JudikaturVwGH

Ra 2019/19/0130 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Z G M, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2019, L508 1414937-3/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung von internationalem Schutz, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und die Zurückweisung des Antrages des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 richtet.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen (Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan und Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 23. März 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. August 2010 wurde der Antrag zur Gänze abgewiesen und der Revisionswerber nach Pakistan ausgewiesen. Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. November 2012 nicht Folge.

2 Am 21. April 2014 stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - nach Zulassung des Verfahrens - mit Bescheid vom 14. November 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Dem Revisionswerber wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Überdies wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt, festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und gegen den Revisionswerber ein Einreiseverbot in der Dauer von 18 Monaten erlassen (Spruchpunkt VII.).

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte und vorbrachte, er gehe seit dem Jahr 2014 in Österreich einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach und sei somit nicht mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen. Er habe die Jahre seines Aufenthaltes in Österreich gut zur Integration genutzt und sich hier ein Privat- bzw. Familienleben aufgebaut. Mit Beschluss vom 10. Jänner 2019 erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis V. und VII. des Bescheides des BFA als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Den Spruchpunkt VI. des Bescheides änderte das BVwG dahingehend ab, dass gemäß § 55 Abs. 2 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt A II.). Weiters sprach das BVwG aus, dass der in der Beschwerde gestellte Antrag, dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen, mangels Zuständigkeit des BVwG zurückgewiesen werde (Spruchpunkt A III.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B). 5 Begründend stellte das BVwG fest, das vom Revisionswerber zu seinem nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz erstattete neue Fluchtvorbringen - eine Verfolgung durch die Taliban - sei nicht glaubhaft. Der Revisionswerber sei im März 2010 illegal in Österreich eingereist. Nach Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz sei er seiner Verpflichtung zur Ausreise nach Pakistan nicht nachgekommen. Der Revisionswerber sei gerichtlich unbescholten. Er habe "aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes einfache Deutschkenntnisse". Er beabsichtige die Ablegung einer Prüfung über ein Deutsch-Zertifikat A2, habe jedoch "bislang" keine Bestätigung über eine erfolgreiche Absolvierung der Prüfung vorgelegt. Der Revisionswerber habe "keine relevanten Bindungen zu Österreich". Er habe hier einen "gewissen Freundes- und Bekanntenkreis" und knüpfe "normale soziale Kontakte". "Mit Ausnahme zweier Brüder", mit denen er sich eine Wohnung teile, habe der Revisionswerber keine Verwandten im Inland. Einem der Brüder des Revisionswerbers sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, wobei aber ein Verfahren auf Aberkennung dieses Status anhängig sei. Sein anderer in Österreich aufhältiger Bruder sei Asylwerber. Der Revisionswerber sei gesund und erwerbsfähig. Bis zum Jahr 2014 habe er von der Grundversorgung gelebt. Danach habe er "versucht", seinen Lebensunterhalt durch eine selbständige Erwerbstätigkeit zu verdienen. Zuletzt habe der Revisionswerber bis Ende Februar 2017 das Gewerbe der "Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service)" ausgeübt. Es könne aber "nicht festgestellt werden", dass er selbsterhaltungsfähig sei. Bei den Finanzbehörden sei nämlich ein Abgabenrückstand von über EUR 5.000,-- und bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ein Beitragsrückstand des Revisionswerbers von EUR 13.000,- offen. Es sei "davon auszugehen", dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr nach Pakistan wieder bei seiner Familie leben könne. 6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Erlassung der Rückkehrentscheidung aus, in Österreich seien zwar zwei Brüder des Revisionswerbers aufhältig. Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Brüdern bzw. eine "besonders innige" Beziehung sei jedoch nicht hervorgekommen. Ein schützenswertes Familienleben des Revisionswerbers liege daher nicht vor. Die Dauer des Aufenthaltes des Revisionswerbers im Inland von acht Jahren und zehn Monaten werde in ihrer Relevanz maßgeblich dadurch gemindert, dass sich der Aufenthalt lediglich aus zwei unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz ergeben habe und der Revisionswerber der Verpflichtung zur Ausreise nach Abweisung seines ersten Asylantrages nicht nachgekommen sei. Soweit der Revisionswerber das Bestehen eines Freundes- und Bekanntenkreises in Österreich behauptet habe, habe er dieses Vorbringen nicht konkretisiert. Aufgrund der Aufenthaltsdauer sei unter Beachtung, dass der Revisionswerber keine Deutschprüfungen abgelegt habe, von "einfachen Deutschkenntnissen auszugehen". Die selbständige Erwerbstätigkeit falle in Hinblick auf die Abgaben- bzw. Beitragsrückstände des Revisionswerbers "nicht besonders ins Gewicht". Die Rückkehr nach Pakistan, wo der Revisionswerber einen Großteil seines Lebens verbracht habe, stelle auch keine unzumutbare Härte dar. Die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet müssten daher hinter das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zurücktreten. Hinsichtlich der Erlassung eines Einreiseverbotes sei zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber zwei unberechtigte Anträge auf internationalen Schutz gestellt habe und seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen sei. In Hinblick auf die bestehenden Abgabenbzw. Beitragsrückstände habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber selbst für seinen Unterhalt aufkommen könne.

