Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über den Fristsetzungsantrag des Q A in P, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Bundesverwaltungsgericht wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Bundesverwaltungsgericht wird aufgetragen, das Erkenntnis oder den Beschluss innerhalb von vier Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung dieses Erkenntnisses, nachzuholen.
Der Bund hat dem Antragsteller Aufwendungen in der Höhe von € 793,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Einleitend wird auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 14. November 2019, Ra 2018/22/0276, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof den dort angefochtenen, auf § 28 Abs. 3 VwGVG gestützten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 24. Oktober 2018 (betreffend die Behebung des den Antrag des Antragstellers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 zurückweisenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl [BFA] und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
Des Weiteren wird auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 23. Jänner 2020, Ra 2019/21/0250, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des BVwG vom 8. Jänner 2019, mit dem die Beschwerde des Antragstellers gegen seine am 27. Oktober 2018 erfolgte Abschiebung nach Pakistan als unbegründet abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
2 Mit Schriftsatz vom 9. November 2020 brachte der Antragsteller hinsichtlich des durch das aufhebende hg. Erkenntnis Ra 2018/22/0276 wieder offenen Verfahrens betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 den vorliegenden Fristsetzungsantrag ein.
Der Antragsteller brachte vor, er habe mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 beim BVwG unter Bezugnahme ua. auf das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2019/21/0250 die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und wie auch in einem weiteren Schriftsatz vom 3. September 2020 ausdrücklich erklärt, zu einer anzuberaumenden mündlichen Verhandlung anzureisen. Wenn das BVwG seiner Verpflichtung zur persönlichen Anhörung des Antragstellers durch Ladung zu einer mündlichen Verhandlung nachkomme, könne ein Antrag auf Erteilung eines Einreisevisums gestellt werden.
3 Das BVwG legte den Fristsetzungsantrag dem Verwaltungsgerichtshof mit Vorlageschreiben vom 12. November 2020 vor und verwies darin auf die Einstellung des Verfahrens mit verfahrensleitendem Beschluss vom 17. Februar 2020, L508 1430292 3/16E.
4 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 2020 wurde dem BVwG gemäß § 38 Abs. 4 VwGG aufgetragen, binnen drei Monaten die Entscheidung zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.
5 Mit Stellungnahme vom 14. Dezember 2020 legte das BVwG dar, warum aus seiner Sicht keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliege:
Das BVwG verwies zunächst darauf, dass der im hg. Erkenntnis Ra 2019/21/0250 geäußerten Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung getragen und mit (näher bezeichnetem) Erkenntnis vom 28. Februar 2020 die Rechtswidrigkeit der am 27. Oktober 2018 erfolgten Abschiebung des Antragstellers festgestellt worden sei.
Weiters hielt das BVwG fest, dass das (gegenständliche) Beschwerdeverfahren auf Grund der Abschiebung des Antragstellers, seiner fehlenden aufrechten Meldung im Bundesgebiet sowie des Umstandes, dass zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes seine persönliche Mitwirkung erforderlich wäre, mit dem (oben angeführten) verfahrensleitenden Beschluss vom 17. Februar 2020 gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt worden sei. Da es sich vorliegend nicht um ein Asylverfahren handle, gelange § 24 AsylG 2005 analog zur Anwendung.
Dem Antrag auf Fortsetzung sei wie in einem Aktenvermerk festgehalten nicht stattgegeben worden, weil zur Verfahrensfortsetzung eine persönliche Vernehmung des Antragstellers erforderlich sei und sich der Antragsteller nicht im Bundesgebiet aufhalte.
Da das Verfahren mit dem zitierten verfahrensleitenden Beschluss gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt worden sei und auch aktuell mangels Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet eine (unabdingbar erscheinende) Befragung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nicht möglich sei, liege keine Verletzung der Entscheidungspflicht vor.
6 Diesen Ausführungen hielt der Antragsteller in seiner Stellungnahme vom 11. Jänner 2021 entgegen, das BVwG sei rechtswidriger Weise davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall § 24 AsylG 2005 analog zur Anwendung gelange. Da der Antragsteller auf Grund einer als rechtswidrig erklärten Abschiebung abgeschoben worden sei, sei das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung und die Verweigerung des Aufenthaltstitels jedenfalls fortzuführen. Der Antragsteller sei während des gesamten Verfahrens durch die Einschreiterin vertreten gewesen und habe erklärt, am Verfahren mitzuwirken. Zudem wäre so der Antragsteller unter Verweis auf ein näher bezeichnetes anderes Verfahren vor dem BVwG eine Befragung des Antragstellers mittels Zoom-Konferenz problemlos möglich und der Antragsteller wäre damit auch einverstanden. Der Umstand, dass das BFA die rechtswidrige Abschiebung entgegen der Verpflichtung des § 63 VwGG nicht durch Organisation der Wiedereinreise saniere, entbinde das BVwG nicht von seiner Entscheidungspflicht in der vorliegenden Sache.
