JudikaturVwGH

Ra 2022/11/0196 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. August 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des M W in W, vertreten durch die Urbanek Rudolph Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Europaplatz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2022, Zl. W136 2246346 1/3E, betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes nach dem Wehrgesetz 2001 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Militärkommando Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 1. Mit Bescheid vom 2. Juni 2021, bestätigt mit Beschwerdevorentscheidung vom 26. August 2021, wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom 18. März 2021 „auf befristete Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung der Milizübung vom 07.06.2021 bis 18.06.2021“ gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 Wehrgesetz 2001 (im Folgenden: WG 2001) ab.

2 Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst und soweit hier von Relevanz Folgendes aus:

3 Der Revisionswerber habe sich über seinen Ausbildungsdienst hinaus freiwillig zu Milizübungen in der Gesamtdauer von 120 Tagen gemeldet. Er sei vom gegenständlichen „Termin der Milizübung“ durch seinen „Mob Truppenkörper“ am 5. Februar 2021 vorverständigt worden; der Einberufungsbefehl sei dem Revisionswerber am 22. März 2021 zugestellt worden.

4 Der Revisionswerber habe geltend gemacht, „Einzelunternehmer als Discjockey, You Tuber und Merchandiser“ zu sein. Sein YouTube Kanal weise circa 188.000 Abonnenten auf; auf Instagram würden ihm circa 60.000 Personen folgen. Er habe weiter vorgebracht, er habe „im Zeitraum der Milizübung vor, eine komplette [Mode ]Kollektion auf den Markt (Online) zu bringen“. Er behaupte ferner, dass er über keine Mitarbeiter verfüge, sich sohin alleine „täglich um Online Shop, Versand, die Reklamationen sowie insbesondere die Rückzahlungen etc. kümmern“ müsse. Der Revisionswerber bringe weiters vor, dass die durch die Milizübung bedingte Inaktivität auf „allen Kanälen [...] eine gesenkte Kunden Reichweite zur Folge [hätte], zumal der Algorithmus auf You Tube und Instagram auf Aktivität ausgelegt wäre.“ Der Revisionswerber erwarte eine Reichweiteneinbuße von um die 80 Prozent, was sich seiner Meinung nach auf künftige Einnahmen auswirken würde. Da „[seine] Videos und Beiträge auch [seine] Person und [seinen] Content zu aktuellen Themen erfordere“, behaupte er, dass er bei dieser Tätigkeit nicht vertreten werden könne. Wieviel Geld ihm im Fall seiner Abwesenheit verloren gehen würde, könne der Revisionswerber nicht nachweisen. Er habe 40.000 € in Waren investiert und schätze, dass ihm mindestens 2.500 € verloren gehen würden. Er behaupte, über keine „finanziellen Polster“ zu verfügen.

5 Es lägen im Ergebnis keine wirtschaftlichen Interessen vor, die so besonders rücksichtswürdig seien, dass sie eine befristete Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung der Milizübung erforderten. Der Revisionswerber sei rechtzeitig von der zu absolvierenden Milizübung verständigt worden. Dadurch sei ihm die Gelegenheit eingeräumt worden, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten mit seiner Verpflichtung zur Leistung einer Milizübung zu koordinieren. Der dem Revisionswerber möglicherweise erwachsende wirtschaftliche Nachteil gehe nicht über das Maß hinaus, „das allen Wehrpflichtigen gleichermaßen zumutbar erscheint“. Auch aufgrund der kurzen Dauer der Milizübung sei nicht davon auszugehen, dass diese geeignet sei, die wirtschaftliche Existenz des Revisionswerbers zu gefährden.

6 2. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.