7 Die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass ein im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärter Sachverhalt vorliege. Das BVwG habe die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen des BFA übernommen und teile auch dessen Beweiswürdigung.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

9 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen abgewichen. Eine solche Verhandlung sei unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Inland erforderlich gewesen. Das BVwG wäre verpflichtet gewesen, sich insbesondere selbst von den Deutschkenntnissen des Revisionswerbers, seiner erfolgten Integration und der Fähigkeit des Revisionswerbers, selbst für seinen Unterhalt aufzukommen, ein Bild zu machen. Der Revisionswerber könne sich in Folge seiner vielfältigen privaten und geschäftlichen Kontakte auf Deutsch adäquat verständigen. Er komme seit dem Jahr 2014 durch seine Erwerbstätigkeit für seinen Unterhalt selbst auf.

10 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 Mit der Revision wird das Erkenntnis zwar ausdrücklich in seinem gesamten Umfang angefochten, hinsichtlich der Nichtzuerkennung von internationalem Schutz, der Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und der Zurückweisung des Antrages des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 jedoch kein Vorbringen erstattet. Die Revision war daher insoweit zurückzuweisen (vgl. zur Trennbarkeit der Aussprüche etwa VwGH 12.12.2018, Ra 2017/19/0553, mwN).

12 Im Übrigen ist die Revision jedoch zulässig und berechtigt.

13 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, dass unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (vgl. VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0218; 10.4.2019 Ra 2019/18/0049). 14 Die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen eines Fremden in Österreich kann nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden. Vielmehr kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zu (vgl. VwGH 18.2.2019, Ra 2016/22/0115, mwN). Gleiches gilt für die bei Prüfung eines Einreiseverbotes anzustellende Gefährdungsprognose. Demzufolge kann u.a. bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen vom Vorliegen der Voraussetzung des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0198, mwN).

15 Ein derartiger eindeutiger Fall lag hier nicht vor. Der Revisionswerber hielt sich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits annähernd neun Jahre in Österreich auf und ging - jedenfalls mehrere Jahre - einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach. Vor diesem Hintergrund war nicht ausgeschlossen, dass eine nähere Auseinandersetzung mit den Kriterien bzw. Wertungen des § 9 BFA-VG unter Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in einer mündlichen Verhandlung - der es dem Bundesverwaltungsgericht auch ermöglicht hätte, sich selbst ein Bild von den Deutschkenntnissen des Revisionswerbers zu machen vgl. idS VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0033) - zu einem anderen Ausgang der Interessenabwägung hätten führen können. Auf der Grundlage der Verhandlung wäre das BVwG gehalten gewesen, - über seine bloß unbestimmten Ausführungen hinaus - Feststellungen zum in Österreich bestehenden Privatleben des Revisionswerbers zu treffen. Hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit des Revisionswerbers wäre eine Auseinandersetzung auch mit der Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers in der Zeit nach dem Februar 2017 und mit den Gründen bzw. Ursachen für die bestehenden Abgaben- bzw. Beitragsrückstände erforderlich gewesen. Erst auf dieser Grundlage hätte eine Beurteilung erfolgen können, ob der Revisionswerber in der Lage ist, seinen Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten.

16 Das angefochtene Erkenntnis war deshalb hinsichtlich der Rückkehrentscheidung sowie des Einreiseverbotes bzw. der darauf aufbauenden Aussprüche nach § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17 Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 25. Juni 2019

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