Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des S R in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Jänner 2019, L512 1427564-3/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 10. April 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor, er selbst und sein Vater seien für eine Oppositionspartei politisch aktiv gewesen. Sein Vater sei deshalb ermordet und er selbst verfolgt worden. Auch sei von seinen politischen Gegnern eine falsche Anzeige bei Gericht gegen ihn erhoben worden. Er habe sich einer Vereinigung, die ihm Unterstützung angeboten habe, angeschlossen und sei in einem Lager ausgebildet worden. Als er entdeckt habe, dass es sich dabei um eine "Terrorgruppe" gehandelt habe, habe er auch diese Gruppe verlassen und werde nunmehr auch von den Mitgliedern dieser Vereinigung verfolgt.
2 Mit Bescheid vom 3. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Begründend führte das BFA aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft. Auch seine Identität stehe nicht fest. Beweiswürdigend hielt das BFA fest, der Revisionswerber habe einen gefälschten Führerschein vorgelegt, weshalb der Verdacht bestehe, dass er seine Identität verschleiern wolle. Hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit habe der Revisionswerber einmal "Jat" und einmal "Punjabi" angegeben. Auch sei sein Fluchtvorbringen aus - näher genannten Gründen - widersprüchlich bzw. nicht plausibel gewesen. Der Revisionswerber sei somit nicht glaubwürdig.
4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine Beschwerde, in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie seine Einvernahme beantragte und ua. vorbrachte, das BFA sei zu Unrecht von der Unglaubwürdigkeit seiner Aussagen ausgegangen. Hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit seien seine Angaben dadurch zu erklären, dass die Jat eine Untergruppe der Punjabi seien. Da der Revisionswerber seinen Führerschein verloren habe, habe er seinen Anwalt in Pakistan um die Übermittlung eines Duplikates ersucht. Dass der Anwalt dann offensichtlich einen gefälschten Führerschein übermittelt habe, sei ihm nicht bewusst gewesen. Auch die weiteren durch das BFA angenommenen Widersprüche wären durch eine eingehendere Befragung aufzulösen gewesen. Das BFA habe es auch unterlassen, sich hinsichtlich des Vorbringens des Revisionswerbers mit der Präsenz terroristischer Gruppen in seiner Herkunftsregion und mit den Bedingungen einer Haft in Pakistan, die dem Revisionswerber drohe, zu befassen. Dazu wurden in der Beschwerde Länderberichte zur Rekrutierung durch terroristische Vereinigungen und zu Haftbedingungen in Pakistan zitiert.
5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG ua. aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft. Es schließe sich den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA an. Soweit in der Beschwerde vorgebracht worden sei, dass die Jats eine Untergruppe der Punjabi seien, könne darin keine "relevante Mangelhaftigkeit" erkannt werden, weil im Bescheid ohnehin Feststellungen zu den Punjabi getroffen worden seien. Der Umstand, dass der Revisionswerber einen gefälschten Führerschein vorgelegt habe, erschüttere seine persönliche Glaubwürdigkeit. Seine in der Beschwerde dazu gegebene Erklärung sei "nicht nachvollziehbar", zumal nicht anzunehmen sei, dass ein Anwalt eine solche Fälschung herstellen würde. Soweit in der Beschwerde Länderberichte zur Rekrutierung durch terroristische Vereinigungen bzw. zu Haftbedingungen in Pakistan zitiert würden, sei festzuhalten, dass es darauf nicht ankomme, weil das Vorbringen des Revisionswerbers ohnehin nicht glaubhaft sei. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können .
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es - unter Beachtung des Vorbringens in der Beschwerde - zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
10 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind:
11 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0241, mwN).
12 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde die Feststellungen des BFA nicht bloß unsubstantiiert bestritten. Er trat - wie dargestellt - wesentlichen beweiswürdigenden Erwägungen, auf die das BFA die Annahme der persönlichen Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers gestützt hat, konkret entgegen. Mit diesem Vorbringen hat sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis auch auseinandergesetzt. Eine solche ergänzende Beweiswürdigung hätte jedoch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorausgesetzt.
13 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0133; 20.9.2018, Ra 2018/20/0149, jeweils mwN).
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Juli 2019