Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Mag. Liebhart Mutzl und Dr. in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Gemeindevorstands der Marktgemeinde W, vertreten durch die Ehrenhöfer Häusler Rechtsanwälte GmbH in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Oktober 2021, LVwG AV 718/001 2021, betreffend einen Bauauftrag nach der NÖ Bauordnung 2014 (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. B M, 2. H N und 3. Mag. J N, alle vertreten durch die Oehner Partner Rechtsanwaelte GmbH in 1220 Wien, Donau City Straße 7), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde W vom 23. September 2020 wurde den mitbeteiligten Parteien als Miteigentümern eines näher genannten Grundstücks der KG S gemäß § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO) aufgetragen, den „Abbruch (vollständige Entfernung) der ohne vorangegangene Anzeige gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 lit. f) NÖ Bauordnung 2014 auf dem Grundstück [...] seit zumindest 7 Monaten gelagerten 35 Stück ‚Betonblöcke‘, ein Produkt der K[...], Type [...], mit einem Eigengewicht von je 510 kg zu veranlassen, somit einen Zustand, der dem vorherigen entspricht, herzustellen.“
2 Über die dagegen von den mitbeteiligten Parteien erhobene Berufung entschied der Gemeindevorstand der Marktgemeinde W (belangte Behörde; Amtsrevisionswerber) mit Bescheid vom 18. März 2021, in dessen Spruch die belangte Behörde den Entfernungsauftrag dahingehend abänderte, als sie in Spruchpunkt I. festhielt, dass die Verwendung des gegenständlichen Grundstücks „als Lagerplatz für Material aller Art, nämlich als Lagerplatz für 37 Stück ‚Betonblöcke‘, ein Produkt der K[...], Type [...], mit einem Eigengewicht von je 510 kg, gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 verboten wird (Unterlassungsauftrag).“
3 In Spruchpunkt II. des Bescheides legte die belangte Behörde die Frist zum Nachweis der Unterlassung mit vier Wochen fest.
4 Begründend führte die belangte Behörde auf das Wesentlichste zusammengefasst an, dass zwar § 35 Abs. 2 Z 2 letzter Satz NÖ BO 2014 unter anderem auch die Grundlage für die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages hinsichtlich Vorhaben, die keine Bauwerke seien, bilde, jedoch komme nach der ständigen Rechtsprechung gegen eine gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 zu unterbindende rechtswidrige Verwendung eines Grundstückes nicht ein Abbruchauftrag, sondern nur ein Unterlassungsauftrag (Hinweis auf VwGH 16.12.2003, 2001/05/0387) in Betracht.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (LVwG) wurde der sodann erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG Folge gegeben und der Bescheid der belangten Behörde behoben (Spruchpunkt 1.). Zugleich sprach das LVwG aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).
6 Begründend führte das LVwG soweit für das vorliegende Revisionsverfahren wesentlich aus, dass aufgrund der Abänderung des Spruchs durch die belangte Behörde von einem Entfernungsauftrag zu einem Unterlassungsauftrag nunmehr die Rechtmäßigkeit des Entfernungsauftrags der Baubehörde 1. Instanz nicht Verfahrensgegenstand sei. Nach näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei Sache des Berufungsverfahrens der Gegenstand des Verfahrens in der Vorinstanz; die Berufungsbehörde dürfe sachlich nicht über mehr absprechen, als Gegenstand der Entscheidung der unteren Instanz gewesen wäre und nicht zusätzlich zu einem in erster Instanz erteilten Auftrag einen vom ersten Auftrag trennbaren weiteren Auftrag erlassen. Spreche die Berufungsbehörde über eine Angelegenheit in der Sache ab, die nicht Gegenstand des unterinstanzlichen Bescheides gewesen sei, leide der Berufungsbescheid an Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Rechtsmittelbehörde. Durch die Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides in einen Unterlassungsauftrag, nämlich das Verbot der Verwendung eines Grundstücks als Lagerplatz für Material aller Art, habe die belangte Behörde die Sache des Berufungsverfahrens überschritten und die Entscheidung sei infolge Unzuständigkeit aufzuheben. Gegenstand des Berufungsverfahrens sei ausschließlich der baupolizeiliche Auftrag zum Abbruch bzw. zur vollständigen Entfernung der 35 Betonblöcke gewesen, worüber der Gemeindevorstand im fortgesetzten Verfahren zu entscheiden haben werde.