7 Unstrittig ist, dass die Entscheidungsfrist des BVwG im vorliegenden Fall abgelaufen ist und das BVwG auch nach dem hg. Beschluss vom 17. November 2020 kein Erkenntnis in der gegenständlichen Sache erlassen hat. Zu prüfen ist daher, ob dessen ungeachtet wie das BVwG unter Verweis auf die Einstellung des gegenständlichen Verfahrens mit Beschluss vom 17. Februar 2020 geltend macht keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt.
8 Diesbezüglich ist zunächst auf die Ausführungen im hg. Beschluss vom 3. Mai 2018, Ra 2018/19/0020 bis 0022, zu verweisen:
In diesem Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof eine Revision gegen einen auf § 24 Abs. 2 AsylG 2005 gestützten Einstellungsbeschluss im Hinblick auf § 25a Abs. 3 VwGG (wonach gegen verfahrensleitende Beschlüsse eine abgesonderte Revision nicht zulässig ist und diese erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden können) als nicht zulässig erachtet und dementsprechend zurückgewiesen. Festgehalten wurde mit näherer Begründung (auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird), dass der in § 24 Abs. 2 AsylG 2005 geregelten Einstellung keine endgültige verfahrensbeendende Wirkung beizumessen ist und eine derartige Verfahrenseinstellung auch nicht zur endgültigen Beendigung des Beschwerdeverfahrens führen kann. Der Beschluss des BVwG betreffend die Verfahrenseinstellung ist somit bloß als verfahrensleitend zu qualifizieren. Eine nicht dem § 24 AsylG 2005 entsprechende (bloß vorläufige) Einstellung des Asylverfahrens zeitigt auch keine Auswirkungen auf die Entscheidungspflicht des BVwG. Es steht dem Fremden frei, zur Erlangung einer das Verfahren endgültig beendenden Entscheidung diese Entscheidungspflicht letztlich auch mittels eines Fristsetzungsantrags nach § 38 VwGG geltend zu machen.
9 Im vorliegenden Fall räumt das BVwG hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens vom 17. Februar 2020 zwar ein, dass es sich fallbezogen nicht um ein Asylverfahren handle, geht aber ohne nähere Begründung von einer analogen Anwendung des § 24 AsylG 2005 im gegenständlichen Verfahren aus. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
Gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 sind Asylverfahren einzustellen, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren (im Sinn des § 24 Abs. 1 AsylG 2005) entzogen hat und eine Entscheidung ohne eine allenfalls weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann.
Das hier gegenständliche Verfahren betrifft einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG 2005. Es liegt somit weder ein (im 4. Hauptstück des AsylG 2005 geregeltes) Asylverfahren vor, noch handelt es sich beim Antragsteller um einen Asylwerber. Zwar enthält das 7. Hauptstück des AsylG 2005 in seinem § 58 Abs. 11 Z 1 eine Regelung betreffend die Einstellung eines Verfahrens zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels; diese Regelung ist für wie vorliegend auf Antrag eingeleitete Verfahren aber nicht einschlägig (vgl. vielmehr für Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Regelung in § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005). Eine darüber hinausgehende, allgemein anwendbare Regelung betreffend die Einstellung von Verfahren findet sich im 7. Hauptstück des AsylG 2005 nicht.
Dass die gesetzlichen Regelungen des 7. Hauptstückes des AsylG 2005 insoweit eine planwidrige Unvollständigkeit erkennen ließen, ist nicht ersichtlich und das BVwG vermag dies auch nicht aufzuzeigen; eine vom Gesetzgeber ungewollte Lücke, die durch analoge Anwendung des § 24 AsylG 2005 zu schließen wäre, ist somit nicht zu erkennen. Ausgehend davon liegt auch keine dem § 24 AsylG 2005 entsprechende Einstellung vor (vgl. erneut VwGH Ra 2018/19/0020 bis 0022).
10 Ergänzend wird noch auf Folgendes hingewiesen:
Sollte das BVwG im Hinblick auf den Verweis auf die fehlende Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet sowie auf den von ihm angefertigten Aktenvermerk der Sache nach eine bloß faktische Aussetzung des Verfahrens vor Augen haben, genügt der Hinweis, dass eine solche bloß faktische Aussetzung ohne Einfluss auf den Lauf der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsfrist bleibt und die objektive Säumnis nicht verhindert (vgl. VwGH 28.2.2019, Fr 2019/12/0005).
11 Da das BVwG im vorliegenden Fall somit seine Entscheidungspflicht verletzt hat, war ihm gemäß § 42a VwGG die Nachholung des Erkenntnisses bzw. Beschlusses unter Setzung einer angemessenen Frist aufzutragen.
12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 56 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. März 2021