Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des O S in E, vertreten durch Dr. Johannes Dörner und Dr. Alexander Singer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Brockmanngasse 91/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 2022, W213 2208727 1/7E, betreffend Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Personalamt Graz der Österreichischen Post AG), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber stand als Beamter der Verwendungsgruppe PT8 in einem öffentlich-rechtlichen Aktiv Dienstverhältnis zum Bund und war der österreichischen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen.
2 Mit Bescheid vom 6. September 2018 wurde er von Amts wegen gemäß § 14 Abs. 1 Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) in den Ruhestand versetzt.
3 Begründend führte die belangte Behörde insbesondere aus, der Revisionswerber befinde sich seit dem 28. Jänner 2013 im Krankenstand. Zur Überprüfung der Frage seiner Dienstfähigkeit sei die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) mit der Befunderhebung und Gutachtenserstellung beauftragt worden.
4 Nach der „letztaktuellen“ zusammenfassenden Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes der PVA vom 24. Mai 2018, die anhand der vorliegenden ärztlichen Aussagen erstellt worden sei, könne der Revisionswerber aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben auf seinem zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatz „Fachlicher Hilfsdienst/Logistik, Code 0841“ nicht mehr erfüllen, da ihm zumindest mittlere bis schwere körperliche Beanspruchung, verantwortungsvolles geistiges Leistungsvermögen und überdurchschnittlicher Zeitdruck nicht mehr möglich und zumutbar seien.
5 Als Hauptursache der Minderung der Dienstfähigkeit werde eine endgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks nach Umstellungsoperation und Teilmaterialentfernung mit gelegentlichen belastungsabhängigen Beschwerden angeführt. Eine leistungskalkülrelevante Verbesserung sei nicht zu erwarten.
6 Aus dem zu der zusammenfassenden Stellungnahme erstellten Gesamtrestleistungskalkül ergebe sich, dass dem Revisionswerber vollschichtig ständig Sitzen, überwiegend Gehen und Stehen, ständig leichte und mittlere sowie fallweise schwere körperliche Belastbarkeit, ständig Tätigkeiten in geschlossenen Räumen, im Freien und unter starker Lärmeinwirkung, ständig berufsbedingtes Lenken eines Kraftfahrzeuges sowie höhenexponierte und allgemein exponierte Tätigkeiten, überwiegend leichte und mittelschwere sowie fallweise schwere Hebe- und Trageleistungen, lediglich fallweise kniende und hockende Tätigkeiten, überwiegend Tätigkeiten über Kopf, vorgebeugt und gebückt, überwiegend Exposition von Staub, Kälte, Nässe und Hitze, rechts (Gebrauchshand) und links überwiegend Feinarbeiten, Grobarbeiten und Fingerfertigkeit, ein bildschirmunterstützter Arbeitsplatz sowie reine Bildschirmarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit, Kundenkontakt, ein besonderer Zeitdruck (bedingt steuerbar), durchschnittliche psychische Belastbarkeit und ein mäßig schwieriges geistiges Leistungsvermögen zumutbar seien.
7 Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen und dem Krankheitsverlauf stehe eindeutig fest, dass der Revisionswerber nicht mehr in der Lage sei, die konkreten dienstlichen Aufgaben des ihm zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatzes zu erfüllen, und infolge der Schwere der Erkrankungen die Wiederherstellung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit nicht als wahrscheinlich zu erwarten und daher eine weitere Nachuntersuchung nicht zielführend sei.
8 In der Folge prüfte die belangte Behörde konkrete Verweisungsarbeitsplätze, verneinte jedoch deren Zumutbarkeit für den Revisionswerber. Es verbleibe lediglich der Arbeitsplatz „Code 0827 Fachlicher Hilfsdienst/Schalter“, den der Revisionswerber unter Berücksichtigung seines Gesamtrestleistungskalküls noch ausüben könne. Eine Anfrage bei den Geschäftsfeldern im Bereich des Personalamtes Graz habe jedoch ergeben, dass derzeit und auch in absehbarer Zeit keiner dieser Arbeitsplätze frei sei oder frei werde. Ein der dienstrechtlichen Stellung des Revisionswerbers mindestens gleichwertiger Verweisungsarbeitsplatz, dessen Aufgaben er noch erfüllen könne, könne ihm daher nicht zur Verfügung gestellt werden. Für ein berufskundliches Sachverständigengutachten bestehe mit näherer Begründung keine Notwendigkeit.