7 In der vorliegenden außerordentlichen Amtsrevision wird zur Begründung der Zulässigkeit vorgebracht, das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung zu § 28 Abs. 2 VwGVG abgegangen, weil es entgegen dieser Rechtsprechung keine Sachentscheidung getroffen habe, besonders krasse Ermittlungslücken seien jedoch nicht vorgelegen. Weiters sei das LVwG von näher zitierter Judikatur zur „Sache“ des Beschwerdeverfahrens abgewichen.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die Revision ist unzulässig:
12 „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. VwGH 31.5.2022, Ro 2021/06/0008 oder auch 26.2.2020, Fr 2019/05/0024, mit Verweis auf VwGH 31.1.2019, Ra 2018/22/0086, mwN). Gegenständlich ist Sache der vom Amtsrevisionswerber gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 ausgesprochene Unterlassungsauftrag.
13 Wenn der Amtsrevisionswerber in seinem vom LVwG behobenen Bescheid mit Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2003, 2001/05/0387) ausführt, aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich, dass die gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 zu unterbindende rechtswidrige Verwendung eines Grundstücks „nur“ mittels eines Unterlassungsauftrags anzuordnen sei, weshalb die Änderung des Abbruchauftrags in einen Unterlassungsauftrag zu erfolgen gehabt habe, so übersieht der Amtsrevisionswerber (abgesehen davon, dass das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zur hier nicht anzuwendenden Rechtslage nach der NÖ Bauordnung 1996 erging), dass im selben Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ebenso ausgeführt wurde, dass zwischen der Konsensbedürftigkeit der Verwendung einer Liegenschaft in bestimmter Weise (hier: Verwendung des betroffenen Grundstücks als Lagerplatz) einerseits und der Konsensbedürftigkeit entsprechender baulicher Anlagen (hier: Einstufung der gegenständlichen Betonschwellen als „bauliche Anlage“) andererseits zu unterscheiden ist (vgl. erneut VwGH 2001/05/0387). Im Übrigen lässt sich aus diesem Argument des Amtsrevisionswerbers nicht ableiten, dass die Berufungsbehörde berechtigt wäre, anlässlich der Entscheidung über das bei ihr anhängige Rechtsmittel den Verfahrensgegenstand (hier: von Entfernungsauftrag nach § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 auf Auftrag zur Nutzungsunterlassung nach § 35 Abs. 3 leg. cit.) auszutauschen und den Berufungswerbern darauf im Ergebnis eine Instanz zu nehmen.
14 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das LVwG daher zutreffend ausgeführt, dass „Sache“ des Berufungsverfahrens der Gegenstand des Verfahrens in der Vorinstanz, also jene Angelegenheit ist, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides der Unterinstanz gebildet hat (vgl. VwGH 22.4.2015, 2013/10/0155; oder bereits 27.4.2000, 98/06/0236) und der Amtsrevisionswerber gegenständlich die „Sache“ des Berufungsverfahrens überschritten hat. Aus den in diesem Zusammenhang zur Zulässigkeit der Revision ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. November 2014, Ro 2014/05/0025, und vom 24. Jänner 2017, Ra 2016/05/0066, ergibt sich nichts Gegenteiliges.
15 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Verwaltungsgerichte in jenen Fällen, in denen die Verwaltungsbehörde, deren Entscheidung bekämpft wird, unzuständig war, allein dafür zuständig sind, diese Unzuständigkeit unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer dies im Verfahren vorgebracht hat aufzugreifen und den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben (vgl. VwGH 27.3.2018, Ra 2017/06/0247; 25.5.2016, Ra 2015/06/0095, mwN und dem Hinweis auf die insoweit übertragbare Judikatur zur Rechtslage vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz).
16 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof auch bereits ausgesprochen, dass die ersatzlose Behebung des beim Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheides infolge Unzuständigkeit eine negative Sachentscheidung darstellt und somit mittels Erkenntnis zu erfolgen hat (vgl. hierzu VwGH 13.7.2022, Ra 2022/02/0100, mwN). Es handelt sich vorliegend nicht, wie der Amtsrevisionswerber nach den Ausführungen zur Zulässigkeit offenbar meint, um eine Aufhebung und Zurückweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Amtsrevisionswerber über die Berufung gegen den in erster Instanz erlassenen Entfernungsauftrag gemäß § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 (über die dieser bislang nicht entschieden hat) im fortgesetzten Verfahren abzusprechen haben wird.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 13. Jänner 2023