JudikaturVwGH

Ro 2022/06/0009 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
25. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofrätinnen Mag. a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart Mutzl und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der S E und 2. des T E, beide in G, beide vertreten durch Mag. Daniel Vonbank, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Reichsstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 14. Februar 2022, LVwG 318 63/2021 R15, betreffend Abstandsnachsicht gemäß § 7 BauG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Gaißau; mitbeteiligte Partei: M G in G, vertreten durch Dr. Günther Tarabochia und Mag. Sascha Lumper, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Scheffelstraße 8; weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerber haben der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde der Revisionswerber gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 31. Mai 2021, mit dem der Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 2 iVm § 29 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 lit. g Baugesetz (BauG) die Baubewilligung für das bereits ausgeführte Bauvorhaben „Wintergarten“ auf einem näher bezeichneten Grundstück unter Vorschreibung von Bedingungen und Auflagen erteilt worden war, keine Folge gegeben. Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht soweit für das Revisionsverfahren wesentlich aus, in den Jahren 1990/91 sei auf den Grundstücken GST Nr. X und GST Nr. XX ein Doppelwohnhaus (Reihenhaus mit zwei Einheiten) errichtet worden. Die Mitbeteiligte bewohne seit 1991 die südliche Wohnhaushälfte. Die Revisionswerber hätten die nördliche Wohnhaushälfte im Jahr 2014 von den Voreigentümern gekauft und wohnten seither dort. Bereits Mitte der 1990er Jahre habe die Mitbeteiligte auf ihrem Grundstück zur Abgrenzung der westseitig ihrer Haushälfte gelegenen Terrasse von der ebenfalls westseitig von deren Haushälfte gelegenen Terrasse der Nachbarn eine Sichtschutzwand errichtet und ein Dach über ihre Terrasse gezogen. Anfang des Jahres 2007 habe die Mitbeteiligte die auf ihrem Grundstück befindliche Terrassenüberdachung zu einem Wintergarten ausgebaut. Dazu seien auf der bis dahin offenen Westseite Fenster eingebaut und der Wintergarten innenseitig gedämmt worden. Der Wintergarten habe eine Grundfläche von 3,20 mal 7,51 Meter und eine Höhe von 2,39 bis 2,67 Meter. Der Abstand der Seitenwand zur Grenze zum Grundstück der Revisionswerber betrage zirka 17,5 Zentimeter, im Bereich des Daches drei Zentimeter. Die Errichtung des Wintergartens sei ohne Baubewilligung erfolgt. Die erforderlichen Abstandsflächen und Mindestabstände gegenüber der Liegenschaft der Revisionswerber würden nicht eingehalten. Eine Zustimmung der Revisionswerber zur Erteilung einer Abstandsnachsicht liege nicht vor. Der Bau des Wintergartens sei Anfang 2007 vollendet worden.

3 Im Jahr 2010 sei das Dach des Wintergartens saniert worden, indem die Dachabdeckung ausgetauscht worden sei. Dabei sei die neue Dachabdeckung südlich des Wintergartens, dh an der den Revisionswerbern abgewandten Seite, bis zu einem bestehenden Schopf gezogen worden. Weiters sei ein Fallrohr zur Ableitung des Regenwassers vom Dach des Wintergartens im nördlichen Bereich des Wintergartens (an der Grundgrenze zu den Revisionswerbern) errichtet worden. Dieses Fallrohr sei zu einem späteren Zeitpunkt auf die südliche Seite des Wintergartens (und somit weg von der Grundgrenze der Revisionswerber) verlegt worden.

4 In den Jahren 2014/2015 sei an der Westseite des Wintergartens eine Öffnung („Bullauge“) eingebaut und die westseitige Holzwand mit Platten verkleidet worden, die zu einem späteren Zeitpunkt schwarz gestrichen worden seien. Die Abstände zu dem Grundstück der Revisionswerber seien dadurch nicht verkleinert worden.

5 Ab der baulichen Fertigstellung des Wintergartens bis zur schriftlichen Beanstandung der Unterschreitung der Abstandsflächen und Mindestabstände der Revisionswerber bei der Baubehörde seien mehr als zehn Jahre vergangen. Die belangte Behörde habe daher vom Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 lit. g BauG Gebrauch machen und eine Abstandsnachsicht auch ohne Zustimmung der Revisionswerber erteilen können.

