Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätinnen Mag. a Merl und Mag. Liebhart Mutzl als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schreiber, BA, über die Revision des H R in T, vertreten durch die Eisenberger Herzog Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Schloßstraße 25, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 10. April 2020, LVwG 50.32 3019/2019 14, betreffend Versagung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Stadtgemeinde Trieben, vertreten durch Dr. Hans Moritz Pott, Rechtsanwalt in 8940 Liezen, Döllacherstraße 1; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadtgemeinde Trieben hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde T. vom 17. Mai 2019 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 31. Jänner 2019 auf Erteilung einer Baubewilligung für den „Zubau eines Milchviehlaufstalles zum Bestandsgebäude und Umbau des Bestands“ auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG D. abgewiesen.
2 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Berufung wies der Gemeinderat der Stadtgemeinde T. (belangte Behörde) mit Bescheid vom 19. September 2019 ab und führte mit näherer Begründung aus, das Bauvorhaben sei in einer roten Gefahrenzone, die von Neubauten freizuhalten sei, geplant. Bei dem beantragten Bauvorhaben handle es sich um einen Neubau; der Erteilung einer Baubewilligung für einen Neubau stehe § 8 Abs. 2 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes 2010 (StROG) entgegen.
3 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (in der Folge: LVwG), in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte und unter anderem mit näherer sachverhaltsbezogener Begründung vorbrachte, das beantragte Bauvorhaben sei entgegen den Ausführungen der belangten Behörde nicht als Neubau, sondern als Zubau zu qualifizieren. Es bestehe ein enger funktioneller Zusammenhang zum Altbestand, es liege aufgrund des landwirtschaftlichen Verwendungszweckes des Gesamtkomplexes eine optische Einheit vor und es sei eine tatsächliche bauliche Integration des beantragten Bauvorhabens in den Altbestand geplant. Der durch das Bauwerk vermittelte optische Eindruck sei zudem bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben anders zu beurteilen als bei Wohnhäusern.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das LVwG die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (I.) und sprach aus, dass dagegen eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (II.).
5 Begründend führte das LVwG u.a. aus, die für den 17. März 2020 geplante mündliche Verhandlung sei aufgrund der Covid 19 Pandemie abberaumt worden. Der Bauplatz sei als Freiland gewidmet und liege in einer näher bezeichneten gelben und roten Gefahrenzone. Zwischen dem bestehenden Gebäude und dem projektierten Stall sei die Errichtung einer automatischen Förderanlage geplant, die durch eine statisch-konstruktiv sowohl mit dem Stallgebäude als auch mit dem Bestandsgebäude verbundene Dachkonstruktion überdacht werden solle. Es lägen zwei optisch als selbstständig in Erscheinung tretende Gebäude vor, die durch eine Futter-Förderanlage und deren Überdachung miteinander verbunden seien; das Bauvorhaben sei daher als Neubau zu qualifizieren (wird näher ausgeführt).
6 Nach § 4 des Programms zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume (Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. September 2005 über ein Programm zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume), LGBl. Nr. 117/2005, seien rote Gefahrenzonen der nach den forstrechtlichen Bestimmungen erlassenen Gefahrenzonenpläne von Neubauten freizuhalten. In wie hier roten Gefahrenzonen dürften Neubauten nicht bewilligt werden und das Bauvorhaben sei daher abzuweisen.
7 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem ein Abweichen von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung rügt.
8 Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück-, bzw. Abweisung der außerordentlichen Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit des Unterlassens einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zulässig. Sie ist auch begründet.
10 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck der mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei sachverhaltsbezogenem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt wurde (vgl. etwa VwGH 15.3.2022, Ra 2021/05/0147; 4.12.2020, Ra 2020/05/0157, mwN).
11 Die Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung betrifft einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinn des Art. 6 EMRK („civil right“), weshalb eine Prüfung der Relevanz der Unterlassung einer mündlichen Verhandlung nicht vorzunehmen ist (vgl. nochmals etwa VwGH 4.12.2020, Ra 2020/05/0157, mwN).
12 Vorliegend beantragte der Revisionswerber in seiner Beschwerde ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In der Beschwerde wurde ausführliches sachverhaltsbezogenes Vorbringen unter anderem, das projektierte Bauvorhaben sei baulich in den Altbestand integriert und es liege aufgrund des landwirtschaftlichen Verwendungszweckes des Gesamtkomplexes eine optische Einheit vor erstattet, welches vom Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob es sich gegenständlich um einen Neu- oder Zubau handle, gewürdigt wurde. Schon angesichts dessen wäre eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen (vgl. nochmals VwGH 4.12.2020, Ra 2020/05/0157).
13 Vollständigkeitshalber ist auszuführen, dass § 3 des Verwaltungsrechtlichen COVID 19 Begleitgesetzes nichts an den einfachgesetzlich in §§ 24, 25, 44 und 48 VwGVG verankerten allgemeinen Regelungen über die Durchführung mündlicher Verhandlungen änderte. Die genannte Gesetzesbestimmung trug in Verbindung mit § 6 Abs. 1 erster Satz leg. cit. dem in Art. 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, welches regelmäßig die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebietet, grundsätzlich Rechnung, indem es die Regelung ermöglichte, mündliche Verhandlungen durchzuführen, soweit dies zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich war. In diesem Fall konnte diese gemäß § 3 letzter Satz leg. cit. auch in Abwesenheit aller anderen Beteiligten unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel durchgeführt werden (vgl. VfGH 8.10.2020, E 1873/2020).
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Mai 2022