Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision 1. der R S, 2. des V S, und 3. des R S, alle vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3/5, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 17. August 2020, 1. L510 2121140 3/10E, 2. L510 2211478 2/8E und 3. L510 2211477 2/8E, betreffend Abweisung von Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 sowie Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die Erstrevisionswerberin reiste am 6. Dezember 2014 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann unrechtmäßig nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz. Ebenso reisten der Zweit und Drittrevisionswerber, Söhne der Genannten, alle Staatsangehörige Armeniens, am 13. September 2018 nach Österreich ein, wo die Erstrevisionswerberin für sie internationalen Schutz beantragte. Sämtliche Anträge wurden zuletzt im Beschwerdeweg vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit am 4. Dezember 2019 mündlich verkündetem und mit 30. März 2020 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis, verbunden mit einer Rückkehrentscheidung nach Armenien samt Begleitaussprüchen, vollinhaltlich abgewiesen. Die Ehe der Erstrevisionswerberin wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom 8. Juni 2020 geschieden.
2 Am 3. März 2020 hatte die Erstrevisionswerberin für sich und ihre Söhne die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 beantragt.
3 Mit Bescheiden jeweils vom 22. April 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge gemäß § 56 AsylG 2005 ab. Es erließ gegenüber den Revisionswerbern gemäß § 52 Abs. 3 FPG jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise.
4 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass für die Revisionswerber Patenschaftserklärungen für die Dauer von drei Jahren abgegeben worden seien. Die beschäftigungslose sowie nicht sozial und krankenversicherte Erstrevisionswerberin befinde sich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet. Dieser Aufenthalt sei von der Zulassung ihres Asylverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss mehr als drei Jahre lang legal gewesen. Am 23. Dezember 2019 habe sie die Integrationsprüfung mit Deutschkenntnissen auf Sprachniveau B 1 bestanden. Sie erfülle somit insgesamt anders als ihre Söhne, bei denen bereits dies zu verneinen sei die Erteilungsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005.
Dennoch sei ihr nie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zugekommen. Vielmehr wäre ihr bereits im Jahr 2014 bewusst gewesen, dass (im Fall einer Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz) sie und ihre Kinder das Bundesgebiet nach Beendigung der Asylverfahren verlassen müssen. Dennoch habe sie danach keine Ausreisewilligkeit gezeigt und sei in Österreich verblieben. Von ihr vorgelegte Unterlagen, etwa betreffend die Integrationsprüfung, seien in einem Zeitraum ausgestellt worden, in dem ihr Aufenthalt bereits rechtswidrig gewesen sei. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe, die eine stattgebende Entscheidung über ihren Antrag rechtfertigen könnten, seien daher nicht ersichtlich. Auch stünden das Ergebnis der Interessenabwägung sowie die aktuelle Situation in Armenien einer gemeinsamen Ausreise der Revisionswerber in ihren Herkunftsstaat nicht entgegen.
5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 17. August 2020 wies das BVwG die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Begründend stellte das BVwG fest, die Erstrevisionswerberin sei mit rechtskräftigem Urteil vom 28. September 2016 wegen versuchten Diebstahls zu einer (bedingt nachgesehenen) dreiwöchigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Weiters sei ihr vorzuwerfen, die von ihr gestellten Anträge auf internationalen Schutz mit dem Fluchtvorbringen ihres damaligen Ehemannes begründet zu haben, das sich jedoch aufgrund der Vorlage gefälschter Unterlagen als nicht glaubhaft erwiesen habe.
Für die gesunde und arbeitsfähige Erstrevisionswerberin, die in Österreich Sozialkontakte erworben habe, sei eine wirksame Patenschaftserklärung abgegeben worden. Sie verfüge über eine Krankenversicherung sowie eine Einstellungszusage des Paten, der auch unentgeltlich eine ausreichende Wohnmöglichkeit für sie und ihre Söhne bereitgestellt habe. Insgesamt erfülle die Erstrevisionswerberin somit grundsätzlich die Voraussetzungen sowohl des § 60 Abs. 2 als auch des § 56 Abs. 1 AsylG 2005. Anders liege die Situation bei ihren Söhnen, bei denen es schon an den zeitlichen Erfordernissen der letztgenannten Norm fehle.