6 Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 7 Abs. 1 lit. g BauG fehle. Insbesondere habe der Verwaltungsgerichtshof noch nicht darüber abgesprochen, ob § 7 Abs. 1 lit. g BauG lediglich auf Bauführungen angewendet werden könne, die von einer Baubewilligung abwichen, oder ob auch gänzlich nicht bewilligte Bauvorhaben („Schwarzbauten“) nach dieser Bestimmung saniert werden könnten.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegenden Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

8 Die Mitbeteiligte und die Vorarlberger Landesregierung erstatteten Revisionsbeantwortungen und beantragten darin jeweils die Abweisung der Revision. Die belangte Behörde erstattete eine als Revisionsbeantwortung bezeichnete Stellungnahme, ohne einen Antrag auch Aufwandersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

9 Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichts, denen sich die Revisionswerber anschlossen, als zulässig.

Rechtslage

10 § 7 Abs. 1 lit. a und lit. g BauG, LGBl. Nr. 52/2001 in der Fassung LGBl. Nr. 64/2019, lautet:

„§ 7

Abstandsnachsicht

(1) Die Behörde kann Ausnahmen von den Vorschriften des § 5 Abs. 1 bis 6 sowie des § 6 Abs. 1 bis 3 zulassen (Abstandsnachsicht), wenn die Interessen der Sicherheit, der Gesundheit sowie des Schutzes des Orts und Landschaftsbildes nicht beeinträchtigt werden und überdies

a) der betroffene Nachbar zustimmt; die Zustimmung ist ab ihrem Einlangen bei der Behörde unwiderruflich; oder

...

g) es sich um eine nachträgliche Ausnahme für ein bereits ausgeführtes Bauvorhaben handelt, sofern die Unterschreitung der Abstandsflächen oder Mindestabstände während eines Zeitraumes von zehn Jahren ab Vollendung des Bauvorhabens nicht von den betroffenen Nachbarn gegenüber der Behörde schriftlich beanstandet worden ist.

...“

11 In den Erläuterungen zur Novelle des BauG, LGBl. Nr. 64/2019, wird zu § 7 Abs. 1 lit. g BauG ausgeführt (vgl. Beilage 75/2019 30. LT, Teil B, S 2):

„Es kommt vor, dass Bauvorhaben nicht entsprechend der Baubewilligung ausgeführt und dabei die entsprechenden Abstandsflächen oder Mindestabstände nicht eingehalten werden. Die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung bzw. die Erteilung einer entsprechenden Abstandsnachsicht ist unter Umständen mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen ohne Zustimmung des betroffenen Nachbarn nicht möglich. Dies auch dann, wenn die Unterschreitung der Abstandsflächen bzw. Mindestabstände über viele Jahre hinweg vom betroffenen Nachbarn bzw. dessen Rechtsvorgänger unbeanstandet geblieben ist. Dies wird von den betroffenen Grundeigentümern (Bauherren bzw. deren Rechtsnachfolger im Eigentum), aber auch von den Baubehörden oftmals als unbefriedigend empfunden, zumal es in früheren Zeiten noch nicht üblich war, vor Baubeginn jedenfalls eine Vermessung durchzuführen bzw. dies von den Baubehörden nicht (immer) vorgeschrieben wurde.

Wie u.a. auch vom Landesvolksanwalt angeregt, soll daher nunmehr der § 7 Abs. 1 entsprechend ergänzt werden, indem festgelegt wird, dass bei einem bereits ausgeführten Bauvorhaben eine Abstandsnachsicht von der Behörde auch ohne Zustimmung des betroffenen Nachbarn zugelassen werden kann, wenn die Unterschreitung der Abstandsflächen und Mindestabstände während eines Zeitraumes von zehn Jahren ab Vollendung des Bauvorhabens von den betroffenen Nachbarn gegenüber der Behörde nicht schriftlich beanstandet worden ist (neue lit. g). ...

Diese nachträgliche Ausnahme erscheint sachlich gerechtfertigt, da die betroffenen Nachbarn die Möglichkeit haben bzw. hatten, die Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften des Baugesetzes bzw. des Baubescheides bei der Behörde zu beanstanden, dies aber während eines längeren Zeitraumes (10 Jahren) nicht getan haben.

