Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm, die Senatspräsidentin Dr. Pollak und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des W J in H, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner, 1130 Wien, Maxingstraße 22 24/4/9, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2022, Zlen. W135 2236783 3/2E und W135 2236783 4/2E, betreffend Abweisung von Anträgen auf Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem Verbrechensopfergesetz und auf Bewilligung der Verfahrenshilfe,
1. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Spruchpunkt A) I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit aufgehoben.
2. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Beschlusses richtet, zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Mit dem von einem gemäß § 9d VOG iVm. § 7 Abs. 2 BVwGG gebildeten Senat beschlossenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2022, W135 2236783 1/15E, wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) abgewiesen.
2 Mit Schreiben vom 21. Mai 2022 beantragte der Revisionswerber unter gleichzeitiger Vorlage eines Privatgutachtens vom 11. Mai 2022 die Wiederaufnahme des mit dem genannten Erkenntnis vom 30. März 2022 abgeschlossenen Verfahrens sowie die Gewährung von Verfahrenshilfe für den Wiederaufnahmeantrag, das Wiederaufnahmeverfahren und das wiederaufgenommene Verfahren. Begründend führte er zum Wiederaufnahmeantrag aus, das vorgelegte Privatgutachten widerlege das Sachverständigengutachten, welches im Verfahren W135 2236783 1/15E beweiswürdigend herangezogen worden sei. Den Verfahrenshilfeantrag stelle der Revisionswerber, weil er außerstande sei, die Verfahrenskosten ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts für sich und seine Familie zu bestreiten.
3 Mit dem vorliegend angefochtenen, durch ein Mitglied des Senats, der das Erkenntnis vom 30. März 2022 beschlossen hat, als Einzelrichterin gefassten Beschluss wurden sowohl der Antrag auf Wiederaufnahme (Spruchpunkt A) I.) als auch der Verfahrenshilfeantrag (Spruchpunkt A) II.) des Revisionswerbers abgewiesen. Gleichzeitig erklärte das Verwaltungsgericht gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt B)).
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattete.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Beschlusses in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Das Verbrechensopfergesetz (VOG), BGBl. Nr. 88/1972 idF. BGBl. I Nr. 210/2021, lautet auszugsweise:
„Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes Laienrichterbeteiligung
§ 9d. (1) Über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört.
...“
7 Das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idF. BGBl. I Nr. 87/2021, lautet auszugsweise:
„Einzelrichter
§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
(2) Ist in Bundes oder Landesgesetzen die Mitwirkung fachkundiger Laienrichter an der Rechtsprechung vorgesehen, sind diese anstelle der Mitglieder nach Maßgabe der Geschäftsverteilung als Beisitzer heranzuziehen. Ist in Bundes oder Landesgesetzen die Mitwirkung von mehr als zwei fachkundigen Laienrichtern vorgesehen, ist der Senat entsprechend zu vergrößern.
...
Zuweisung und Abnahme von Rechtssachen
§ 17. (1) Jede im Bundesverwaltungsgericht anfallende Rechtssache wird dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter oder Senat zugewiesen.
...“
8 Die vorliegend maßgeblichen (seit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts unverändert gebliebenen) Teile des § 24 der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts (https://www.bvwg.gv.at/amtstafel/amtstafel_start.html) lauten:
„§ 24. Zuweisung von Annexsachen
(1) Annexsachen werden ohne Bedachtnahme auf die allgemeine Zuweisung einzeln den dafür jeweils zuständigen Gerichtsabteilungen zugewiesen.
(2) Annexsachen sind Rechtssachen derselben Zuweisungsgruppe, die nach Maßgabe der Bestimmungen der folgenden Absätze zu einer oder mehreren anderen, früher zugewiesenen Rechtssachen im Verhältnis der Annexität stehen.
(3) Annexität liegt in folgenden Fällen vor:
...
9. bei Wiedereinsetzungs und Wiederaufnahmeverfahren, die sich auf eine anhängige oder abgeschlossene Rechtssache beziehen;
...“
9 Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem geltend, es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dazu, „ob und inwieweit § 9d Abs. 1 VOG auf einen Wiederaufnahmeantrag, insb. gem. § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG, Anwendung findet“.
10 Die Revision ist gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Beschlusses aus diesem Grund zulässig. Sie ist auch begründet.
11 Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist gemäß § 32 Abs. 1 iVm. Abs. 2 VwGVG jenes Verwaltungsgericht zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag zuständig, von dem die im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassene Entscheidung stammt (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 69 Rz 68 [Stand 2020], mwN). Nach § 9d Abs. 1 VOG iVm. § 6 BVwGG hat das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide nach dem VOG in Senaten mit Laienrichterbeteiligung (vgl. dazu § 7 Abs. 2 BVwGG) zu entscheiden.
12 Nach § 24 Abs. 3 Z 9 der gemäß § 17 BVwGG für die Zuweisung der Rechtssachen maßgeblichen Geschäftsverteilung handelt es sich bei Wiederaufnahmeverfahren um Annexsachen. Aus § 24 Abs. 1 und 2 der Geschäftsverteilung ergibt sich, dass Annexsachen ungeachtet der allgemeinen Zuweisungsregeln der für die früher zugewiesene, mit der Annexsache zusammenhängende Rechtssache zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen werden. Wenn daher in der Hauptsache eine Gerichtsabteilung in Senatsbesetzung entschieden hat, so besteht deren Zuständigkeit auch für das damit zusammenhängende Wiederaufnahmeverfahren (vgl. VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0055; 24.1.2018, Ra 2017/09/0026; 20.9.2018, Ra 2018/09/0050, jeweils mwN).
13 Dies erscheint auch deshalb konsequent, weil in einem Wiederaufnahmeantrag die inhaltliche Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht in Senatsbesetzung getroffenen Sachentscheidung infrage gestellt wird. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Zuständigkeit zur Behandlung von Anträgen auf Wiederaufnahme wiederholt ausgesprochen, dass bei der Auslegung der betreffenden Bestimmungen berücksichtigt werden muss, dass nach Lehre und Rechtsprechung die jeweilige Zuständigkeit zur Sachentscheidung grundsätzlich auch die Zuständigkeit zur Erlassung verfahrensrechtlicher Bescheide nach sich zieht (vgl. VwGH 25.6.2002, 2002/03/0025; 3.9.2003, 2000/03/0369; 20.9.2018, Ra 2018/09/0050).
14 Für die Aufteilung der vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäfte „auf die Einzelrichter und Senate“ gilt der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung (Art. 135 Abs. 2 B VG). Erkennt das Bundesverwaltungsgericht in einer nach der Geschäftsverteilung unrichtigen Besetzung, verstößt es gegen den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung und bewirkt damit seine Unzuständigkeit (vgl. VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0055, mwN).
15 Vor diesem Hintergrund erweist sich die im Revisionsfall durch eine Einzelrichterin getroffene Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag als rechtswidrig infolge Unzuständigkeit.
16 Der angefochtene Beschluss war daher in seinem Spruchpunkt A) I. gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
17 Soweit sich die Revision gegen Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Beschlusses richtet, liegen die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht vor:
18 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (vgl. etwa VwGH 15.1.2024, Ra 2023/11/0120, mwN).
20 Zur Abweisung des Verfahrenshilfeantrags findet sich kein Zulässigkeitsvorbringen in der vorliegenden Revision. Da somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung diesbezüglich nicht aufgeworfen wird, war die Revision gegen Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Beschlusses gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die in § 11 Abs. 2 VOG normierte Gebührenfreiheit abzuweisen.
Wien, am 7. Juni 2024
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