JudikaturVwGH

Ro 2022/21/0010 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des S A, vertreten durch Dr. Christina Buchleitner, Rechtsanwältin in 1190 Wien, Sieveringer Straße 122, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Juni 2022, I413 2201493 1/71E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 3. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. Juli 2018 abgewiesen wurde. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde, erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei, und gewährte ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

2 Im Juni 2016 hatte der Revisionswerber in Wien eine irakische Staatsangehörige nach islamischem Recht geheiratet. Am 26. März 2021 wurde die gemeinsame Tochter, ebenfalls eine irakische Staatsangehörige, geboren.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies mit Erkenntnis vom 4. Juni 2021 die vom Revisionswerber gegen den Bescheid des BFA vom 3. Juli 2018 erhobene Beschwerde mit einer nicht weiter relevanten Maßgabe als unbegründet ab.

4 Der vom Revisionswerber angerufene Verfassungsgerichtshof hob mit dem Erkenntnis VfGH 29.11.2021, E 2557/2021 (im Folgenden auch: Vorerkenntnis), das Erkenntnis des BVwG vom 4. Juni 2021, soweit damit die Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen worden war, wegen Verletzung im gemäß Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens auf. Im Übrigen sohin hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.

5 Mit am 13. Jänner 2022 mündlich verkündetem (und in der Folge gekürzt ausgefertigtem) Erkenntnis des BVwG wurde der Lebensgefährtin des Revisionswerbers und der gemeinsamen Tochter jeweils der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit (zunächst) für ein Jahr erteilt.

6 Im zweiten Rechtsgang gab das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juni 2022 der Beschwerde des Revisionswerbers insoweit statt, als es die Frist für die freiwillige Ausreise mit drei Monaten ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.

7 Im Rahmen der nach § 9 BFA VG durchgeführten Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG zugunsten des Revisionswerbers neben der sechseinhalbjährigen Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet, der etwa dreieinhalbjährigen Dauer des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, seinen Deutschkenntnissen auf niedrigem Niveau und seinen (geringfügigen) beruflichen Tätigkeiten insbesondere die familiären Bindungen zu seiner in Österreich subsidiär schutzberechtigten Lebensgefährtin und der ebenfalls subsidiär schutzberechtigten Tochter, wobei es ausdrücklich feststellte, dass er zu seinem Kind eine starke Bindung habe.

8 Das BVwG referierte in diesem Zusammenhang zwar im Erkenntnis näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine „Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls“ darstelle und Kontakte über Telefon oder E Mail diese Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht wettmachen könnten. Werde ein Kind durch die gegenüber dem Vater erlassene Rückkehrentscheidung gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, bedürfe diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung, die so das BVwG die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darstellend nicht schon deshalb gegeben sei, weil die Geburt des Kindes während des unsicheren Aufenthaltsstatus erfolgt sei. Sie könne aber etwa dann bejaht werden, wenn dem öffentlichen Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sei, wie insbesondere bei relevanter Straffälligkeit oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug.

9 Auf Basis eines eingeholten Gutachtens aus dem Gebiet der allgemeinen Psychologie und der Kinderpsychologie kam das BVwG jedoch dann zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall in dem weder eine Straffälligkeit noch eine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regeln über den Familiennachzug vorliege „unter Zugrundelegung der konkreten, kindesspezifischen Situation der Minderjährigen gerade keine Erforderlichkeit eines Verbleibes des Beschwerdeführers aus dem Gesichtspunkt des Kindeswohls“ gegeben sei, zumal seine Tochter in das stabile familiäre Umfeld der Kindesmutter und deren Familie eingebettet sei. Der beigezogene Sachverständige habe „deutlich“ dargelegt, dass die Grundbedürfnisse von Kindern bis zum dritten Lebensjahr durch verschiedene Bezugspersonen sichergestellt werden könnten und Kinder eine Trennung von einem Elternteil umso leichter verarbeiten könnten, je jünger sie seien. Darüber hinaus habe der Sachverständige aufgezeigt, dass auch bei „gewissen Berufsgruppen sehr wohl ein guter Kontakt zu Kindern mittels moderner Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden“ könne, „ansonsten auch alle Kinder von Alleinerziehenden welche bei einer realitätsnahen Betrachtungsweise die Lebenssituation auch oft nicht freiwillig derart gewählt haben Entwicklungsdefizite aufweisen müssten“. Im Ergebnis überwögen daher im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls wegen der mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers, des Fehlens einer außergewöhnlichen Integration und des Bestehens von Bindungen zum Herkunftsstaat die öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften die individuellen Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet.

