG iVm § 17 VwGVG widerspreche. Weder habe der Revisionswerber auf die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts beharrt noch sei die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts im Entscheidungszeitpunkt zweifelhaft gewesen.
10 Gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 und Abs. 9 B VG kann gegen einen Beschluss eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben, wer durch den Beschluss in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Entscheidend für das Vorliegen der Berechtigung zur Erhebung einer Revision ist somit, ob der Revisionswerber durch den bekämpften Beschluss - ohne Rücksicht auf dessen Rechtmäßigkeit - in einem subjektiven Recht überhaupt verletzt sein kann (vgl. VwGH 7.4.2022, Ra 2019/13/0052, Rn. 12).
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch den Verwaltungsgerichten durch die subsidiäre (sinngemäße) Anwendbarkeit des § 6 AVG (siehe § 17 VwGVG) die Möglichkeit eröffnet, Anbringen, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, an die zuständige Stelle (die auch ein anderes sachlich oder örtlich zuständiges Verwaltungsgericht sein kann) durch verfahrensleitenden Beschluss im Sinn des § 31 Abs. 2 VwGVG weiterzuleiten.
Beschwerden an die Verwaltungsgerichte sind aber „jedenfalls“ dann wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen, wenn die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts zweifelhaft und nicht offenkundig ist. Mit dem Zurückweisungsbeschluss wegen Unzuständigkeit wird jedoch das Beschwerdeverfahren nicht abschließend erledigt. Vielmehr sind die Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu übermitteln (vgl. zu alldem VwGH 13.12.2021, Ra 2021/04/0190, Rn. 14 bis 16, mwN).
12 Vorliegend hat das Verwaltungsgericht unabhängig davon, dass der Revisionswerber die Maßnahmenbeschwerde sowohl beim Verwaltungsgericht als auch beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht hat, die Maßnahmenbeschwerde gemeinsam mit dem Zurückweisungsbeschluss an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.
13 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht darzutun, inwieweit der Revisionswerber durch den Zurückweisungsbeschluss wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes in seinen Rechten verletzt sein kann.
14 Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde richtet, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.: Ersatzlose Behebung der Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
15 Die Revision ist in Bezug auf das Zulässigkeitsvorbringen, wonach die Entscheidung über die Verfahrenskosten gemäß § 35 VwGVG vorliegend nicht dem Verwaltungsgericht, sondern dem Bundesverwaltungsgericht als für die Entscheidung über die Maßnahmenbeschwerde zuständigem Gericht obliege, zulässig und berechtigt.
16 Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 109/2021, hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B VG) obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (Abs. 3).
17 Die Kostenentscheidung ist zur Entscheidung in der Hauptsache akzessorisch. Das heißt, dass sowohl die Frage, welche Behörde bzw. welches Verwaltungsgericht zur Entscheidung über die Kosten zuständig ist, als auch der Inhalt der Kostenentscheidung von der Entscheidung in der Hauptsache abhängen (vgl. etwa VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0184, Rn. 11, mwN).
18 Wie oben in Rn. 11 dargelegt, wird mit dem Zurückweisungsbeschluss wegen Unzuständigkeit das Beschwerdeverfahren nicht abschließend erledigt. Vielmehr sind die Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu übermitteln. Insofern stellt der Zurückweisungsbeschluss wegen Unzuständigkeit im Gegensatz zur Zurückweisung der Beschwerde aus sonstigem Grund wie etwa wegen Versäumung der Beschwerdefrist keine die Hauptsache endgültig erledigende Entscheidung (wie etwa die Zurückweisung der Beschwerde im Sinne des § 35 Abs. 3 VwGVG) dar. Die Entscheidung über die Maßnahmenbeschwerde (Entscheidung in der Hauptsache) hat vielmehr das sachlich zuständige Bundesverwaltungsgericht zu treffen. Erst mit der Entscheidung in der Hauptsache ergibt sich, ob die belangte Behörde oder der Revisionswerber obsiegende Partei ist und gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG Anspruch auf Aufwandersatz gegenüber der unterlegenen Partei hat.
19 Die angefochtene Kostenentscheidung im Zurückweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts wegen Unzuständigkeit erweist sich daher mangels Entscheidung in der Hauptsache als inhaltlich rechtswidrig.
20 Da sich die Sache in Bezug auf die angefochtene Kostenentscheidung als entscheidungsreif darstellt, kann der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst entscheiden, weil mangels Voraussetzung für eine Kostenentscheidung im Sinne des § 35 VwGVG in Bezug auf den Zurückweisungsbeschluss wegen Unzuständigkeit lediglich eine ersatzlose Behebung der verfehlten Kostenentscheidung geboten ist.
21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Revisionsverfahren gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 4. April 2024