Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des N S, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Juli 2022, W289 2256310 1/6E, betreffend Sicherstellung eines Reisepasses nach § 39 BFA VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 27. Februar 2022 in das Bundesgebiet ein und ist hier seit 9. März 2022 mit Hauptwohnsitz gemeldet.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18. Mai 2022 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z 3 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
3 Aufgrund eines diesbezüglichen Ersuchens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18. Juni 2022 wurde der Revisionswerber am 21. Juni 2022 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an seiner Meldeadresse aufgesucht. Im Zuge der Erhebung wurde entsprechend dem Auftrag des BFA sein serbischer Reisepass gemäß § 39 BFA VG sichergestellt. Weiters wurde dem Revisionswerber ein Schreiben des BFA über eine „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ in dem gegen ihn geführten Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes sowie über die Einräumung der Möglichkeit anhand von konkreten Fragen zu seiner persönlichen Situation Stellung zu nehmen, ausgehändigt. Der Revisionswerber erstattete keine Stellungnahme.
4 Mit Maßnahmenbeschwerde vom 24. Juni 2022 beantragte der Revisionswerber beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die Sicherstellung bzw. Abnahme seines Reisepasses am 21. Juni 2022 für rechtswidrig zu erklären. Er brachte erstmals vor, mit einer rumänischen Staatsangehörigen verheiratet zu sein und mit dieser sowie dem gemeinsamen Kind zusammen zu leben; seine Ehefrau sei erwerbstätig. Ihm sei sein serbischer Reisepass abgenommen worden, obwohl er „offenbar rechtmäßig in Österreich aufhältig“ sei.
5 Mit Schreiben vom 5. Juli 2022 nahm das BFA zu dieser Maßnahmenbeschwerde Stellung und führte ins Treffen, der Revisionswerber sei in Österreich bereits kurz nach seiner Einreise straffällig geworden. Das BFA führe seit 18. Juni 2022 ein „Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung“. Der Revisionswerber habe die an ihn ergangene Aufforderung, Angaben zu seinen Familienverhältnissen zu machen, ignoriert. Der Reisepass sei zur Sicherung des Verfahrens und zur Verhinderung eines möglichen Untertauchens im Ausland vor der behördlichen Entscheidung sowie zur Gewährleistung einer zeitnahen Ausreise sichergestellt worden. Dem BFA gegenüber sei zu keinem Zeitpunkt „ein Familienverhältnis behauptet“ worden. Das BFA bereite eine persönliche Einvernahme vor, um eine Entscheidung über ein mögliches Aufenthaltsverbot zu treffen, falls der Revisionswerber was er bisher nicht durch die Vorlage von Dokumenten nachgewiesen habe tatsächlich begünstigter Drittstaatsangehöriger sein sollte.
6 Mit einer weiteren Stellungnahme vom 8. Juli 2022 teilte das BFA dem BVwG mit, der Revisionswerber sei am 7. Juli 2022 „im Parteienverkehr des BFA“ erschienen und habe seinen Reisepass abholen wollen. Er habe angegeben, nicht gewusst zu haben, dass eine Maßnahmenbeschwerde eingebracht worden sei, und er werde freiwillig nach Serbien zurückkehren.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Juli 2022 wies das BVwG die Maßnahmenbeschwerde und den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
8 Begründend führte das BVwG zusammengefasst ins Treffen, es ergebe sich aus dem Akteninhalt, dass beim BFA zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Reisepasses und nach wie vor ein amtswegig eingeleitetes Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme anhängig sei. Daher seien gemäß § 39 BFA VG die Organe des Sicherheitsdienstes zur vorläufigen Sicherstellung des serbischen Reisepasses des Revisionswerbers für das BFA ermächtigt gewesen und es sei im Hinblick darauf diese Sicherstellung nicht zu beanstanden. Es seien keine Umstände, insbesondere keine konkret drohenden Nachteile dargetan worden, die eine Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses hätten begründen können. Zu der vom Revisionswerber geltend gemachten Ehe mit einer rumänischen Staatsangehörigen, die der Revisionswerber erstmals in der Maßnahmenbeschwerde vorgebracht habe, ging das BVwG davon aus, dass diese Ehe der Sicherstellung des Reisepasses nicht entgegenstehe, weil die Behörde weiterhin davon ausgehen dürfe, dass die Vollziehung einer (allfälligen) Abschiebung trotzdem möglich sein werde. Unter diesen Aspekten sei nicht zu erkennen, dass das BFA das sichergestellte Dokument nicht benötigen werde.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision führt der Revisionswerber zunächst ins Treffen, das BFA habe Ermittlungen und Feststellungen zu seinen Familienverhältnissen unterlassen. Die Feststellung über das Bestehen seiner Ehe mit einer rumänischen Staatsangehörigen hätte dazu geführt, dass das BVwG ihn als begünstigten Drittstaatsangehörigen angesehen hätte, gegen den die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes nicht zulässig sei.
13 Dabei übersieht der Revisionswerber jedoch, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt dann rechtmäßig ist, wenn die Behörde im Zeitpunkt der Anordnung und der Vornahme der in Rede stehenden Maßnahme vertretbar davon ausgehen konnte, die Voraussetzungen für deren Rechtmäßigkeit fallbezogen nach § 39 Abs. 1 BFA VG, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt sind, Gegenstände oder Dokumente, die für ein Verfahren vor dem BFA oder für eine Abschiebung als „Beweismittel“ benötigt werden, vorläufig sicherzustellen seien gegeben (vgl. zu diesem Maßstab etwa für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Festnahme VwGH 25.5.2023, Ra 2021/21/0014, Rn. 13, mwN).
14 Es wird in der Revision nicht dargetan und es ist auch nicht ersichtlich, dass das BFA im Zeitpunkt der Anordnung und der Vornahme der Sicherstellung des Reisepasses Anhaltspunkte dafür hätte haben können, der Revisionswerber sei mit einer rumänischen Staatsangehörigen, die von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, verheiratet und deshalb als begünstigter Drittstaatsangehöriger rechtmäßig in Österreich aufhältig. Im Übrigen stünde wie das BVwG in dem angefochtenen Erkenntnis zutreffend ausführte auch die Eigenschaft des Revisionswerber als begünstigter Drittstaatsangehöriger wegen seiner Straffälligkeit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ihn und seiner allfälligen Abschiebung und damit aber auch der Sicherstellung seines Reisepasses nach § 39 Abs. 1 BFA VG nicht von vornherein entgegen. Es war daher entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht auch nicht unvertretbar, dass das BVwG davon ausgegangen ist, die in der Beschwerde beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Zweck der näheren Klärung seiner familiären Verhältnisse könne gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben.
15 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung des BVwG, die Sicherstellung des Reisepasses des Revisionswerbers sei entgegen dem von ihm vertretenen Standpunkt unter den vorliegend gegebenen Umständen nicht rechtswidrig gewesen, als jedenfalls nicht unvertretbar, sodass gegenständlich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG vorliegt (siehe zur hierfür bestehenden Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls bei einzelfallbezogenen Beurteilungen etwa VwGH 21.12.2022, Ra 2020/21/0471, Rn. 23, mwN).
16 Schließlich beanstandet der insbesondere eine Ausreiseabsicht bestreitende Revisionswerber in der vorliegenden Revision grundsätzlich noch zu Recht, dass das BVwG seinem Erkenntnis den Inhalt des Schreibens des BFA vom 8. Juli 2022 zu Grunde gelegt habe, ohne dem Revisionswerber zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt zu haben. Auch insoweit liegt jedoch schon mangels einer Relevanzdarstellung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG vor.
17 Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
18 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 18. Jänner 2024