JudikaturVwGH

Ro 2020/06/0091 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
03. Oktober 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofrätinnen Mag. a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart Mutzl und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Vermessungsamtes St. Pölten gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. Juni 2020, 1. W138 2199671 2/2E und 2. W138 2199891 2/2E, betreffend eine Angelegenheit nach § 25 Abs. 2 Vermessungsgesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. L B und 2. U B, beide in O und beide vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Josefstraße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ist, soweit vorliegend relevant, zusammengefasst Folgendes zu entnehmen:

2 Aufgrund eines Antrages des R. T. vom 11. September 2017 sei am 24. Oktober 2019 beim Grundstück Nr. 995/3, KG O., eine Grenzverhandlung gemäß § 18a Abs. 2 Vermessungsgesetz (VermG) abgehalten worden; bezüglich der Grenze des Nachbargrundstückes Nr. 995/2 der mitbeteiligten Parteien zum Grundstück des Antragstellers sei keine Einigung erreicht worden.

3 Die mitbeteiligten Parteien seien je zur Hälfte schlichte und damit ideelle Miteigentümer des Grundstückes Nr. 995/2, KG O. Mangels Einigung über den Grenzverlauf habe das Vermessungsamt St. P. (belangte Behörde; in der Folge: Amtsrevisionswerber) zwei gleichlautende, einerseits an den Erstmitbeteiligten und andererseits an die Zweitmitbeteiligte gerichtete, Bescheide, jeweils vom 16. Dezember 2019, erlassen; mit diesen seien die mitbeteiligten Parteien jeweils für sich aufgefordert worden, als Eigentümer des Grundstückes Nr. 995/2 binnen sechs Wochen ab Zustellung des jeweiligen Bescheides ein für die Bereinigung des Grenzstreites bestimmtes gerichtliches Verfahren anhängig zu machen.

4 Aufgrund der dagegen in einem verbundenen Schriftsatz erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien habe der Amtsrevisionswerber zwei Beschwerdevorentscheidungen jeweils vom 20. Februar 2020 erlassen, wobei eine an den Erstmitbeteiligten und eine an die Zweitmitbeteiligte gerichtet gewesen sei. Sie seien jeweils für sich getrennt aufgefordert worden, gemeinsam mit ihrem Miteigentümer binnen sechs Wochen ab Rechtskraft des Bescheides ein gerichtliches Verfahren anhängig zu machen.

5 Durch ihren gemeinsamen anwaltlichen Rechtsvertreter hätten die mitbeteiligten Parteien in der Folge mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 den Antrag gestellt, die gegenständliche Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vorzulegen.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, da im Vorlageantrag am Deckblatt beide mitbeteiligte Parteien aufschienen, interpretiere es die vorgetragenen Rechtsmittelbegehren so, dass der jeweils den Erstmitbeteiligten und die Zweitmitbeteiligte betreffende Bescheid abzuändern bzw. aufzuheben sei, nachdem beide mitbeteiligte Parteien objektiv eindeutig das Rechtsschutzziel verfolgten, dass sie beide nicht auf den Rechtsweg (bei sonstiger Rechtsfolge des § 25 Abs. 5 VermG) verwiesen würden.

7 Dem Verwaltungsakt seien keine gesonderten Zustellverfügungen bezüglich der Bescheide und der Beschwerdevorentscheidungen zu entnehmen. Die getrennten Bescheide seien jeweils an den Erstmitbeteiligten und die Zweitmitbeteiligte, vertreten durch deren gemeinsamen Rechtsvertreter, adressiert gewesen. Der Amtsrevisionswerber habe somit zwei normative Absprüche und damit zwei verschiedene, jeweils durch Rechtsmittel bekämpfbare Entscheidungen erlassen.