Die Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften muss vom betroffenen Nachbarn (bzw. dessen Rechtsvorgänger) innerhalb der 10 Jahresfrist schriftlich bei der Baubehörde beanstandet worden sein. Im Verfahren auf nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung bzw. einer Ausnahme (Abstandsnachsicht) nach § 7 Abs. 1 lit. g hat der betroffene Nachbar Parteistellung (vgl. § 26 Baugesetz).

Die nachträgliche Ausnahme für ein bereits ausgeführtes Bauvorhaben nach § 7 Abs. 1 lit. g betrifft nur dieses konkrete Bauvorhaben, nicht jedoch allfällige nachfolgende Bauvorhaben auf dem betreffenden Grundstück, für die wiederum eine Abstandsnachsicht erforderlich sein kann. ...“ .

12 Die Revision bringt in ihren Revisionsgründen vor, von § 7 Abs. 1 lit. g BauG sollten lediglich Abweichungen von der Baubewilligung, nicht jedoch gänzlich ohne Baubewilligung errichtete Bauvorhaben erfasst sein, weshalb eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm auf von der Baubewilligung abweichende Bauführungen vorzunehmen sei.

13 Die Mitbeteiligte habe in den Jahren 2014/2015 an der Westseite des Wintergartens eine Öffnung eingebaut und die westseitige Holzwand mit Platten verkleidet, sowie zu einem späteren Zeitpunkt schwarz gestrichen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung seien diese Baumaßnahmen als wesentliche Änderung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. o BauG zu qualifizieren. Von einer Vollendung des Bauvorhabens könne somit erst nach Durchführung dieser weiteren Baumaßnahmen gesprochen werden. Das Verwaltungsgericht hätte daher zum Ergebnis gelangen müssen, dass aufgrund der festgestellten Baumaßnahmen nach dem Jahr 2014/2015 eine Vollendung des Bauvorhabens im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. g BauG seit zumindest zehn Jahren nicht vorgelegen und somit diese Ausnahmeregelung nicht anwendbar sei.

14 Nach den Erläuterungen war es die Intention des Vorarlberger Landesgesetzgebers, durch die Regelung des § 7 Abs. 1 lit. g BauG eine Möglichkeit zu schaffen, in jenen Fällen, in denen der Nachbar zwar einer Abstandsnachsicht gemäß § 7 Abs. 1 lit. a BauG mangels Durchführung eines Baubewilligungsverfahrens nicht zugestimmt hat, in denen er sich aber während eines Zeitraums von zehn Jahren ab Vollendung des Bauvorhabens nicht gegen einen bereits erfolgten Eingriff in sein Nachbarrecht auf Einhaltung der vorgeschriebenen Abstände ausgesprochen hat, auch ohne Zustimmung des Nachbarn eine Abstandsnachsicht erteilen zu können. Er hat damit den der Abstandsunterschreitung ausdrücklich zustimmenden Nachbarn im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. a BauG jenem Nachbarn gleichgestellt, der sich im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. g BauG zehn Jahre verschwiegen hat.

Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 lit. g BauG

15 Zu der zur Zulassung der Revision führenden Frage, ob § 7 Abs. 1 lit. g BauG auch in einem nachträglichen Baubewilligungsverfahren betreffend einen konsenslos errichteten Zubau anzuwenden ist, ist Folgendes festzuhalten:

16 Bei der Interpretation einer Gesetzesnorm ist auf den Wortsinn und insbesondere auch den Zweck der Regelung, auf den Zusammenhang mit anderen Normen sowie die Absicht des Gesetzgebers abzustellen. Erläuterungen zur Regierungsvorlage können im Rahmen der Interpretation des Gesetzes einen Hinweis auf das Verständnis des Gesetzes bieten (vgl. VwGH 19.4.2021, Ro 2020/10/0024, Rn. 18, mwN).

