JudikaturVwGH

Ra 2023/01/0097 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Mai 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des S V, in B, vertreten durch Mag. Anne Kessler, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Kalchberggasse 6/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2023, Zl. W148 2226304 2/8E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid vom 16. Juni 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

2 Mit Erkenntnis vom 27. März 2020 erkannte das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und erteilte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

3 Am 20. Jänner 2022 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

4 Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 11. Juli 2022 vollinhaltlich ab, und zwar hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei.

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe ab, dass der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 abgewiesen werde. Im Übrigen erklärte das Verwaltungsgericht die Revision für nicht zulässig.

6 Das Verwaltungsgericht traf zu den rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers, auf das Wesentliche zusammengefasst, folgende Feststellungen:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. Jänner 2017 sei der Revisionswerber wegen des als junger Erwachsener begangenen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 Suchtmittelgesetz (SMG), § 27 Abs. 2a 1. Fall SMG schuldig erkannt und zu einer zunächst auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden.

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Graz West vom 30. August 2018 sei der Revisionswerber wiederum wegen des als junger Erwachsener begangenen unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall SMG schuldig erkannt, sowie zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt und die Probezeit der im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 18. Jänner 2017 bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei auf fünf Jahre verlängert worden.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 3. Juni 2019 sei der Revisionswerber wegen des als junger Erwachsener begangenen Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 4. Fall SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG schuldig erkannt und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt worden. Die mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 18. Jänner 2017 bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von vier Monaten sei widerrufen und die Probezeit der mit Urteil des Bezirksgerichtes Graz West vom 30. August 2018 bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe auf fünf Jahre verlängert worden. Der Revisionswerber habe in G „alleine I. vorschriftswidrig Suchtgift 1. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen angeboten, indem er am 13. und 21. August 2018 einem verdeckten Ermittler eine Gesamtmenge von 200 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 25 % (50 Gramm Kokain in Reinsubstanz; 3,3 Grenzmenge) zum Preis von € 19.000,00 offerierte und gemeinsam mit einem Mittäter., 2. vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen [...] und gewinnbringend veräußert hat und 3. alleine zum Zwecke eines gewinnbringenden Verkaufes am 15.08.2018 26 Stück MDMA hältige Ecstasytabletten mit sich führte und 4. ausschließlich zum persönlichen Gebrauch zwischen einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2018 und 14.01.2019 unbekannte Mengen an Delta 9 THC hältigem Cannabiskraut, Kokain, Metamphatamin und Rohopium sowie am 15.01.2019 ca. 8 Gramm Delta 9 THC hältiges Cannabiskraut, besessen hat“. Der Revisionswerber sei vom 18. Jänner 2018 bis 14. Jänner 2020 in Strafhaft in G und in weiterer Folge als Freigänger beschäftigt gewesen. Nach Erhalt des die mit Bescheid des BFA vom 12. November 2019 ausgesprochene Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts vom 27. März 2020 sei der Revisionswerber nach Deutschland geflüchtet. Dort habe er sich bis zu seiner Rücküberstellung am 20. Jänner 2022 aufgehalten. Vom 3. Februar 2022 bis 3. März 2022 habe sich der Revisionswerber zur Verbüßung der noch offenen Freiheitsstrafe in Strafhaft befunden. Unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren sowie der Anordnung der Bewährungshilfe sei er bedingt aus der Strafhaft entlassen worden.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0281, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung wird in der Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, wonach das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, „die seitens des Revisionswerbers vorgelegten Urkunden aus seinem Heimatstaat, die seine asylrelevante Verfolgung belegen entsprechend zu würdigen“, nicht dargetan.

12 Sofern der Revisionswerber rügt, das Verwaltungsgericht hätte Erhebungen zur Richtigkeit der von ihm vorgelegten Urkunden „durch Anfrage im Herkunftsstaat“ durchführen müssen, genügt es darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat besteht. Die Beurteilung der Erforderlichkeit derartiger Erhebungen im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 obliegt der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht. Die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Solchen Fragen kann (nur) dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2021/01/0174, Rn. 9, mwN). Solches zeigt die Revision nicht auf.

13 Im übrigen Zulässigkeitsvorbringen macht die Revision ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Einzelfallprüfung in Zusammenhang mit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 geltend.

14 Gemäß § 8 Abs. 3a erster Satz AsylG 2005 hat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, sofern ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß § 8 Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen ist, auch dann zu unterbleiben, wenn ein Grund für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Fremde wie vorliegend der Revisionswerber von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB (hier: Suchtgifthandel nach § 28a Abs. 1 SMG) rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005).

15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann jedoch eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht allein darauf gestützt werden, dass der Revisionswerber wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 13. September 2018, Ahmed , C 369/17, näher erläutert hat, ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch betont, dass der Zweck dieses Ausschlussgrundes darin besteht, jene Personen, die als des subsidiären Schutzes unwürdig anzusehen sind, von diesem Status auszuschließen (vgl. etwa VwGH 20.9.2022, Ra 2022/01/0129, Rn. 16, mwN).

16 Ein Abweichen des Verwaltungsgerichts von dieser Rechtsprechung legt die Revision fallbezogen nicht dar.

17 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. Mai 2023

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