Da die Dauer des Verfahrens über ihren Antrag auf internationalen Schutz jedoch wesentlich auf ihre Täuschungshandlung (durch Verweis auf die vorgelegten, zur Gänze gefälschten Unterlagen ihres Ehemannes) zurückzuführen sei, sie strafgerichtlich verurteilt worden sei und eine eigene berufliche Integration im Bundesgebiet fehle, könne nicht vom Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles gesprochen werden, der die Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Erstrevisionswerberin rechtfertige. Hilfstätigkeiten für eine erkrankte Frau seien insoweit (lediglich) als Freundschaftsdienste zu werten. Zwischen Dezember 2014 und Jänner 2020 sei sie auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen gewesen. Auch habe sie abgesehen von Deutschkursen in Österreich keine Aus und Weiterbildung absolviert.
Gegen eine gemeinsame Ausreise der Revisionswerber in den Herkunftsstaat, wo sich Angehörige aufhielten, sie sozialisiert worden seien, die Landessprache beherrschten und auch infolge früher dort ausgeübter Berufstätigkeit der Erstrevisionswerberin mit der Möglichkeit einer Reintegration zu rechnen sei, sprechende Umstände seien nicht ersichtlich.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerden hinreichend geklärt sei.
7 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29. September 2020, E 3132 3134/2020, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 Insoweit verweisen die Revisionswerber auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Gesetzeszweck des § 56 AsylG 2005 in der Bereinigung von besonders berücksichtigungswürdigen „Altfällen“ unter isolierter Bewertung allein des faktischen notwendigerweise mindestens zur Hälfte rechtmäßigen Aufenthaltes sowie des Grades der in Österreich erlangten Integration liegt. Den betroffenen Drittstaatsangehörigen soll in diesen Fällen die Möglichkeit zur Legalisierung ihres Aufenthalts durch Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben werden, wobei hiervon jene Konstellationen erfasst sein sollen, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß § 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0032, 0033, Rn. 20 und 23).
12 Allerdings ist eine Entscheidung des BVwG, mit der die dem BFA in einem Verfahren nach § 56 AsylG 2005 offen stehende, stets auf Grund der Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Ermessensübung bestätigt wird, im Regelfall, so die maßgeblichen Umstände vollständig und frei von Verfahrensmängeln berücksichtigt wurden und die erfolgte Einzelfallbeurteilung nicht unvertretbar ist, nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0308, Rn. 14, mwN).
13 In einer Situation wie jener der Erstrevisionswerberin, deren Aufenthaltsdauer in Österreich das in § 56 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 normierte Mindestausmaß von fünf Jahren nur unwesentlich überschritt und die dabei keine überdurchschnittliche etwa berufliche, sprachliche oder soziale Integration erlangte, kann es aber schon von daher jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden, dass nicht von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall ausgegangen wurde.
Daran ändert im vorliegenden Zusammenhang auch der Aufenthalt ihrer Söhne im Bundesgebiet nichts, weil diese bereits die zeitlichen Grundvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 AsylG 2005 nicht erfüllen.
Straftaten des geschiedenen Ehemannes hat das BVwG entgegen der Revision nicht zum Nachteil der Revisionswerber ins Kalkül gezogen.
Auch lag keine maßgebliche Verzögerung der in Rn. 1 erwähnten Verfahren über die Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz durch die Behörde vor, die zu einem anderen Ausgang des Verfahrens führen müsste.
14 Im Zusammenhang mit der für die Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA VG behauptet die Revision noch ein Abweichen des BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (unter Zitierung von VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0378, 0388, Rn. 11, mwN). Bei einem mehr als fünf Jahre dauernden Aufenthalt des Fremden wäre danach regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hätte, um sich sozial und beruflich zu integrieren, würden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen.
Bei dieser Argumentation übersehen die Revisionswerber allerdings, dass die zitierte Judikatur grundsätzlich einen mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden voraussetzt, der im vorliegenden Fall unbestritten fehlt. Auch ist keine wesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts seit der Rückkehrentscheidung vom 4. Dezember 2019 (siehe Rn. 1) eingetreten.
15 Angesichts des Fehlens einer besonderen Integration durfte das BVwG insgesamt sogar vom Vorliegen eines eindeutigen Falles ausgehen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der im Beschwerdeverfahren beantragten mündlichen Verhandlung abzusehen.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 22. März 2021