17 Schon der Wortlaut des § 7 Abs. 1 lit. g BauG, der lediglich auf ein „bereits ausgeführtes Bauvorhaben“ abstellt, nimmt keine Einschränkung dahingehend vor, dass der Anwendungsbereich auf eine von der Baubewilligung abweichende Bauführung und dadurch bedingte Verletzung der Abstandsflächen und Mindestabstände begrenzt ist und somit Bauvorhaben, die gänzlich ohne Baubewilligung errichtet wurden, nicht erfasst sind (so auch Germann/Fleisch , Das Vorarlberger Baugesetz 4 , § 7 BauG, S 85, wonach der Ausnahmetatbestand nicht auf Bauvorhaben eingeschränkt ist, die abweichend von einer erteilten Baubewilligung ausgeführt wurden, sondern sich bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch auf Vorhaben erstreckt, die überhaupt ohne Baubewilligung ausgeführt worden sind).

18 Für dieses Ergebnis sprechen entgegen dem Revisionsvorbringen auch die eingangs zitierten Erläuterungen zu § 7 Abs. 1 lit. g BauG. Der Vorarlberger Landesgesetzgeber nimmt darin zunächst ausdrücklich auf die Möglichkeit der nachträglichen Erteilung einer Baubewilligung Bezug, die auch für gänzlich konsenslos errichtete Bauvorhaben erwirkt werden kann (vgl. VwGH 24.3.2010, 2008/06/0120, zur Aufforderung nach § 40 Abs. 1 lit. a BauG, die sich auf errichtete bzw. durchgeführte Bauvorhaben, die u.a. ohne erforderliche Baubewilligung erfolgt sind, richtet). Darüber hinaus hält der Vorarlberger Landesgesetzgeber fest, dass die Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften des BauG bzw. des Baubescheides gegenüber der Behörde zu beanstandet werden könne, womit er sich unter anderem auch auf Bauvorhaben bezieht, die ohne Vorliegen eines Baubescheides von den baugesetzlichen Abstandsbestimmungen abweichen.

19 Diesem Auslegungsergebnis stehen auch verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen.

20 Der Vorarlberger Landesgesetzgeber begründet die sachliche Rechtfertigung der Ausnahmebestimmung des § 7 Abs. 1 lit. g BauG mit der eingangs dargestellten intendierten Gleichstellung des der Abstandsnachsicht ausdrücklich zustimmenden Nachbarn im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. a BauG mit dem sich über einen längeren Zeitraum verschweigenden Nachbarn im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. g BauG, insbesondere, weil „die betroffenen Nachbarn die Möglichkeit haben bzw. hatten, die Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften des Baubescheides bei der Behörde zu beanstanden, dies aber während eines längeren Zeitraumes (10 Jahren) nicht getan haben.“ (vgl. Beilage 75/2019 30. LT, Teil B, S 2).

21 Zudem bewirkt § 7 Abs. 1 lit. g BauG auch keine Schlechterstellung des sich rechtmäßig verhaltenden Bauwerbers, der für die Baubewilligung zur Errichtung eines Bauvorhabens in der Abstandsfläche die Zustimmung des Nachbarn benötigt, gegenüber dem rechtswidrig agierenden Bauwerber, der seinen Bau in der Abstandsfläche bereits errichtet hat und nachträglich um die Baubewilligung dafür ansucht, weil auch dieser der „Zustimmung“ des Nachbarn bedarf, von welcher im Sinn des § 7 Abs. 1 lit. g BauG auszugehen ist, wenn der betroffene Nachbar die Abstandsunterschreitung zehn Jahre lang anstandslos geduldet hat.

22 Der Verfassungsgerichtshof hat im Übrigen zur Bestimmung des § 7 Abs. 1 lit. g BauG festgehalten, „Es liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er eine Abstandsnachsicht für bereits ausgeführte Bauvorhaben unter der Voraussetzung ermöglicht, dass die Interessen der Sicherheit, der Gesundheit sowie des Schutzes des Orts- und Landschaftsbildes nicht beeinträchtigt werden und die Unterschreitung der Abstandsflächen oder Mindestabstände während eines Zeitraumes von zehn Jahren ab Vollendung des Bauvorhabens nicht von den betroffenen Nachbarn gegenüber der Behörde beanstandet worden ist“ (vgl. VfGH 1.12.2022, E 227/2022 13, wiedergegeben in VwGH 7.3.2024, Ra 2023/06/0039).

