Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 9. Juni 2021, Zl. LVwG AV 123/004 2019, betreffend Kostentragung für die Sicherung einer Eisenbahnkreuzung (mitbeteiligte Parteien: 1. Ö AG in W, vertreten durch Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 11 und 2. Marktgemeinde G in G, vertreten durch Nistelberger Parz Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Bräunerstraße 3/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Die erstmitbeteiligte Partei ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eigentümerin bzw. Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Absdorf Hippersdorf Krems an der Donau. Diese Eisenbahnstrecke wird in km 14,890 von einer Gemeindestraße der zweitmitbeteiligten Partei gekreuzt.
2 Nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigenkommission gemäß § 28 Abs. 4 EisbG traf die revisionswerbende Partei mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 eine Kostenentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 bis 4 EisbG.
3 Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerden der mitbeteiligten Parteien hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss den Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 19. Dezember 2018 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Begründend hielt das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, dass die revisionswerbende Partei in sinngemäßer Anwendung des § 48 Abs. 3 EisbG eine Kostenentscheidung zu treffen gehabt habe. Dazu hätten jedoch die von ihr getätigten Ermittlungen und die auf deren Basis getroffenen Feststellungen offensichtlich bei weitem nicht ausgereicht. Die revisionswerbende Partei habe die maßgebliche Kostenteilungsmasse (auch) der Höhe nach zu ermitteln und anschließend unter sinngemäßer Heranziehung der Kriterien des § 48 Abs. 3 EisbG unter Festsetzung eines Aufteilungsverhältnisses auf die mitbeteiligten Parteien zu verteilen gehabt. Das gelte auch für die laufend erwachsenden Kosten der Erhaltung und Inbetriebhaltung. Das eingeholte Gutachten (der Sachverständigenkommission nach § 48 Abs. 4 EisbG) als einzig maßgebendes Beweismittel, auf das sich die revisionswerbende Partei stütze, genüge den näher dargestellten Anforderungen an ein Gutachten in keiner Weise. Die revisionswerbende Partei hätte sich nicht mit dem lapidaren, in keiner Weise nachprüfbaren Urteil der Sachverständigenkommission zufriedengeben dürfen, sondern hätte diese zur Ergänzung ihres Gutachtens auffordern (oder, sofern sich die Sachverständigenkommission als dazu ungeeignet erweise, andere taugliche Sachverständige zur erstmaligen Abgabe eines dem AVG entsprechenden Gutachtens heranziehen) müssen.
Indem die revisionswerbende Partei das schon in Bezug auf die Kostenteilungsmasse unbrauchbare Gutachten ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe, habe sie den maßgeblichen Sachverhalt in diesem zentralen Punkt nicht einmal ansatzweise ermittelt.
Der Bescheid der revisionswerbenden Partei genüge den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht. Aufgrund der unzulänglichen Sachverhaltsfeststellung der revisionswerbenden Partei habe das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob es die erforderliche Ermittlung des Sachverhalts selbst durchzuführen habe oder ob eine Aufhebung des Bescheides und due Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die revisionswerbende Partei erfolgen solle.
Es gäbe schon im Hinblick auf die Nähe der revisionswerbenden Partei zur Sache und ihre Vorkenntnisse aus dem vorangegangenen Verfahren keinen Grund zur Annahme, dass die notwendige Ermittlung des Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde mit höheren Kosten oder mit einer längeren Verfahrensdauer verbunden wäre, als wenn das Gericht dies selbst durchführe. Im Gegenteil sei davon auszugehen, dass die revisionswerbende Partei im Hinblick auf weitere bei ihr anhängige Verfahren Synergieeffekte nutzen werden können. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG für eine obligatorische Sachentscheidung durch das Verwaltungsgericht schienen daher nicht erfüllt. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei bestenfalls ansatzweise ermittelt worden, wobei die Einholung eines Gutachtens in der vorliegenden Form einem ungeeigneten Ermittlungsschritt gleichzuhalten sei, und es lägen andererseits deutliche Hinweise darauf vor, dass die revisionswerbende Partei die Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes dem Verwaltungsgericht zu überantworten gedacht habe.
Nach Darlegung von Mängeln des Gutachtens der Sachverständigenkommission kommt das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass der Sachverhalt so lückenhaft und der Lückenschluss mit zu erwartendem erheblichem Aufwand verbunden sei, dass dies die Aufhebung des Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die revisionswerbende Partei rechtfertige. Dazu komme, dass sich angesichts der im angefochtenen Beschluss näher dargelegten Praxis der revisionswerbenden Partei beim Verwaltungsgericht der Eindruck verdichtet habe, dass die revisionswerbende Partei systematisch schwierige Ermittlungen vermeide, um sie in einem absehbaren Beschwerdefall dem Verwaltungsgericht zu überlassen. Der Umstand, dass die revisionswerbende Partei ein völlig unzureichendes Gutachten ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe, obwohl von den mitbeteiligten Parteien mit nachvollziehbarer Begründung die Unzulänglichkeit dieses Gutachtens geltend gemacht worden war, lasse bei verständiger Würdigung nur den Schluss zu, dass die revisionswerbende Partei weitere Ermittlungen bewusst unterlassen habe.
5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Landeshauptfrau von Niederösterreich, die zur Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu seiner meritorischen Entscheidungspflicht gemäß § 28 VwGVG abgewichen.
6 Die erstmitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der im Wesentlichen darlegt, dass ihrer Ansicht nach das vorliegende Gutachten im Ergebnis eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die festzustellenden Kosten darstelle. Die zweitmitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist im Sinne des angeführten Zulassungsvorbringens zulässig und begründet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
10 Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 12.4.2018, Ra 2017/04/0061, mwN).
11 Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht zwar Mängel des eingeholten Gutachtens der Sachverständigenkommission und des darauf aufbauenden Bescheides der revisionswerbenden Partei aufgezeigt. Dass diese Mängel im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde gerechtfertigt hätten, vermag das Verwaltungsgericht aber nicht darzulegen.
12 Wenn das Verwaltungsgericht ausführt, es sei bestenfalls ansatzweise ermittelt worden, ist zu erwidern, dass die belangte Behörde jedenfalls das gesetzlich vorgesehene Gutachten eingeholt hat. Die weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, es lägen „deutliche Hinweise darauf vor, dass die belangte Behörde im konkreten Fall die Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes dem Gericht zu überantworten gedachte“, lässt sich weder anhand der Begründung der Entscheidung noch des Akteninhaltes nachvollziehen. Allein der Umstand, dass beim Verwaltungsgericht mehrere eisenbahnrechtliche Verfahren anhängig sind oder waren, in denen das Gericht die eingeholten Gutachten ebenfalls für unzureichend angesehen hat, um darauf tragfähige Kostenentscheidungen zu gründen, reicht nicht aus, um den Schluss des Verwaltungsgerichts zu rechtfertigen, die Verwaltungsbehörde habe Ermittlungen unterlassen, um diese an das Verwaltungsgericht zu delegieren. Dieser Sichtweise tritt die Amtsrevision auch ausdrücklich entgegen und verweist der Sache nach darauf, dass sie lediglich einen anderen Rechtsstandpunkt zur Eignung der Gutachten eingenommen habe.
13 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 10. Dezember 2021