Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision des H J, vertreten durch Mag. a Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2022, L508 2195320 1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein staatenloser Palästinenser aus dem Gaza Gebiet, stellte am 17. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, wegen des Krieges und einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Hamas geflohen zu sein.
2 Mit Bescheid vom 4. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Gaza zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit einer hier nicht relevanten Maßgabe nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und, soweit die Beschwerde „die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 und 56 AsylG 2005“ beantragt habe, mangels Zuständigkeit des BVwG als unzulässig zurück. Des Weiteren erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die das BVwG dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der verwaltungsgerichtlichen Akten des Verfahrens vorlegte.
5 Mit Beschluss vom 28. Februar 2023, E 2384/2022 9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das angefochtene Erkenntnis erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und bringt vor, der Revisionswerber habe konkret geltend gemacht, dass er der Zwangsrekrutierung durch die Hamas ausgesetzt sei. Infolge des Heranziehens von unvollständigen Länderfeststellungen sei die Vorfrage, ob eine Rückkehr nach Gaza möglich sei, unrichtig gelöst und in der Folge auch keine Prüfung, ob die Verfolgung gar nicht dargetan werden müsse, vorgenommen worden. Die Prüfung, ob der Schutz durch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East UNRWA) für den Revisionswerber nach wie vor bestehe, sei unterblieben.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat auf Grundlage der Bestimmungen des § 3 AsylG 2005, der GFK und der Richtlinie 2011/95/EU bereits geklärt, dass Voraussetzungen für den „ipso facto Schutz“ lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden sind, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2011/95/EU vorliegt. Für die Frage der Zuerkennung des „ipso facto Schutzes“ ist weiter maßgeblich, ob der Schutz bzw. Beistand von UNRWA als weggefallen im Sinn der Richtlinie 2011/95/EU anzusehen ist. Für die zur Klärung dieser Frage erforderliche Feststellung, ob dieser Beistand tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern, den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (vgl. zu allem VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0274, mwN, mit Hinweis unter anderem auf EuGH 19.12.2012, El Kott , C 364/11, Rn. 61, bzw. aus der rezenten Rechtsprechung VwGH 5.12.2022, Ra 2022/18/0179; 21.9.2022, Ra 2022/19/0108).
11 Ein Zwang, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, und somit ein Wegfall des Schutzes von UNRWA, hängt nicht vom Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A GFK ab, sondern ist vielmehr auch gegeben, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (EuGH 19.12.2012, El Kott , C 364/11, Rn. 63, 65). Eine in Folge bewaffneter Konflikte entstandene unzureichende Versorgungslage stellt folglich einen nicht vom Revisionswerber zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Grund für seinen Wegzug dar. Sie ist damit auch als Grund für den Wegfall des Schutzes oder Beistandes von UNRWA anzusehen, der zur ipso facto Zuerkennung von Asyl führen muss (vgl. erneut VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0274).
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 9.6.2022, Ra 2022/19/0105, mwN).
13 Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber sei als palästinensischer Flüchtling in Gaza bei UNRWA registriert und könne im Falle der Rückkehr wieder den Beistand von UNRWA in Anspruch nehmen. Dabei erachtete es das Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen für das Verlasen des Gaza Gebietes nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund seiner widersprüchlichen und nicht plausiblen Angaben, sowie seiner legalen Ausreise, als unglaubwürdig. Das BVwG verneinte auf Grundlage der herangezogenen Länderberichte auch den Wegfall des Beistandes von UNRWA aufgrund einer unzureichenden Versorgungslage.
14 Die Revision zeigt mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen und dem pauschalen Hinweis auf Länderberichte, wonach UNRWA an Unterfinanzierung und Behinderung durch den anhaltenden Konflikt leide, nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG an einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangelhaftigkeit leidet.
15 Soweit die Revision in dem Zusammenhang auch vorbringt, das BVwG habe nur unvollständige Länderfeststellungen zu Zwangsrekrutierungen der Hamas sowie zur Situation von Rückkehrern getroffen, macht sie einen Verfahrensfehler geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel konkret darzulegen (vgl. VwGH 3.10.2022, Ra 2022/19/0005, mwN). Eine solche Relevanzdarstellung enthält die Revision nicht.
16 Schließlich wendet sich die Revision gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK.
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 1.8.2022, Ra 2022/19/0178, mwN).
18 Mit dem pauschalen Zulässigkeitsvorbringen, das BVwG habe die Gesamtbetrachtung aller wesentlichen Umstände „unrichtig und nicht nachvollziehbar“ vorgenommen, verabsäumt es die Revision, konkret jene Umstände zu bezeichnen, die unberücksichtigt geblieben wären oder denen nicht ihr entsprechendes Gewicht beigemessen worden wäre. Die Revision vermag daher nicht darzulegen, dass das BVwG seine Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widerspräche (vgl. etwa VwGH 6.9.2022, Ra 2022/19/0138, mwN).
19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 3. Mai 2023
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