Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des K, vertreten durch Mag. Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. Juni 2021, W140 2237075 6/6E, betreffend Überprüfung der Fortsetzung einer Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid vom 11. November 2020 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an. Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das auch die darauf gegründete, ab 16. November 2020 vollzogene Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft betreffende Erkenntnis VwGH 2.3.2023, Ro 2022/21/0005, 0006, verwiesen.
2 Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 23. Juni 2021 hatte das BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung wie bereits bei mehreren vorangegangenen amtswegigen Überprüfungen gemäß § 22a Abs. 4 BFA VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft gegen den Revisionswerber maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet und Vorlage der Akten durch das BVwG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
4 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem zusammengefasst vor, das BVwG habe zu Unrecht angenommen, dass für die lange Dauer des Verfahrens über die Ausstellung eines Heimreisezertifikates nur das Verhalten des Revisionswerbers ursächlich gewesen sei. Zum gegenteiligen Vorbringen des Revisionswerbers habe das BVwG Ermittlungen und Feststellungen unterlassen.
5 Das trifft zu, weshalb die Revision entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des BVwG zulässig und auch berechtigt ist.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat im bereits erwähnten Erkenntnis VwGH 2.3.2023, Ro 2022/21/0005, 0006, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, einerseits dargelegt, dass von vornherein evident nicht zielführende Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates die Unverhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft nach sich ziehen. Andererseits wurde in diesem Verfahren der vom BVwG vertretenen zutreffenden Auffassung im dort (jeweils teilweise mit Partei und Amtsrevision) angefochtenen Erkenntnis vom 18. Februar 2022, dass bei Unterlassung „angemessener Bemühungen“ iSd Art. 15 Abs. 6 der RückführungsRL der unionsrechtskonform auszulegende Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG nicht anzuwenden sei (Hinweis auf VwGH 17.5.2021, Ra 2021/21/0044, Rn. 15), nicht entgegengetreten.
7 Dieser Entscheidung lag wie erwähnt das Erkenntnis vom 18. Februar 2022 zugrunde, in dem das BVwG die zunächst angestellten Bemühungen des BFA zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber als nicht zielführend erachtete. Dabei stützte sich das BVwG auf die Aussage einer Mitarbeiterin des BFA als Zeugin in der mündlichen Verhandlung in einem früheren Schubhaftbeschwerdeverfahren am 30. April 2021, der zufolge das BFA im Oktober 2020 mittels selbst ausgefüllten Formblatts der pakistanischen Botschaft als Daten zur Identifizierung des Revisionswerbers lediglich ein aufgrund eines Altersfeststellungsgutachtens im Asylverfahren festgelegtes fiktives Geburtsdatum, nicht aber das vom Revisionswerber genannte Geburtsdatum und auch nicht die ebenfalls erforderliche konkrete Heimatadresse übermittelt habe. Deshalb habe das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nach negativer Rückmeldung der pakistanischen Botschaft am 26. April 2021 (mit einem nunmehr vom Revisionswerber ausgefüllten Formblatt) wieder von Neuem begonnen.
8 Im vorliegenden Verfahren war die Zeugenaussage der Mitarbeiterin des BFA in der mündlichen Verhandlung am 30. April 2021 bereits bekannt. Auf den Inhalt dieser Aussage hatte der Revisionswerber auch in seiner Äußerung vom 21. Juni 2021, die er in Replik auf die dem Parteiengehör unterzogene Stellungnahme des BFA nach § 22a Abs. 4 BFA VG erstattet hatte, Bezug genommen.
9 Das BVwG unterließ jedoch eine angemessene Auseinandersetzung mit diesen schon im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Erkenntnisses bekannten und wie erwähnt vom Revisionswerber ausdrücklich ins Treffen geführten Umständen über die Ursache der Verzögerungen bei der Ausstellung des Heimreisezertifikates. Es stellte lediglich fest, dass der pakistanischen Botschaft am 29. April 2021 „ein neuerlich ausgefülltes Formblatt“ übermittelt worden sei. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte es dazu nur pauschal aus, dass in der Sphäre des BFA liegende Verzögerungen nicht zu erkennen seien und das BFA vielmehr rechtzeitig und zielführend Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber eingeleitet habe. Feststellungen über die in der Äußerung des Revisionswerbers vom 21. Juni 2021 angesprochenen Fehler des BFA beim ersten Versuch der Beschaffung eines Heimreisezertifikates im Oktober 2020, den das BVwG dann im Erkenntnis vom 18. Februar 2022 aufgrund der Übermittlung falscher bzw. unvollständiger Daten zu Recht als nicht zielführend bewertete, unterblieben allerdings zur Gänze.
10 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
11 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 2. März 2023
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