Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der I S in W, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2019, Zl. W104 2217179 1/33E, betreffend UVP Feststellungsverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung, 3109 St. Pölten; mitbeteiligte Partei: N GmbH in M, vertreten durch die Lindner Stimmler Rechtsanwälte GmbH Co KG in 1090 Wien, Währinger Straße 2 4/1/29), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochten Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1. Die Mitbeteiligte plant die Errichtung einer 110 kV Doppelleitung zwischen zwei Umspannwerken in Niederösterreich.
2 Mit Schriftsatz vom 20. September 2018 stellte die Mitbeteiligte einen Antrag gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP G 2000) auf Feststellung, dass für das Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP G 2000 durchzuführen sei.
3 2. Die belangte Behörde führte ein Feststellungsverfahren durch und entschied mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 6. März 2019, dass für das Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Im Wesentlichen begründete die belangte Behörde dies dahingehend, dass im Rahmen einer Einzelfallprüfung festzustellen sei, ob zu erwarten sei, dass unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der Nachhaltigkeit der Umweltauswirkungen der Schutzzweck des schutzwürdigen Gebiets im Sinne der Kategorie A des Anhangs 2 zum UVP G 2000, welches von dem Vorhaben berührt sei, wesentlich beeinträchtigt werde. Dies sei nach Einholung der gutachterlichen Stellungnahmen aus dem Fachbereich Naturschutz, Forsttechnik und Elektrotechnik zu verneinen.
4 3. Gegen diesen Bescheid erhob unter anderem die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Auswirkungen des Vorhabens auf die menschliche Gesundheit seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Ferner beruhe die Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens auf das Natura 2000 Gebiet auf unvollständigen und veralteten Grundlagen und es würden Waldflächen im Umfang von 27,1 ha gerodet, weshalb der Tatbestand des Anhangs 1 Z 46 lit. a UVP G 2000 für Rodungen erfüllt sei. Es sei daher jedenfalls eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.
5 4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin ebenso wie die Beschwerden der übrigen fünf Beschwerdeführer ab (Spruchpunkt A) und erklärte unter einem die Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
6 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung traf das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst die Feststellungen, der Wohnort der Erst , Viert , Fünft und Sechstbeschwerdeführer befinde sich in einem Abstand von 150 bis 250 m vom Vorhaben entfernt, weshalb nicht auszuschließen sei, dass diese von negativen Auswirkungen des Vorhabens betroffen sein könnten. Die Feststellungen zur Beschwerdelegitimation würden sich aus den Wohnadressen der Beschwerdeführer und den Angaben in der Beschwerde ergeben. Die Eigenschaft der beschwerdeführenden Parteien als Nachbarn/Nachbarinnen des Vorhabens gemäß § 19 Abs. 1 UVP G 2000 sei von der Mitbeteiligten nicht bestritten worden. Zur Beschwerdelegitimation führte das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, da zumindest die erst , viert , fünft und sechstbeschwerdeführenden Parteien so nahe am Vorhaben wohnen würden, dass sie durch die Errichtung oder den Betrieb des Vorhabens gefährdet oder belästigt werden könnten, seien diese als Nachbarn/Nachbarinnen des Vorhabens beschwerdeberechtigt.
