Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des A G in G, vertreten durch Mag. Anton Pelwecki, Rechtsanwalt in 3003 Gablitz, Billrothgasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 2021, Zl. W101 2208881 1/8E, betreffend datenschutzrechtliche Beschwerde wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung gemäß § 1 DSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Datenschutzbehörde; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: O L W), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1. Der Revisionswerber erhob am 12. Februar 2018 eine gegen den Mitbeteiligten als Beschwerdegegner gerichtete Datenschutzbeschwerde wegen Verletzung im Grundrecht auf Geheimhaltung gemäß § 1 Abs. 1 Datenschutzgesetz (DSG).
2 2. Mit Bescheid vom 31. Juli 2018 wies die belangte Behörde diese Beschwerde ab.
3 Diesem Bescheid lag die Feststellung zugrunde, dass im Rahmen einer vom Mitbeteiligten als Abteilungsleiter mit zwei Mitarbeitern aus der Abteilung des Revisionswerbers angesetzten Besprechung aus dem Personalakt des Revisionswerbers (lediglich) folgender Textteil eines Schreibens des Bundesministeriums für Landesverteidigung verlesen worden sei: „... die in den Arbeitsplatzbeschreibungen angeführten Aufgaben keine taxativen Aufzählungen aller Tätigkeiten darstellen und somit ein von diesen beschriebenen Aufgaben abweichender, ergänzender Dispositionsspielraum (Geschäftsordnung) gegeben ist.“ Es habe nicht festgestellt werden können, dass darüberhinausgehende Inhalte des Personalaktes verlesen worden seien. Es habe überdies nicht festgestellt werden können, dass den bei dieser Besprechung anwesenden Personen auf sonstige Weise aus dem Personalakt personenbezogene Daten des Revisionswerbers zur Kenntnis gekommen seien.
4 Auf der Grundlage dieser Sachverhaltsfeststellung folgerte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht, die verlesenen Textpassagen würden keine personenbezogenen Daten aufweisen, weshalb auch keine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung gemäß § 1 DSG 2000 vorliege. Der alleinige Umstand, dass es sich bei dem Personalakt um ein Aktenkonvolut mit der Klassifizierungsstufe „Datenschutz“ handle, ändere nichts an der Tatsache, dass keine personenbezogenen Daten verlesen worden seien. Aus diesem Grund sei die Beschwerde gemäß § 24 Abs. 5 DSG als unbegründet abzuweisen gewesen.
5 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde und brachte vor, die belangte Behörde habe einen unzureichend erhobenen Sachverhalt zugrunde gelegt. Es sei unterlassen worden, den vollständigen Inhalt des Gesprächs der mitbeteiligten Partei mit den Mitarbeitern zu erheben. In diesem Gespräch habe der Mitbeteiligte unbeteiligten Dritten mitgeteilt, dass der Revisionswerber einen ADV Sondervertrag habe, ferner welcher Bedienstetengruppe der Revisionswerber angehöre und in welcher Gehaltsstufe sich dieser befinde. Ferner habe der Mitbeteiligte den anwesenden Mitarbeitern mitgeteilt, dass der Revisionswerber die Absicht habe, die Position zu wechseln und diesbezügliche Anfragen an die Personalabteilung gestellt habe. Die entsprechenden Feststellungen hätte die belangte Behörde auf Grund des vom Revisionswerber vorgelegten Transkripts einer Tonbandaufzeichnung bzw. der unrecht unterlassenen Einvernahme zweier namentlich genannter Zeugen treffen müssen.
6 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Oktober 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Unter einem erklärte es die Revision für nicht zulässig.
7 Das Verwaltungsgericht traf im Wesentlichen die Feststellung, der Mitbeteiligte sei als Vorgesetzter des Revisionswerbers berechtigt gewesen, dessen Personalakt im ELAK System einzusehen und dementsprechend auch im Vorfeld des Gesprächs vom 12. Februar 2016 das besagte Schreiben aus dem Personalakt abzurufen. Der Mitbeteiligte habe sodann als Vorgesetzter mit zwei Mitarbeitern ein Gespräch geführt, da der Revisionswerber bei diesen mit diversen Behauptungen über Arbeitsplatzbestimmungen und zu geringe Entgeltbemessungen Verunsicherungen in der Abteilung herbeigeführt habe. Im Rahmen dieses Gespräches sei es zielführend gewesen, Passagen aus dem aus dem Personalakt abgerufenen Schreiben zu zitieren. Als maßgeblich sei folglich festzustellen, dass der Mitbeteiligte den Revisionswerber weder durch den Abruf des besagten Schreibens noch durch das am 12. Februar 2016 erfolgte Gespräch mit den Mitarbeitern in seinem Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten verletzt habe.