9 Die ärztlichen Ausführungen seien schlüssig. Nach dem vorliegenden Beweisergebnis sei der Revisionswerber dauernd dienstunfähig. Es sei daher nach der im Spruch genannten Gesetzesstelle seine Versetzung in den Ruhestand zu verfügen. Gemäß § 14 Absatz 4 BDG 1979 werde die Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid rechtskräftig werde, wirksam.
10 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und brachte insbesondere vor, er sei „vorerst ... aus advokatorischer Vorsicht der Auffassung“, dass er ungeachtet des langen Krankenstandes seine Dienstfähigkeit noch nicht bleibend verloren habe, weil deren Wiedererlangung in absehbarer Zeit (innerhalb eines Jahres) konkret wahrscheinlich sei und es sich nicht nur um eine vage Möglichkeit handle. Weder sei die Prüfung der Verweisungsberufe vollständig bzw. korrekt erfolgt, noch sei ein berufskundliches Gutachten eingeholt worden. Es gebe Berufe, in denen der Revisionswerber nach dem medizinischen Restleistungskalkül noch einsatzfähig wäre, was ebenfalls ein Thema für die Beurteilung durch einen berufskundlichen Sachverständigen sei.
11 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 14 Abs. 2 BDG 1979 iVm. § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet ab und sprach aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.
12 In seinen Feststellungen führte das Bundesverwaltungsgericht das Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes an, auf dem der Revisionswerber zuletzt verwendet worden war, danach wie die belangte Behörde im bekämpften Bescheid die mit Gutachten der PVA vom 24. Mai 2018 gestellte Diagnose, das Gesamtrestleistungskalkül sowie die der dienstrechtlichen Stellung des Revisionswerbers entsprechenden vorhandenen Arbeitsplätze im Bereich der belangten Behörde und deren jeweilige Anforderungen.
13 Beweiswürdigend hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, diese Feststellungen hätten unmittelbar auf Grund der Aktenlage getroffen werden können. Die Feststellungen über den Gesundheitszustand des Revisionswerbers ergäben sich aus den von der belangten Behörde eingeholten Gutachten. Der Revisionswerber sei durch einen Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin sowie einen Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie untersucht worden. Auf Grundlage dieser Untersuchungen sei die zusammenfassende Diagnose bzw. Erstellung des Restleistungskalküls durch den chefärztlichen Dienst der PVA erfolgt.
14 Wenn der Revisionswerber einwende, dass er seine Dienstfähigkeit noch nicht dauernd verloren habe, sei festzuhalten, dass dieser pauschale Hinweis nicht geeignet sei, die vorliegenden Sachverständigengutachten zu widerlegen. Der Revisionswerber habe es jedenfalls unterlassen, diesen gutachterlichen Aussagen auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten.
15 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse. Dem Entfall der Verhandlung stünden auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegen.
16 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Bundesverwaltungsgericht unter Zitierung der relevanten gesetzlichen Regelung und von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, der Vergleich des Anforderungsprofils des Arbeitsplatzes des Revisionswerbers mit dem sich aus den ärztlichen Gutachten ergebenden Restleistungskalkül zeige im vorliegenden Fall, dass der Revisionswerber dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, Tätigkeiten unter mittlerer bis schwerer körperlicher Beanspruchung, mit verantwortungsvollem geistigen Leistungsvermögen und überdurchschnittlichem Zeitdruck zu erbringen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Revisionswerber nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Anforderungen seines ihm zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatzes zu erfüllen. Aus dem Gutachten der PVA gehe hervor, dass eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes des Revisionswerbers nicht zu erwarten sei. Diese Aussage bleibe auch in der Beschwerde unbestritten.
17 Hinsichtlich eines allfälligen Verweisungsarbeitsplatzes (§ 14 Abs. 3 BDG 1979) habe die belangte Behörde in überzeugender Weise dargetan, dass in ihrem Bereich kein derartiger Arbeitsplatz vorhanden sei bzw. der Revisionswerber die Anforderungen von allenfalls in Betracht kommenden Arbeitsplätzen nicht erfülle.