7 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die Beschwerde ab (Spruchpunkt A). Unter einem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

8 Begründend führte das BVwG in Ergänzung zum angefochtenen Bescheid im Wesentlichen Folgendes aus:

9 Der Revisionswerber habe für seine Mode Kollektion ein Fotoshooting von 14. bis 16. Juni 2021 gebucht. Termine mit dem Fotografen hätten eine Vorlaufzeit von mindestens sechs Monaten. Da der Revisionswerber bereits vier Monate im Vorhinein über den Zeitraum der Milizübung informiert worden sei, „wäre eine dementsprechend zwei monatige Verschiebung des Fotoshootings im Hinblick auf die Harmonisierungspflicht jedenfalls zumutbar gewesen.“ Im Übrigen hätte der Revisionswerber auch einen anderen Fotografen beauftragen können.

10 Im Übrigen legte das BVwG zusammengefasst dar, warum die vom Revisionswerber im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Milizübung geltend gemachten Reichweiten und Umsatzeinbußen nicht nachvollziehbar seien.

11 Mangels besonders rücksichtswürdiger wirtschaftlicher Interessen im Sinn des § 26 Abs. 1 Z 2 WG 2001 habe die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers zu Recht abgewiesen, weswegen dessen Beschwerde als unbegründet abzuweisen sei. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG habe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden können, weil der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der eindeutigen Aktenlage feststehe.

12 4.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 4.2. Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

14 5. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).

15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17 5.1. Die Revision bringt zur Begründung der Zulässigkeit im Wesentlichen eine Abweichung von der hg. Rechtsprechung zur Harmonisierungsverpflichtung bzw. das Fehlen von Rechtsprechung zu einzelnen Aspekten der Harmonisierungspflicht bei selbständig Erwerbstätigen sowie einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht vor.

18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Wehrpflichtige gehalten, ihre wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, dass für den Fall der Zuweisung bzw. Einberufung zur Ableistung des Dienstes voraussehbare Schwierigkeiten vermieden und nicht durch die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit solche Schwierigkeiten erst geschaffen werden. Unterlässt es der Betreffende, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der von ihm zu erwartenden Dienstleistungsverpflichtung zu harmonisieren, so können die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen nicht als besonders rücksichtswürdig im Sinne der die Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Dienstes regelnden Bestimmungen angesehen werden. Sind wirtschaftliche Schwierigkeiten die Folge der Verletzung dieser so genannten „Harmonisierungspflicht“, können sie als Grundlage für die Befreiung nicht herangezogen werden (vgl. VwGH 6.5.2022, Ra 2021/11/0065, 9.6.2022, Ra 2022/11/0061, 23.7.2024, Ra 2023/11/0127, je mwN).

19 Die Revision legt nicht dar, dass das Verwaltungsgericht fallbezogen von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Harmonisierungspflicht abgewichen wäre, zumal die Harmonisierungspflicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch für unselbständig Erwerbstätige (vgl. etwa VwGH 6.5.2022, Ra 2021/11/0065) gilt. Können aus dem Verstoß gegen die Harmonisierungspflicht resultierende wirtschaftliche Schwierigkeiten keine Befreiung rechtfertigen, kommt es auf das Ausmaß dieser gegebenenfalls durch die geltend gemachten „Reichweiteneinbußen“ bedingten wirtschaftlichen Nachteile nicht an.

20 Soweit sich der Revisionswerber auf eine Verletzung der verwaltungsgerichtlichen Verhandlungspflicht beruft, wird vor dem Hintergrund der oben angeführten Rechtsprechung zur Harmonisierungspflicht auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Das Recht auf Befreiung vom Wehrdienst fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. VfGH 1.12.1973, B 259/73, [VfSlg 7209]; VwGH 26.2.2002, 2001/11/0243). Es unterliegt auch nicht Art. 47 GRC. Die daher im Zusammenhang mit der unterbliebenen mündlichen Verhandlung darzulegende Relevanz des geltend gemachten Verfahrensfehlers wird von der Revision nicht dargelegt (vgl. dazu etwa VwGH 6.5.2022, Ra 2021/11/0065).

21 In der Revision werden also keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. August 2024

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