Änderungen des Bauvorhabens nach Fertigstellung

23 Die Revision bringt weiters vor, die in den Jahren 2014/2015 vorgenommenen Änderungen der äußeren Erscheinung des Wintergartens im Sinne des § 18 Abs. 1 lit. a iVm § 2 Abs. 1 lit. o BauG führten dazu, dass der in § 7 Abs. 1 lit. g BauG festgelegte Zeitraum erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginne.

24 Das Verwaltungsgericht geht demgegenüber davon aus, dass die vorliegende Änderung keinen Einfluss auf den Fristenlauf des § 7 Abs. 1 lit. g BauG habe. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sei im Jahr 2010 die neue Dachabdeckung südlich des Wintergartens, d.h. an der den Revisionswerbern abgewandten Seite, bis zu einem bestehenden Schopf gezogen worden. In den Jahren 2014/2015 sei an der Westseite des Wintergartens eine Öffnung („Bullauge“) eingebaut und die westseitige Holzwand mit Platten verkleidet worden, die zu einem späteren Zeitpunkt schwarz gestrichen worden seien. Die Abstände zu dem Grundstück der Revisionswerber seien nicht verkleinert worden. Das Grundstück der Revisionswerber befinde sich nördlich des Wintergartens. Die vorgenommenen Änderungen betreffen nicht den Mindestabstand bzw. die Abstandsflächen.

25 Der Vorarlberger Landesgesetzgeber weist in den eingangs zitierten Erläuterungen darauf hin, dass der Nachbar im Verfahren auf nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung bzw. einer Abstandsnachsicht nach § 7 Abs. 1 lit. g Parteistellung hat und verweist dabei auf § 26 BauG (vgl. Beilage 75/2019 30. LT, Teil B, S 2).

26 Diesen Erläuterungen lässt sich entnehmen, dass nach der Intention des Vorarlberger Landesgesetzgebers dem Nachbarn im Verfahren auf Erteilung einer Abstandsnachsicht gemäß § 7 Abs. 1 lit. g BauG Parteistellung im Rahmen der in § 26 BauG taxativ aufgezählten Rechte zukommt (vgl. zur taxativen Aufzählung der Nachbarrechte in § 26 BauG, VwGH 22.12.2015, 2013/06/0239, mwN).

27 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass bei Anträgen auf Bewilligung von Änderungen des Bauwerks im Hinblick auf die Notwendigkeit der Erteilung einer Abstandsnachsicht zu prüfen ist, ob sich die Änderungen auf die vom Gesetz geschützten Nachbarinteressen auswirken oder nicht (vgl. VwGH 17.11.1994, 93/06/0246 zu § 6 Abs. 9 BauG 1972, mwN). Eine neuerliche Erteilung einer Abstandsnachsicht ist dann und soweit erforderlich, als sich die Änderung auf die subjektiven Rechte der Nachbarn auswirken kann (vgl. VwGH 14.9.1995, 93/06/0021, zur insoweit vergleichbaren Rechtslage in Salzburg, unter Verweis auf Rechtsprechung zu § 6 Abs. 9 BauG, LGBl. 39/1972).

28 Im vorliegenden Fall ist somit maßgeblich, ob sich die Änderungen des Bauwerks auf die in § 26 Abs. 1 BauG vom Gesetz geschützten Nachbarinteressen auswirken.

29 Nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde die westseitige Fassade des Wintergartens verkleidet und schwarz gestrichen sowie an der Westseite des Wintergartens ein Bullauge eingebaut. Hinsichtlich der dem Grundstück der Revisionswerber zugewandten nordseitigen Fassade, stellte das Verwaltungsgericht keine Änderungen fest; was durch die Revision unbestritten blieb. Im Hinblick auf die Erneuerung des Dachs wurden ebenso keine Veränderungen im Mindestabstand zu den Revisionswerbern festgestellt und eine solche von den Revisionswerbern auch nicht behauptet.

30 Daher ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die vorgenommenen Änderungen, die lediglich die den Revisionswerbern nicht zugewandten Gebäudeflächen betreffen, nicht geeignet sind, sich auf die vom Gesetz geschützten subjektiven Nachbarinteressen auszuwirken, auf Basis des festgestellten Sachverhaltes nicht zu beanstanden.

Ergebnis

31 Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

32 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. April 2024

Rückverweise