8 Diese Feststellungen stütze das Verwaltungsgericht auf den Verwaltungsakt, den Inhalt der Beschwerde und den Gerichtsakt. In rechtlicher Hinsicht kam das Verwaltungsgericht fallbezogen zu dem Schluss, dass der Mitbeteiligte in seiner Rolle als Vorgesetzter gegenüber den Mitarbeitern gefordert gewesen sei, diverse vom Revisionswerber in den Raum gestellte Behauptungen zu entkräften. Zu diesem Zweck sei es zielführend gewesen, in dem Gespräch am 12. Februar 2016 in Gegenwart der beiden Mitarbeiter Passagen aus dem besagten Schreiben zu zitieren, da diese für die Beantwortung der Fragen dieser beiden Mitarbeiter relevant gewesen seien. Da dies jedoch ohne Nennung von personenbezogenen Daten des Revisionswerbers erfolgt sei, sei dies eine notwendige und auch verhältnismäßige dienstrechtliche Maßnahme des Mitbeteiligten als Vorgesetzter gewesen. Aus diesem Grund liege keine Verletzung des Rechts auf Geheimhaltung vor.
9 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen können. Der Revisionswerber habe zwar einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt, jedoch könne im gegenständlichen Fall das Unterlassen derselben darauf gestützt werden, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen gehabt.
10 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision.
11 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, mit welcher sie die Zurückweisung bzw. Abweisung der Revision beantragte.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 5.1. Die Revision bringt in der Zulässigkeitsbegründung ua. vor, das BVwG sei mit dem Entfall der mündlichen Verhandlung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
13 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig und auch begründet.
14 5.2. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt festgehalten, dass als Zweck der mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Verwaltungsgericht vor Augen stand. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei maßgeblichem sachverhaltsbezogenen Vorbringen einer beschwerdeführenden Partei ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
16 Eine mündliche Verhandlung hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bedachtnahme auf Rechtsprechung des EGMR dann nicht für erforderlich erachtet, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind und in der Beschwerde keine Rechts oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen wurden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte.
17 Nach der Judikatur des EGMR kann zudem das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ein Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung rechtfertigen. Demnach kann der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung im Anwendungsbereich des VwGVG etwa in Fällen gerechtfertigt sein, in denen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen werden (vgl. zum Ganzen VwGH 19.10.2022, Ra 2022/04/0080, Rn. 27 ff, mwN).
18 5.3. Der Verwaltungsgerichtshof vermag die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Sachverhalt sei vorliegend aufgrund der Aktenlage als geklärt anzusehen, nicht zu teilen. Vielmehr hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde nicht nur die Unvollständigkeit der behördlichen Feststellungen moniert, sondern auch die Unterlassung der Einvernahme zweier Zeugen und die Unterlassung der Würdigung weiterer Beweise gerügt. Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht nicht davon ausgehen dürfen, dass in der Beschwerde keine Rechts oder Tatfragen aufgeworfen worden seien, die eine mündliche Verhandlung erfordert hätten, bzw. dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht habe erwarten habe. Das Verwaltungsgericht durfte daher von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht absehen, sondern hätte vielmehr die offenen Beweise aufnehmen, diese einer Würdigung unterziehen und darauf aufbauend die maßgeblichen Feststellungen allenfalls Negativfeststellungen treffen müssen. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Eine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels ist bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung nicht vorzunehmen (vgl. VwGH 16.6.2020, Ra 2018/04/0151, Rn. 12, mwN).
19 Ausgehend davon war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
20 Hingewiesen sei darauf, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, „dass die mitbeteiligte Partei weder durch den Abruf des besagten Schreibens aus dem Personalakt des Beschwerdeführers noch durch das am 12.02.2016 geführte Gespräch mit (...) den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten verletzt hat“ (angefochtenes Erkenntnis Seite 7), keine auf den Beweisergebnissen basierende Feststellung sondern vielmehr eine rechtliche Beurteilung darstellt, die ihrerseits das Treffen von durch das Tatsachenvorbringen und Antragsbegehren des Antragstellers determinierten entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen voraussetzt.
21 Ergänzend ist auch darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hat darauf hinzuwirken, dass der Revisionswerber seinen Antrag schon wegen der Bestimmung des Rechtskraftumfangs dahingehend präzisiert, durch die Weitergabe welcher personenbezogener Daten sich dieser konkret verletzt fühlt, um einen entsprechend präzisen Spruch fassen zu können (vgl. hierzu die Fassung der Spruchpunkte in dem Erkenntnis BVwG 22.11.2022, W292 2256548 1/27E).
22 5.4. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 23. Jänner 2023
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