JudikaturVwGH

Ra 2022/18/0259 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
31. Oktober 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des O O, vertreten durch Dr. Peter Huber, dieser vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2022, I401 2017090 2/42E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 2. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit Grundstücksstreitigkeiten zwischen seinem Vater und seinem Onkel sowie mit einer Verfolgung aufgrund von Schulden seines Vaters begründete.

2 Mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung fest.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 28. Februar 2018 mit einer Maßgabebestätigung als unbegründet ab. Die beim Verwaltungsgerichtshof erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss vom 10. September 2018, Ra 2018/19/0210 7, zurückgewiesen.

4 Am 18. Oktober 2018 stellte der Revisionswerber einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, den er unter anderem mit seiner Zugehörigkeit zur Biafra Bewegung begründete. Bereits vor seiner Flucht habe er mit einer Verhaftung rechnen müssen. Sein Vater sei Aktivist bei der Biafra Bewegung gewesen, weshalb die Familie bedroht worden sei. In der Haft würden ihm Folter und Tod drohen.

5 Mit Bescheid vom 30. November 2018 wies das BFA diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängenden Aussprüchen sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem am 28. August 2020 mündlich verkündeten und am 30. September 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Zur Begründung stützte sich das BVwG soweit hier von Interesse darauf, dass nach den Angaben des Revisionswerbers er (und sein Vater) bereits vor der Ausreise aus Nigeria aktive(s) Mitglied(er) der Biafra Bewegung gewesen und verfolgt worden sei(en). Der Revisionswerber hätte diese Verfolgung bereits im ersten Asylverfahren geltend machen müssen, weshalb der Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei.

7 Infolge der Erhebung einer gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision wurde das (zweite) Revisionsverfahren des Revisionswerbers bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über die mit hg. Beschluss vom 18. Dezember 2019, EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), vorgelegten Fragen ausgesetzt.

8 Mit Urteil vom 9. September 2021, XY, C 18/20, hat der EuGH das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2019 entschieden.

9 Mit hg. Erkenntnis vom 30. November 2021, Ra 2020/14/0485 21, wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Hinblick auf den maßgeblichen Sachverhalt und den entscheidungswesentlichen Aspekten gleiche der vorliegende Fall des Revisionswerbers sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht jenem, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 2021, Ro 2019/14/0006, zugrunde gelegen sei.

10 Im zweiten Rechtsgang wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers neuerlich als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Begründend führte es im Wesentlichen aus, dem ergänzten Vorbringen des Revisionswerbers sei in Bezug auf seine Verbindungen zur Biafra-Bewegung kein glaubhafter Kern zu entnehmen. Bereits die zeitliche Abfolge, wonach der Revisionswerber den gegenständlichen Folgeantrag etwa fünf Wochen nach der Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz gestellt habe, lasse den Schluss eines lediglich auf temporäre Legalisierung seines Aufenthaltes gerichteten Folgeantrages zu. Das vom Revisionswerber behauptete Engagement für die Biafra Bewegung sei aus näher genannten Gründen äußerst vage und oberflächlich geblieben. Auch sei der Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, die fluchtauslösenden Ereignisse näher zu konkretisieren, seine Verfolger zu benennen oder gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen plausibel darzulegen.

11 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit zunächst das Urteil des EuGH vom 9. September 2021, C 18/20, angesprochen und geltend gemacht wird, es liege keine entschiedene Sache im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor. Der Revisionswerber habe seine Anträge vom 2. Dezember 2014 und 18. November 2018 unterschiedlich begründet, weshalb von einer Identität der Sache keine Rede sein könne. Weiters habe der Revisionswerber in der im Verfahren erstatteten Stellungnahme vom 15. Juni 2022 auf neu in Kraft getretene Gesetze in Nigeria verwiesen, was insbesondere für die Beurteilung der Gefahrensituation bezüglich aktiver Mitglieder der Biafra-Bewegung von Bedeutung sei. Das BVwG habe dem Revisionswerber zwar Parteiengehör gewährt, sei aber dem Antrag auf Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen. Damit sei der Revisionswerber in seinem Recht auf Waffengleichheit verletzt worden.

12 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 17.2.2022, Ra 2022/18/0018, mwN).

17 Die Revision legt in ihrer Zulässigkeitsbegründung weitgehend nicht konkret dar, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das BVwG im gegenständlichen Fall abgewichen sein sollte und zeigt insofern keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Soweit sie unter (bloßem) Hinweis auf näher genannte Gesetzesmaterialien zum AsylG 2005 und das Urteil des EuGH vom 9. September 2021, XY, C 18/20 pauschal behauptet, das BVwG sei zur inhaltlichen Prüfung des Folgeantrags des Revisionswerbers verpflichtet gewesen, zeigt sie damit ebenso wenig eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

18 Das angesprochene Urteil des EuGH stünde zwar einer Sichtweise entgegen, wonach neues Sachverhaltsvorbringen in einem Folgeantrag unter Hinweis darauf unbeachtet bliebe, dass die Tatsachen schon im ersten Asylverfahren hätten vorgebracht werden können und müssen (vgl. dazu VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006). Im gegenständlichen Fall hat das BVwG allerdings der behaupteten Sachverhaltsänderung den „glaubhaften Kern“ abgesprochen, was nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zurückweisung des Folgeantrags berechtigte (vgl. etwa VwGH 29.11.2021, Ra 2020/19/0412, mwN). Diese Judikatur wurde durch das erwähnte Urteil des EuGH auch nicht berührt. Dass die diesbezüglichen Erwägungen des BVwG unzutreffend gewesen wären, legt die Revision nicht dar.

19 Wenn die Revision schließlich eine Verletzung der Verhandlungspflicht ins Treffen führt, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, dass die Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA VG, folgt (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2020/18/0391, mwN). Dass das BVwG, das im gegenständlichen Verfahren ohnehin am 1. April 2022 eine (weitere) mündliche Verhandlung durchführte und den Revisionswerber umfassend zu seinen Fluchtgründen befragte, von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren abgewichen und zur Abhaltung einer weiteren mündlichen Verhandlung verhalten gewesen wäre, vermag die Revision mit ihrem bloßen Hinweis auf die „Waffengleichheit“ nicht aufzuzeigen.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 31. Oktober 2022

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