Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, in der Revisionssache des T H, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf Dietrich Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2022, W215 2184077 1/33E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Usbekistans und stellte am 22. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, vom usbekischen Sicherheitsdienst verfolgt worden zu sein.
2 Am 16. November 2016 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
3 Mit Bescheid vom 22. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Usbekistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29. April 2022, E 902/2022 7, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht, zu der der Verwaltungsgerichtshof, nach Vorlage der verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Akten, ein Vorverfahren durchführte, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Soweit sich die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst unter unterschiedlichen Aspekten gegen die Beweiswürdigung des BVwG richtet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.11.2022, Ra 2022/14/0308 bis 0310, mwN).
11 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers ausführlich auseinandergesetzt und im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen mehrere Argumente angeführt, warum dem Vorbringen nicht zu folgen sei. So sei den Angaben des Revisionswerbers zur vorgebrachten Verfolgung durch den usbekischen Geheimdienst aufgrund näher dargelegter Widersprüche und Steigerungen die Glaubwürdigkeit zu versagen. Auch habe sich der Revisionswerber im Herkunftsstaat nicht politisch engagiert oder regimekritisch geäußert. Dass diese beweiswürdigenden Erwägungen mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären, wird in der Revision nicht aufgezeigt.
12 Wenn die Revision zu ihrer Zulässigkeit darüber hinaus vorbringt, das BVwG sei näher genannten Beweisanträgen des Revisionswerbers nicht nachgekommen, ist ihr wie folgt zu entgegnen:
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. In der Unterlassung einer Beweisaufnahme ist kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist. Ob eine Beweisaufnahme im angesprochenen Sinn geboten ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0333, mwN). Ein bloß allgemeines Vorbringen, das nicht aufzeigt, zum Nachweis welcher konkreter Tatsachen der Beweis dienen soll, läuft nach der Rechtsprechung in der Regel auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist (vgl. VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0231, mwN).
14 Die Revision macht dazu zunächst geltend, das BVwG sei dem Beweisantrag auf Einholung eines ergänzenden psychologischen Sachverständigengutachtens nicht nachgekommen. Aus diesem Gutachten hätte sich ergeben, dass der psychische Zustand des Revisionswerbers mit der geschilderten Folter und Misshandlung durch den usbekischen Geheimdienst in Einklang stehe. Das BVwG lehnte diesen Beweisantrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers „Sache des BVwG“ sei und das Vorbringen aufgrund näher dargelegter Widersprüche und Steigerungen als unglaubwürdig einzustufen sei. Darüber hinaus stützte sich das BVwG auf das - nach Durchführung der mündlichen Verhandlung - eingeholte psychiatrisch-neurologische Gutachten, wonach beim Revisionswerber zusammengefasst eine (behandelbare) „leichtgradige psychische Störung“ vorliege und sich bei Durchsicht der bisherigen Verhandlungsprotokolle keine Hinweise ergeben hätten, dass zu den Verhandlungszeitpunkten eine psychische Störung in einem Ausmaß vorgelegen sei, die den Revisionswerber daran gehindert hätte, „Erlebtes gleichbleibend wiederzugeben.“ Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG, von der Einholung eines ergänzenden psychologischen Sachverständigengutachtens abzusehen, grob fehlerhaft erfolgt wäre.
15 Soweit die Revision moniert, das BVwG habe mehrere beantragte Einvernahmen nicht durchgeführt, ist festzuhalten, dass der Revisionswerber in diesen Beweisanträgen vor dem BVwG vorbrachte, die Einvernahme näher genannter Zeugen sowie seine ergänzende Befragung vor dem BVwG diene dem Beweis der „Richtigkeit des Fluchtvorbringens“. Damit zeigte der Revisionswerber vor dem BVwG jedoch nicht auf, zum Beweis welcher konkreten Punkte und Tatsachen die Beweisanträge hätten dienen sollen. Dass angesichts der unterlassenen Angabe eines relevanten Beweisthemas das Unterbleiben der Einvernahmen einen Fehler im Sinn der oben dargelegten Rechtsprechung dargestellt hätte, zeigt die Revision jedoch nicht auf.
16 Sofern die Beweisanträge des Revisionswerbers auf Ermittlungen bzw. Befragungen von Zeugen in seinem Herkunftsstaat abzielten, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht und ein Beweisantrag des Asylwerbers, bestimmte Auskunftspersonen im Herkunftsstaat durch eine Vertrauensperson befragen zu lassen, nicht zulässig ist (vgl. dazu VwGH 28.4.2022, Ra 2020/14/0303, mwN).
17 Wenn in der Begründung der Zulässigkeit der Revision schließlich gerügt wird, das BVwG sei dem Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis der Elektrofolter durch den usbekischen Geheimdienst nicht nachgekommen, ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens geeignet sein mag, die Ursache von vorhandenen Verletzungen zu belegen. Jedoch ist ein medizinisches Gutachten nicht geeignet, Aufklärung über die Frage, im Zuge welcher Ereignisse der Revisionswerber die Verletzungen erlitten haben mag und damit über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers zu geben (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/20/0066, mwN).
18 Letztlich wendet sich die Revision gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung und bringt vor, das BVwG habe näher genannte Integrationsleistungen und die posttraumatische Belastungsstörung des Revisionswerbers nicht berücksichtigt.
19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 21.11.2022, Ra 2022/14/0285, mwN).
20 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 23.2.2023, Ra 2023/14/0029, mwN).
21 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 30.7.2021, Ra 2021/14/0232 bis 0233, mwN).
22 Bei der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann. Nach der auf Art. 8 EMRK abstellenden (aus der Rechtsprechung des EGMR übernommenen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen jedoch kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0052, mwN).
23 Zum Vorbringen hinsichtlich der Berücksichtigung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist festzuhalten, dass das BVwG, gestützt auf das eingeholte psychiatrisch-neurologische Gutachten, zu der nachvollziehbaren Beurteilung kam, dass der Revisionswerber an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung, sondern an einer behandelbaren „leichtgradigen psychischen Störung“ leide. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision nicht auf, dass das BVwG von der in Rn. 22 dargestellten Rechtsprechung zur Beachtung des Gesundheitszustandes im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK abgewichen ist.
24 Weiters hat das BVwG im vorliegenden Fall die Art und Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers in Österreich von etwa fünfeinhalb Jahren im Entscheidungszeitpunkt des BVwG einbezogen und hat neben der Aufenthaltsdauer selbst insbesondere auch berücksichtigt, dass der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz erst gestellt habe, nachdem er mit einem gefälschten bulgarischen Personalausweis betreten worden sei. Das BVwG berücksichtigte darüber hinaus, dass kein Familienleben des Revisionswerbers in Österreich bestehe und auch sonst kein Abhängigkeitsverhältnis vorliege. Der Revisionswerber habe zwar Einstellungszusagen vorgelegt, jedoch seit seiner Antragstellung von Leistungen aus der Grundversorgung gelebt. Er verfüge über Bindungen zu seinem Herkunftsstaat. In einer Gesamtschau sei es zu keiner „Integrationsverfestigung“ des Revisionswerbers gekommen. Vor dem Hintergrund der Abwägung der zuvor genannten Kriterien kam das BVwG zum Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden. Dass diese Abwägung unvertretbar im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung ist, vermag die Revision nicht darzutun.
25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 2. Mai 2023