10 Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, dass sein Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe oben Rn. 8) abweiche. Die Entscheidung hänge von der Frage ab, „ob die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Kindeswohl unabhängig vom konkreten familiären Umfeld und der konkreten kinderspezifischen Situation des minderjährigen Kindes in Anwendung zu bringen ist, oder ob, wie im gegenständlichen Fall, eine für jedes Kind individuelle und mehrerlei Variablen umfassende Kindeswohlbeurteilung“ vorzunehmen sei.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

12 Die Begründung der Zulassung der Revision lässt erkennen, dass das BVwG die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Kindeswohl missversteht. Das BVwG erkannte zwar richtig, dass bei der nach § 9 BFA VG durchzuführenden Interessenabwägung der Aspekt des Kindeswohls „gebührend“ (siehe dazu VwGH 15.3.2022, Ra 2021/21/0286, Rn. 14, mwN) zu berücksichtigen ist (siehe etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, Rn. 11, mwN, und daran anschließend VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, Rn. 8, sowie VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0114, Rn. 17; weiters etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 20, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis auch zitierten Rechtsprechung in diesem Zusammenhang bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0465, Rn. 10, mit Verweis auf VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 18, mwN, und VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 20).

13 Diese Grundsätze ändern nichts daran, dass die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes freilich von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängt (vgl. VwGH 26.7.2022, Ra 2022/21/0093, Rn. 16, mwN, und darauf Bezug nehmend VwGH 18.1.2024, Ra 2023/21/0112, Rn. 18). Demnach treffen die in der Rechtsprechung getroffenen Aussagen bei typisierender Betrachtungsweise zwar regelmäßig zu. Dies schließt aber nicht aus, dass nach Maßgabe der Umstände des konkreten Einzelfalles eine Beeinträchtigung des Kindeswohls durch eine gegen einen Elternteil erlassene Rückkehrentscheidung zu verneinen sein könnte. Dass ein solcher Fall hier vorläge, zeigt das BVwG im angefochtenen Erkenntnis jedoch worauf noch näher eingegangen wird nicht nachvollziehbar auf.

14 Die Begründung des BVwG für die Zulassung der Revision geht daher ins Leere, weil sich die aufgeworfene Frage vor dem Hintergrund der schon bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von vornherein nicht stellt. Die Revision erweist sich aber trotzdem unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig, weil das BVwG wie es selbst ausdrücklich zugestand im vorliegenden Fall von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Trennung des Kindes von einem Elternteil eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls bewirkt, abgewichen ist. Das wird in der Revision ebenso zutreffend mit dem Hinweis auf VwGH 24.10.2019, Ra 2018/21/0246 [Rn. 14], geltend gemacht wie ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des § 87 Abs. 2 VfGG.

15 Ausgehend davon, dass das BVwG im ersten Rechtsgang eine Beeinträchtigung des Kindeswohls zu Unrecht mit der Begründung verneint hatte, das Familienleben könne im Herkunftsstaat fortgesetzt werden, bemängelte der Verfassungsgerichtshof im Vorerkenntnis unter Pkt. II.4.2.2., das BVwG habe es unterlassen, sich mit den Konsequenzen einer Trennung der Familienangehörigen auf deren Familienleben auseinanderzusetzen. Insbesondere habe es auf die Beziehung zwischen Vater und Kind nicht im erforderlichen Ausmaß Bedacht genommen und die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl nicht berücksichtigt. Das werde so sind die Ausführungen im Vorerkenntnis zu verstehen vom BVwG im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein. Diesbezüglich hielt der Verfassungsgerichtshof aber ausdrücklich fest, dass sich „ergeben könnte, dass auch angesichts der besonderen Bedürfnisse von Kindern in der ersten Lebensphase eine Trennung nicht im Sinne des Kindeswohles ist“ (Hinweis auf VfGH 10.3.2020, E 4269/2019, und VfGH 8.6.2021, E 4076/2020, jeweils „zur zu berücksichtigenden Beziehung zwischen Vater und Kind“).

16 Davon ist das BVwG insofern abgewichen, als es im Ergebnis „besondere Bedürfnisse von Kindern in der ersten Lebensphase“ in Bezug auf beide Elternteile verneinte. Damit hat es die gemäß § 87 Abs. 2 VfGG bestehende Bindungswirkung des Vorerkenntnisses (vgl. dazu etwa VwGH 28.3.2023, Ra 2021/18/0122, Rn. 13, mwN) missachtet und seine Entscheidung schon deshalb mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

17 Ein Abgehen von der in Rn. 12/13 zitierten Rechtsprechung lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass das BVwG auf Basis des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens davon ausging, dass trotz der durch die Rückkehrentscheidung bewirkten Trennung des Revisionswerbers von seiner (damals 15 Monate alten) Tochter fallbezogen keine zu berücksichtigende Beeinträchtigung des Kindeswohls anzunehmen sei, weil eine „nachhaltige Schädigung“ des Kindes oder „tiefgreifende Entwicklungsstörungen“ nicht zu erwarten seien. Diese Einschätzung beruht nämlich einerseits auf unschlüssigen Überlegungen des BVwG und ist andererseits rechtlich verfehlt:

18 Das BVwG begründete seine Beurteilung maßgeblich damit, dass die Tochter des Revisionswerbers in eine stabile familiäre Situation (nämlich jene der Kindesmutter und deren Familie) eingebettet sei. Dabei wurde jedoch außer Acht gelassen, dass wie in der Revision auch zu Recht aufgezeigt wird diese Stabilität aufgrund der Trennung der Kindesmutter vom Kindesvater maßgeblich beeinträchtigt werden könnte (zur Notwendigkeit der Berücksichtigung von zukünftigen Entwicklungen vgl. erneut VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 20, sowie VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, Rn. 8), was angesichts der schon seit dem Jahr 2015 bestehenden Beziehung zwischen dem Revisionswerber und seiner Lebensgefährtin nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Wie aus dem Inhalt der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten ersichtlich ist, ging der Sachverständige in seinem Gutachten, dem das BVwG folgte, zwar davon aus, das Kind lebe in einem stabilen psychosozialen Umfeld. Im Zuge der Gutachtenserörterung während der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gab er jedoch auch an, dass eine etwaige destabilisierende Wirkung der Trennung der Kindesmutter vom Revisionswerber auf deren psychische Gesundheit von ihm nicht vorhergesagt werden könne. Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG die Verneinung einer Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht ohne Weiteres darauf stützen dürfen, dass die Tochter des Revisionswerbers in einem stabilen familiären Umfeld lebe und auch bei einer Trennung seiner Eltern weiterhin leben werde.

19 Außerdem ist der vom BVwG in diesem Zusammenhang vorgenommene Vergleich mit Angehörigen bestimmter Berufsgruppen („UN Soldaten, Polizisten im EU Einsatz [Frontex] oder vielfach auch Arbeiter, welche in anderen Ländern tätig sind“) oder mit alleinerziehenden Elternteilen schon deswegen nicht nachvollziehbar, weil es sich vorliegend nicht um eine von den Beteiligten selbst gewählte Lebensform, sondern um die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme als staatlicher Hoheitsakt handelt, der mit einem gravierenden Grundrechtseingriff verbunden ist. In diesen Fällen ist eine Beeinträchtigung des Kindeswohls nur dann hinzunehmen, wenn diese Konsequenz durch ein entsprechend großes öffentliches Interesse ausreichend gerechtfertigt ist. Im Übrigen stellte das BVwG nur auf die Situation von Kindern bis zum dritten Lebensjahr ab, ohne zu berücksichtigen, dass die Trennung zwischen dem Revisionswerber und seiner Tochter mangels ersichtlichen Vorliegens der Voraussetzungen für einen Familiennachzug voraussichtlich auf Dauer wäre (vgl. dazu erneut VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 18).

20 Soweit das BVwG den Revisionswerber noch auf die Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Kontaktes über „moderne Kommunikationsmittel“ verwies, widerspricht das auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Kontakte über (Video )Telefonate oder E Mail nicht die durch die Trennung von Mutter oder Vater verursachte maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls wettmachen können (vgl. dazu VwGH 24.10.2019, Ra 2018/21/0246, Rn. 14, mwN, und erneut VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134, nunmehr Rn. 21).

21 Vielmehr hätte das BVwG somit als entscheidungswesentlich berücksichtigen müssen, dass nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zwischen Vater und Tochter eine starke Bindung besteht und nach der vom BVwG übernommenen Einschätzung des Sachverständigen die Trennung (zunächst) eine „akute Belastungssituation des Kindes“ bewirken werde. Schon deshalb wäre daher von einer maßgeblichen Beeinträchtigung des Kindeswohls auszugehen gewesen, weil sich wie in Rn. 18 bis 20 dargelegt die diesbezügliche Relativierung nicht tragfähig begründen lässt. Eine solche Beeinträchtigung ist nämlich aus rechtlicher Sicht entgegen der Meinung des BVwG nicht erst dann gegeben, wenn eine „nachhaltige Schädigung“ des Kindes oder „tiefgreifende Entwicklungsstörungen“ zu erwarten sind.

22 Angesichts dessen wäre es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall darauf angekommen, dass eine Trennung von in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen nicht schon wegen des Eingehens der Beziehung während unsicheren Aufenthaltes, sondern nur dann gerechtfertigt ist, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“ (siehe erneut VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 18, und VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 20). Das Vorliegen eines dieser Umstände hat das BVwG gegenständlich aber ausdrücklich verneint. Vor diesem Hintergrund hätte es auf Basis der Sachlage im Entscheidungszeitpunkt somit zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber schon das Kindeswohl entgegensteht.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher nach Durchführung eines Verfahrens gemäß § 30a Abs. 4 bis 6 VwGG durch das BVwG, im Zuge dessen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

24 Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Februar 2024

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