8 Die mitbeteiligten Parteien seien als Miteigentümer hinsichtlich der fraglichen Grundstücksgrenze nicht einzelvertretungsbefugt und im Rahmen der außerordentlichen Verwaltung nur gemeinsam mit dem jeweils anderen Miteigentümer vertretungs- und entscheidungsbefugt (Verweis auf Welser/Kletečka , Bürgerliches Recht I 15 Rz 925). Die Beschreitung des Zivilrechtswegs sei mit nicht unerheblichen Aufwendungen verbunden, weshalb es sich um eine „wichtige Veränderung“ gemäß § 834f ABGB handle, die nicht der ordentlichen Verwaltung unterliege. Da die Miteigentümer den Zivilrechtsweg nur gemeinsam beschreiten könnten, müsse auch ein einziger Bescheid an alle Miteigentümer ergehen. Durch den getrennten normativen Ausspruch habe der Amtsrevisionswerber dem Erstmitbeteiligten und der Zweitmitbeteiligten die Möglichkeit eröffnet, jede Beschwerdevorentscheidung einzeln zu bekämpfen. Bei einer getrennten Anfechtbarkeit „könnte es auch zu dem Ergebnis führen“, dass die eine Beschwerdevorentscheidung unangefochten bleibe und damit rechtskräftig werde, die andere hingegen erfolgreich bekämpft werde. In diesem Fall würden sich zwei entgegengesetzte rechtkräftige normative Aussprüche gegenüberstehen, was rechtlich unzulässig sei. Der Amtsrevisionswerber hätte eine einzige, an den Erstmitbeteiligten und die Zweitmitbeteiligte adressierte und zuzustellende Entscheidung gemäß § 25 Abs. 2 VermG erlassen müssen.

9 Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, „inwieweit bei Miteigentümern und einem verwaltungsbehördlichen Gerichtsverweisungsausspruch gemäß § 25 Abs. 2 VermG alle Miteigentümer in einem Spruch und somit einer Entscheidung gemeinsam oder gegenteilig jeder einzelne Miteigentümer im Bescheidspruch allein aufzufordern sind, den Zivilrechtsweg zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 25 Abs. 5 VermG zu bestreiten“.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision, die zur Frage ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen die Zulassungsbegründung des BVwG wiederholt und beantragt, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben „und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurück[zu]verweisen“.

11 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück , in eventu Abweisung der Revision beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision ist zulässig, da zu der in der Zulassungsbegründung des BVwG angesprochenen Rechtsfrage der Auslegung des § 25 Abs. 2 VermG keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht; indem das BVwG die Beurteilung dieser Rechtsfrage dem angefochtenen Erkenntnis tragend zugrunde gelegt hat, ist diese im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auch nicht hypothetischer Natur; insofern ist das rechtliche Schicksal der Revision von der Beurteilung des rechtsrichtigen Aufgreifens dieser Rechtsfrage abhängig (vgl. zum rechtlichen Schicksal einer Revision etwa VwGH 24.5.2023, Ra 2022/11/0127, Rn. 10, mwN).

13 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof im Fall einer zulässigen Revision nicht auf jene Rechtsfragen beschränkt ist, die zur Zulässigkeit vorgebracht wurden. Vielmehr kann der Gerichtshof auch eine andere als die in der Revision aufgezeigte Rechtswidrigkeit aufgreifen, wenn die Revision wie vorliegend die Zulässigkeitsschwelle überschritten hat (vgl. etwa VwGH 29.6.2023, Ra 2020/06/0331, oder auch 14.9.2022, Ro 2022/01/0012, jeweils mwN).

14 Dem vorliegenden Verfahren liegt eine bescheidmäßige Verweisung der mitbeteiligten Parteien auf den Gerichtsweg gemäß § 25 Abs. 2 VermG zugrunde. Dass eine Verweisung auf den Rechtsweg gemäß § 25 Abs. 2 VermG bescheidmäßig zu erfolgen hat, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen (vgl. VwGH 31.1.2008, 2007/06/0258).

15 § 25 Abs. 2 VermG in der unverändert geltenden Stammfassung BGBl. Nr. 306/1968 lautet:

§ 25. [...]