18 Wenn der Revisionswerber einwende, dass er seine Dienstfähigkeit noch nicht dauerhaft verloren habe, sei mit diesem pauschalen Hinweis für seinen Standpunkt nichts gewonnen. Sowohl der seit 28. Jänner 2013 andauernde Krankenstand des Revisionswerbers als auch das Gutachten der PVA vom 24. Mai 2018 belegten, dass der Revisionswerber nicht mehr in der Lage sei, die Aufgaben des ihm zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatzes zu erfüllen. Eine Besserung sei nicht zu erwarten. Der Revisionswerber habe es unterlassen, diesen gutachterlichen Aussagen auf gleicher fachlicher Ebene entgegen zu treten.
19 Soweit der Revisionswerber die durch die belangte Behörde vorgenommene Sekundärprüfung in Ansehung der für den Revisionswerber in Betracht kommenden Verweisungsarbeitsplätze infrage stelle, sei festzuhalten, dass er nicht bestritten habe, dass ihm die Erfüllung der mit diesen Verweisungsarbeitsplätzen verbundenen Anforderungen nicht mehr möglich sei. Soweit die Feststellung der belangten Behörde, dass ein Arbeitsplatz „Code 0827 Fachlicher Hilfsdienst/Schalter“ nicht frei sei bzw. in absehbarer Zeit nicht frei sein werde, bestritten worden sei, habe der Revisionswerber dies nicht konkret belegen können, sondern sich auf Mutmaßungen beschränkt, ob allenfalls ein derartiger Arbeitsplatz mit einer günstigeren „KV Kraft“ besetzt worden sein könnte. Mangels eines substantiellen Vorbringens habe daher die diesbezügliche Feststellung der belangten Behörde nicht widerlegt werden können.
20 Soweit der Revisionswerber die Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen fordere, sei festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall nicht zu beurteilen gewesen sei, welche Wertigkeit der Arbeitsplatz des Revisionswerbers aufweise bzw. welcher Verwendungsgruppe er zuzuordnen sei. Es sei lediglich zu beurteilen, ob der Revisionswerber die mit dem ihm zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatz bzw. mit den in Betracht kommenden Verweisungsarbeitsplätzen verbundenen Anforderungen erfüllen könne. Wie die belangte Behörde unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht ausgeführt habe, könne die Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen entfallen, weil es um im Bereich der Dienstbehörde auf von ihr organisatorisch eingerichtete und ihr folglich von den Anforderungen her bekannte Arbeitsplätzen gehe. Darüber hinaus sei festzuhalten, dass der Revisionswerber die inhaltliche Richtigkeit der Anforderungsprofile sowohl des dem Revisionswerber zuletzt dienstrechtlich wirksam zugewiesenen Arbeitsplatzes als auch der in Betracht kommenden Verweisungsarbeitsplätze nicht bestritten habe.
21 Die Beschwerde sei daher gemäß § 14 Abs. 2 BDG 1979 iVm. § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen gewesen.
22 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
23 Der Revisionswerber rügt im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung, wobei die medizinischen Unterlagen veraltet seien und aus dem Jahr 2018 stammten. Die Revision ist bereits aus diesem Grund zulässig und auch berechtigt.
24 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird.
25 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter unter den Begriff der „civil rights“ im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen, insoweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben (vgl. etwa VwGH 12.7.2023, Ra 2023/12/0051, mwN).
26 Vorliegendenfalls waren im Verfahren über die Ruhestandsversetzung des Revisionswerbers sowohl die dem Sachverständigengutachten als Befund zugrunde liegenden Sachverhaltsannahmen als auch die daraus gezogenen fachkundigen Schlussfolgerungen, also jeweils klassische Tatsachenfragen, strittig. Der Revisionswerber hat auch ausdrücklich eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt.
27 Das Bundesverwaltungsgericht hätte somit nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es ohne nähere Prüfung einer Relevanz des Verfahrensmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war (vgl. etwa VwGH 11.4.2018, Ra 2017/12/0090, mwN).
28 Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
Wien, am 17. September 2024