Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H S, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. April 2019, Zl. W114 1425572- 2/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,04 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Oktober 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamts vom 13. März 2012 zur Gänze abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2014 hinsichtlich des begehrten Status des Asylberechtigten nicht statt, erkannte dem Revisionswerber jedoch in Abänderung des verwaltungsbehördlichen Bescheides den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 19. Dezember 2015. 2 Diese Aufenthaltsberechtigung wurde in der Folge mehrfach verlängert, zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17. April 2018 für einen Zeitraum bis zum 19. Dezember 2019.
3 Mit Bescheid vom 18. April 2018 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, entzog ihm die einen Tag zuvor erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Begründend führte die Behörde aus, der Revisionswerber befinde sich nicht mehr in der gleichen Lage wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes, weil sein "damals bestandenes junges Alter nicht mehr vorlieg(e)". Zudem sei er mittlerweile erfahrener und habe ergänzende Bildungsschritte unternommen. Es sei nicht davon auszugehen, dass er bei Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnte.
5 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. 6 In der Begründung der Entscheidung führte das BVwG zusammengefasst aus, die Sachlage habe sich seit der letzten Entscheidung über den subsidiären Schutz am 19. Dezember 2014 wesentlich geändert: Der Revisionswerber sei nunmehr 24 Jahre alt und damit volljährig. Er sei keine besonders schutzwürdige Person in der Altersstufe des Übergangs von der Minderjährigkeit zur Volljährigkeit mehr. Der Revisionswerber könne nach den aktuellen Länderfeststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan insbesondere in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat zurückkehren und er finde dort eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor. Auch die HIV-Infektion des Revisionswerbers stehe dem nicht entgegen, weil es in Afghanistan Möglichkeiten zur Behandlung der Erkrankung gebe.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die u.a. geltend macht, das BVwG weiche mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ab, weil sich das BVwG nicht ausreichend mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers und den aktuellen Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 auseinander gesetzt habe. In diesem Zusammenhang verweist die Revision insbesondere auf die HIV-Erkrankung des Revisionswerbers, die ihrer Ansicht bei Rückkehr nach Afghanistan zu einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte des Revisionswerbers führen würde. Abschließend macht die Revision geltend, dass die Aberkennung im vorliegenden Fall nicht auf Umstände gestützt hätte werden dürfen, die bei Verlängerung der subsidiären Schutzberechtigung und Erteilung der entsprechenden Aufenthaltsberechtigung schon bekannt gewesen seien.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Wie schon das BFA stützte das BVwG die Aberkennung des
subsidiären Schutzes im gegenständlichen Fall auf den Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005, wonach einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen ist, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht mehr vorliegen.
10 Zur Begründung führte das BVwG an, dass sich die Sachlage seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2014 wesentlich geändert habe, wobei es diese Änderung einerseits in den persönlichen Umständen des Revisionswerbers (fortschreitendes Alter) und andererseits in der Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat begründet sah. 11 Bei dieser Beurteilung l��sst das BVwG außer Acht, dass dem Revisionswerber nur einen Tag vor der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus seitens des BFA eine Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt wurde. Nach dieser Gesetzesstelle kommt eine Verlängerung aber nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Verlängerungsantrag weiter vorliegen.
12 Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung (im dort entschiedenen Fall: gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005) auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 25).
13 Diese Überlegungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, auch auf Fälle übertragen, in denen - wie im gegenständlichen Fall - die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 gestützt wird. Durch die Entscheidung, die befristete Aufenthaltsberechtigung zu verlängern, bringe die Behörde vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen zum Ausdruck, dass sie davon ausgehe, es seien im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, mit der sie die Verlängerung bewilligt, weiterhin jene Umstände gegeben, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich seien. Bei Hinzutreten neuer Umstände (nach der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung) dürften im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung aber alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. Rz 99 und 102 des zitierten Erkenntnisses). 14 Der Verwaltungsgerichtshof führte in dem genannten Erkenntnis zwar auch aus, dass die Ermittlungspflichten der Behörde bei einer Entscheidung über die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht überspannt werden dürften. Habe die Behörde keine konkreten Hinweise dafür, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung die für dessen Bewilligung notwendigen Voraussetzungen nicht mehr bestehen könnten, also die diesbezüglich maßgeblichen Umstände sich nicht in hinreichend bedeutsamer und endgültiger Weise geändert haben, könnten insoweit weitere Ermittlungen unterbleiben (Rz 101 des zitierten Erkenntnisses). Welche Konsequenzen es für die Aberkennung des subsidiären Schutzes unter Bedachtnahme auf diese Judikatur haben könnte, wenn die Behörde eine befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert, ohne zu diesem Zeitpunkt Anhaltspunkte für eine - tatsächlich vorhandene - geänderte Sachlage gehabt zu haben, braucht im gegenständlichen Fall jedoch nicht beurteilt zu werden. 15 Zwischen der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung und der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus durch das BFA lag zeitlich nämlich nur ein Tag. Es ist nicht erkennbar, dass der Behörde innerhalb dieses kurzen Zeitraums Anhaltspunkte für geänderte Umstände bekannt geworden wären, die sie einen Tag zuvor noch nicht gehabt hatte. Solche werden in der Begründung des Aberkennungsbescheides auch nicht angeführt.
16 Dass die letzte Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung im maßgeblichen Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des BVwG bereits etwa ein Jahr zurückgelegen ist, führt fallbezogen zu keinem anderen Ergebnis. Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zeigt nämlich, dass das BVwG von der unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist, die Änderung der Umstände ausschließlich im Vergleich mit dem Erkenntnis des BVwG vom 19. Dezember 2014 (mit dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist) beurteilen zu müssen, während der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung am 17. April 2018 zu Unrecht keine Beachtung geschenkt worden ist.
17 Bei diesem Ergebnis braucht auf die von der Revision aufgeworfene weitere Frage, ob die Lage im Herkunftsstaat und die persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers (insbesondere unter Bedachtnahme auf seine HIV-Erkrankung) einer Aberkennung des subsidiären Schutzstatus wegen geänderter Verhältnisse weiterhin entgegenstünden, im Revisionsverfahren nicht eingegangen zu werden.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 19 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14. Das darüber hinausgehende Kostenbegehren des Revisionswerbers findet in diesen Vorschriften keine Deckung und war daher abzuweisen.
Wien, am 17. Oktober 2019