(2) Einigen sich die Eigentümer nicht über den Grenzverlauf und ist noch kein gerichtliches Verfahren anhängig, so ist der Eigentümer, der behauptet, daß die Grenze nicht mit dem sich auf Grund der Behelfe ergebenden Grenzverlauf übereinstimmt, aufzufordern, binnen sechs Wochen ein für die Bereinigung des Grenzstreites bestimmtes gerichtliches Verfahren anhängig zu machen. Läßt sich auf diese Weise der zur Einleitung des gerichtlichen Verfahrens aufzufordernde Eigentümer nicht ermitteln, so ist derjenige Eigentümer aufzufordern, dessen Behauptung den sonstigen in der Grenzverhandlung hervorgekommenen Umständen nach den geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit besitzt.“

16 In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses stellt das BVwG fest, die mitbeteiligten Parteien hätten gegen die Verweisung auf den Gerichtsweg in einem verbundenen Schriftsatz durch einen gemeinsamen anwaltlichen Rechtsvertreter Beschwerde erhoben und ebenso durch ihren gemeinsamen anwaltlichen Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 einen Vorlageantrag gestellt.

17 In ihrer Beschwerde vom 13. Jänner 2020 begehrten die mitbeteiligten Parteien beim BVwG die Überprüfung der gemäß § 25 Abs. 2 VermG erfolgten Verweisung auf den Gerichtsweg auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit; der Vorlageantrag vom 26. Februar 2020 richtet sich (bloß) darauf, die Beschwerde dem BVwG zur Entscheidung vorzulegen.

18 Im angefochtenen Erkenntnis beschäftigt sich das BVwG mit der Frage der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der Verweisung der mitbeteiligten Parteien auf den Gerichtsweg nicht; anstatt dessen handelt das BVwG die verfahrensrechtliche Frage ab, ob bzw. dass mit „Bescheiden“ vom 16. Dezember 2019 bzw. vom 20. Februar 2020 jeweils zwei Bescheide bzw. Beschwerdevorentscheidungen an die mitbeteiligten Parteien ergangen seien und schließt dem umfangreiche zivilrechtliche Überlegungen an, aufgrund derer es letztlich zum Ergebnis gelangt, die von ihm als zwei getrennte Bescheide angesehenen Beschwerdevorentscheidungen des Amtsrevisionswerbers seien zu beheben; eine getrennte Anfechtbarkeit, so das BVwG, könnte zu dem Ergebnis führen, dass eine Beschwerdevorentscheidung unangefochten bleibe und die andere erfolgreich bekämpft werde.

19 Mit dieser der Aufhebung allein zugrunde gelegten Argumentation übersieht das BVwG allerdings, dass sich die von ihm behandelten Rechtsfragen aufgrund derer letztlich auch die Revision zugelassen wurde im konkreten, von ihm zu beurteilenden Beschwerdeverfahren überhaupt nicht stellen. Wie vom BVwG selbst festgestellt wurde von den mitbeteiligten Parteien im konkreten Fall eine gemeinsame, gleichgerichtete Beschwerde erhoben und ein gemeinsamer, gleichgerichteter Vorlageantrag gestellt. Der vom BVwG problematisierte Fall einer allenfalls möglichen getrennten Anfechtung samt der dahinterstehenden allfälligen zivilrechtlichen Problematik war damit im Beschwerdefall da sowohl das Recht zur Beschwerdeerhebung als auch das Recht zum Stellen eines Vorlageantrages zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG bereits verbraucht waren rein hypothetisch, lag in der zugrunde liegenden Verfahrenskonstellation nicht vor und war somit in diesem Beschwerdeverfahren auch nicht zu beurteilen.

20 Insofern hat das BVwG im angefochtenen Erkenntnis die Rechtslage verkannt: Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht nicht dazu berufen ist, eine Entscheidung lediglich über abstrakt-theoretische Rechtsfragen zu treffen, denen keine praktische Relevanz mehr zukommen kann; das Verwaltungsgericht ist zu einer bloß abstrakten objektiven Rechtskontrolle nicht berufen (vgl. VwGH 21.8.2023, Ra 2023/07/0039, 1.2.2023, Ra 2022/09/0139 oder auch 27.7.2017, Ra 2017/07/0014).

21 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

22 Bei diesem Ergebnis kann sowohl die Beantwortung der vom BVwG aufgeworfenen Rechtsfrage der Auslegung des § 25 Abs. 2 VermG als auch die Beantwortung der Frage dahinstehen, ob es sich bei der konkreten, gemäß § 25 Abs. 2 VermG erfolgten Verweisung auf den Gerichtsweg um jeweils getrennte Bescheide und Beschwerdevorentscheidungen oder eine Erledigung handelte.

Wien, am 3. Oktober 2023

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