Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des I N, vertreten durch Rast Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2021, W251 2211132 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 10. August 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, Mitglieder der Al Shabaab seien persönlich an ihn herangetreten und hätten ihn zwangsrekrutieren wollen.
2 Mit Bescheid vom 23. November 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG soweit für das Revisionsverfahren relevant aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers betreffend die behaupteten Rekrutierungsversuche durch die Al Shabaab sei nicht glaubhaft. Es hätten sich näher genannte Unplausibilitäten und Widersprüche in den detaillosen und vagen Angaben des Revisionswerbers ergeben. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK vor. Der Revisionswerber habe in Österreich im Dezember 2020 eine in Österreich lebende somalische Staatsangehörige traditionell nach islamischem Ritus geheiratet, mit der er nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Er habe zwar näher genannte Integrationsschritte gesetzt, es lägen jedoch keine außergewöhnlichen Umstände vor. Sein unsicherer Aufenthalt und die Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte seien dem Revisionswerber bekannt gewesen. Bei einer Gesamtbetrachtung der dargelegten Umstände und deren Abwägung im Sinne des § 9 BFA VG sei fallbezogen davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.
5 Die vorliegende außerordentliche Revision rügt im Wesentlichen die Beweiswürdigung des BVwG, bringt vor, das BVwG sei willkürlich und spontan von einer Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers ausgegangen, hätte Recherchen vor Ort durch einen Vertrauensanwalt zur Überprüfung der Authentizität der im Kern gleich gebliebenen Angaben des Revisionswerbers durchführen müssen, und wendet sich gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. zum Ganzen VwGH 17.5.2021, Ra 2021/20/0145, mwN).
11 Das BVwG stützte die Annahme, wonach die behauptete Verfolgungsgefahr durch die Al Shabaab nicht glaubhaft sei, beweiswürdigend unter anderem darauf, dass der Revisionswerber näher genannte widersprüchliche Angaben gemacht, seinen Herkunftsort verschleiert sowie sein Fluchtvorbringen gesteigert habe und dieses nicht mit den Länderinformationen in Einklang zu bringen sei. Den Länderberichten könne entnommen werden, dass Al Shabaab üblicherweise ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen richte. Die meisten Rekruten würden über Clans rekrutiert und es werde mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt und Druck ausgeübt.
12 Im Hinblick auf diese beweiswürdigenden Erwägungen, in die das BVwG die Aussagen des Revisionswerbers in der behördlichen Einvernahme und der Beschwerdeverhandlung sowie den realen Hintergrund der Fluchtgeschichte unter Hinweis auf zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderberichte zur Rekrutierungspraxis der Al Shabaab in Somalia miteinbezog, trifft der Vorwurf der Revision, das BVwG sei „willkürlich und spontan von einer Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers“ ausgegangen, nicht zu. Die Revision wendet sich darüber hinaus mit der pauschal gehaltenen Rüge, die vom BVwG erkannten Abweichungen im Vorbringen des Revisionswerbers seien marginal und er habe seine Fluchtgründe im Kern gleichbleibend geschildert, bloß gegen einzelne Aspekte der Beweiswürdigung ohne nähere Begründung und vermag damit eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung nicht darzulegen.
13 Soweit der Revisionswerber vorbringt, dass dem BVwG zur Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers Vor Ort Recherchen durch einen Vertrauensanwalt „zuzumuten“ gewesen wären, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ein darauf gerichteter Beweisantrag nicht gestellt wurde. Dass amtswegige Ermittlungen im Herkunftsstaat fallbezogen „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 gewesen wären, zeigt die Revision nicht auf (vgl. dazu VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, 0101, Rn. 11).
14 Die Revision wendet sich unter Hinweis auf näher genannte, das Privat und Familienleben des Revisionswerbers betreffende Umstände auch gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0167, mwN).
16 Bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände darf im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/18/0396, mwN), und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründete Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518, mwN).
17 Fest steht, dass der Revisionswerber mit seiner Partnerin nur nach traditionellem islamischen Ritus verheiratet ist; eine Eheschließlich im Sinne des EheG liegt nicht vor. Auch eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, die ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründen könnte, liegt in seinem Fall nicht vor:
18 Bei der Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet, ist auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen abzustellen, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/18/0071, mwN).
19 Das BVwG stellte fest, dass der Revisionswerber und seine Partnerin kinderlos seien, nicht zusammenwohnten und kein Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Auf der Grundlage dieser Feststellungen lässt sich ein schützenswertes Familienleben des Revisionswerbers in Österreich nicht ableiten. Die erstmalige Behauptung in der Revision, seine Partnerin sei schwanger, verstößt gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot und kann daher im Revisionsverfahren keine Beachtung finden.
20 Liegt wie im vorliegenden Fall eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 12.5.2021, Ra 2020/18/0260, mwN).
21 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das BVwG alle entscheidungswesentlichen und auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände, sah darin jedoch in vertretbarer und somit nicht revisibler (vgl. erneut VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0167, mwN) Weise keine außergewöhnliche Integration im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung. Eine solche wird auch vom Revisionswerber, der lediglich auf seine „durchaus gute Integration im Bundesgebiet“ verweist, nicht behauptet.
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 10. September 2021