JudikaturVwGH

Ra 2022/14/0256 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
31. Oktober 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über 1. den Antrag des S U, vertreten durch MMag. Wolfgang Ebner, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Magdalenenstraße 4/12, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 2022, I411 2220194 1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, und 2. in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird als verspätet zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 4. Juli 2003 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 1997, der vom Bundesasylamt rechtskräftig abgewiesen wurde.

2 Am 19. April 2018 stellte der Revisionswerber erneut einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

3 Mit Bescheid vom 17. Mai 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt werde. Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Diese Entscheidung wurde dem Revisionswerber zuhanden seiner damaligen Rechtsvertretung am 27. Juli 2022 rechtswirksam zugestellt (§ 21 Abs. 8 BVwG).

5 Am 8. September 2022 brachte der Revisionswerber, nunmehr vertreten durch den oben genannten Rechtsanwalt, eine außerordentliche Revision gegen das angefochtene Erkenntnis beim BVwG ein. Nach Vorlage der Revision durch das BVwG wurde dem Revisionswerber mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 2022 die Möglichkeit eingeräumt, zu dem Umstand, dass die Revision nach der Aktenlage verspätet sei, Stellung zu nehmen.

6 Auf diesen Vorhalt brachte der Rechtsanwalt für den Revisionswerber mit Schriftsatz vom 28. September 2022 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist beim Verwaltungsgerichtshof ein und legte die außerordentlich Revision unter Einem (erneut) vor.

7 Im Wiedereinsetzungsantrag wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der, aufgrund seiner Krankheit psychisch stark angespannte, Revisionswerber davon ausgegangen sei, dass ihm das angefochtene Erkenntnis am 29. Juli 2022 zugestellt worden sei, weil er es an diesem Tag von der BBU GmbH erhalten habe. Der Rechtsanwalt habe sich eingehend nach dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses erkundigt, der Revisionswerber habe sich sicher gezeigt, das angefochtene Erkenntnis am 29. Juli 2022 zugestellt erhalten zu habe. Er habe jedoch den Zustellzeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses an die BBU GmbH mit der Übermittlung desselbigen durch die BBU GmbH an ihn selbst verwechselt. Aufgrund der schweren Erkrankung des Revisionswerbers sei es nicht verwunderlich, wenn dieser mit seinen Gedanken ganz und gar in seiner Krankheit gefangen gewesen sei und daher so manches Schriftstück in seinen Unterlagen nicht mehr gefunden habe und dadurch den Zustellzeitpunkt verwechselt habe. Der Revisionswerber sei infolge der Krankheit und der damit verbundenen medizinischen Behandlungen und dauerhaften psychischen Anspannung und Beeinträchtigung gehindert gewesen, den konkreten Zustellzeitpunkt zu benennen. Dabei handle es sich um ein unabwendbares Ereignis. Es liege ein minderer Grad des Versehens vor, welcher die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindere.

Zu Spruchpunkt I.:

8 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht.

9 Im Wiedereinsetzungsantrag ist konkret jenes unvorhergesehene und unabwendbare Ereignis zu bezeichnen, das den Wiedereinsetzungswerber an der Einhaltung der Frist gehindert hat (vgl. VwGH 25.5.2022, Ra 2021/19/0484 bis 0487, mwN).

10 Im vorliegenden Fall ist das „Ereignis“, das den Vertreter des Revisionswerbers nach dem Antragsvorbringen an der Einhaltung der Revisionsfrist gehindert habe, eine dem Revisionswerber unterlaufene Verwechslung des Zustellzeitpunktes des angefochtenen Erkenntnisses mit dem Zeitpunkt der Übermittlung dieses Erkenntnisses durch die BBU GmbH an den Revisionswerber.

11 Der Begriff des minderen Grads des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. erneut VwGH 25.5.2022, Ra 2021/19/0484 bis 0487, mwN).

12 Ein Verschulden des Parteienvertreters trifft die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. zum Ganzen VwGH 25.5.2022, Ra 2021/19/0484 bis 0487, mwN).

13 Ein bloß minderer Grad des Versehens wird im vorliegenden Fall nicht dargelegt:

14 Im vorliegenden Fall beauftragte der Revisionswerber den einschreitenden Rechtsanwalt mit der Einbringung einer Revision, dies ergibt sich unstrittig aus der vorgelegten Revision und den Eingaben im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.

15 Die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei und ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits ausgesprochen, dass es für die von einem Klienten gewünschte Einbringung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt zu dessen Pflichten gehört, die maßgeblichen Daten für die Einhaltung der Rechtsmittelfrist, somit grundsätzlich den exakten und richtigen Zeitpunkt der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung, durch Befragung der Partei oder durch Ermittlungen bei der Post und/oder bei der Behörde festzustellen. Es stelle eine auffallende Sorglosigkeit dar, sich mit den mehrdeutigen Angaben einer nicht rechtskundigen Partei, diese habe die Sendung an einem bestimmten Tag „bekommen“, zufrieden zu geben (vgl. VwGH 22.3.2022, Ra 2022/21/0030, mwN).

16 Dem Wiedereinsetzungsantrag ist kein Vorbringen dahingehend zu entnehmen, dass der einschreitende Rechtsanwalt geeignete Nachforschungen zum Zustellzeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses, etwa durch Nachfrage bei der BBU GmbH oder beim BVwG unternommen hätte. Dies vor dem Hintergrund, dass sich aus dem Kopf des Erkenntnisses klar ergibt, dass der Revisionswerber im Verfahren vor dem BVwG von der BBU GmbH vertreten wurde.

17 In Anbetracht der Bedeutsamkeit der Wahrung von Rechtsmittelfristen (vgl. etwa VwGH 9.9.2015, Ra 2015/03/0049, mwN) ist dem Rechtsvertreter eine einen minderen Grad des Versehens übersteigende Sorglosigkeit anzulasten.

18 Da das dem antragstellenden Revisionswerber anzulastende Verschulden seines Parteienvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

19 Die verspätet eingebrachte Revision war aus diesem Grund gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 31. Oktober 2022

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