7 Ferner traf das Bundesverwaltungsgericht ausführliche Feststellungen zum gegenständlichen Projekt und folgerte in rechtlicher Hinsicht, das Vorhaben liege unstrittig in einem schutzwürdigen Gebiet der Kategorie A des Anhangs 2 UVP G 2000. Da die Vogelschutzrichtlinie unmittelbar anwendbar sei, sei richtlinienkonform davon auszugehen, dass auch faktische Vogelschutzgebiete, also Gebiete unabhängig von einer formellen Ausweisung, als besonderes Schutzgebiet der Kategorie A gemäß Anhang 2 UVP G 2000 anzusehen seien. Es seien in der Regel nur jene Gebiete auszuweisen, die zahlen und flächenmäßig für die Erhaltung der geschützten Arten am geeignetsten seien und im Verhältnis zu anderen Landschaftsteilen am besten die Gewähr für die Verwirklichung der Richtlinienziele bieten würden. Auf Grund der vom Gericht getroffenen Feststellungen würden sich jedoch keine Hinweise auf eine entsprechende Bedeutung des Projektgebietes ergeben. Als Prüfmaßstab der Einzelfallprüfung seien daher mögliche erhebliche Auswirkungen des Vorhabens auf das angeführte ausgewiesene Europaschutzgebiet heranzuziehen. Hinsichtlich der Rodungsflächen und Trassenaufhiebe sei festzuhalten, dass kein Zweifel darüber bestehe, dass kein Tatbestand der Z 46 des Anhangs 1 UVP G 2000 vom Vorhaben erfüllt werde. Weder übersteige die Rodungsfläche nach dem forstrechtlichen Rodungsbegriff die angeführten Schwellenwerte von 10 bzw. 20 ha, noch übersteige die Fläche der Trassenaufhiebe in schutzwürdigen Gebieten 25 ha bzw. insgesamt 50 ha. Es komme auch zu keiner Erweiterung bestehender Rodungen oder Trassenaufhiebe und zu keiner Kumulation mit anderen gleichartigen Vorhaben, weil es zwar im räumlichen Zusammenhang Rodungen gebe, die Kumulationsbestimmung des § 3 Abs. 2 UVP G 2000 jedoch keine Anwendung finde, weil die Rodungsfläche für das Vorhaben weniger als 25 % der Schwellenwerte von 10 und 20 ha betrage. Es würden sich keine Trassenaufhiebsflächen der letzten zehn Jahre im räumlichen Zusammenhang befinden. Eine Unionsrechtswidrigkeit des gesetzlichen Tatbestandes der Z 46 im Anhang 1 zum UVP G 2000 sei entgegen dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien nicht zu erkennen. Insbesondere begegne die Festlegung der Höhe des Schwellenwerts für den Trassenaufhiebstatbestand vor dem Hintergrund des gegenständlichen Verfahrens keinen Bedenken, da die Trassenaufhiebsfläche ein Ausmaß von unter 19 ha umfasse und damit den Schwellenwert des Rodungstatbestandes in Spalte 2, dessen Überschreitung jedenfalls eine UVP nach sich ziehen würde, nicht erreiche. Insofern die beschwerdeführenden Parteien vorbrächten, es seien auch jene Flächen als Rodungs oder Trassenaufhiebsflächen zu berücksichtigen, die in einer solchen Höhe überspannt würden, dass ein Trassenaufhieb oder eine Rodung darunter nicht erforderlich sei, sei dem zu entgegnen, dass eine Berücksichtigung solcher Flächen nach dem nationalen Recht ausscheide, weil dort kein Trassenaufhieb im Sinne des § 81 Abs. 1 lit. d Forstgesetz 1975 vorliege und auch keine Rodung stattfinde. Somit werde kein Waldboden zu anderen Zwecken als solchen der Waldkultur verwendet. Ausschließlich betroffen sei der darüber liegende Luftraum. Auch unionsrechtlich sei die Einbeziehung solcher Flächen durch die UVP Richtlinie nicht gefordert, da Anhang II Z 1 lit. d der UVP Richtlinie eine Abholzung voraussetze, die fallbezogen nicht vorliege.
8 5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der in der Entscheidung vor dem Bundesverwaltungsgericht als Zweitbeschwerdeführerin bezeichneten Partei.
9 Die Mitbeteiligte und die belangte Behörde erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.
10 6. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision bringt zur Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu dem Begriff „Überspannung“ und der Subsumtion dieses Tatbestandes unter Z 46 Anhang 1 UVP G 2000. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum novellierten Tatbestand der Z 46 lit. c Anhang 1 zum UVP G 2000, wo eine gesonderte Regelung für Trassenaufhiebe getroffen werde. Diese Regelung sehe eine Aufsplittung der Schwellenwerte bezüglich Rodungen und Trassenaufhieben vor, welche keinesfalls als unionsrechtskonform angesehen werden könnten.
12 6.1. Die Revision ist in Hinblick auf ihr Vorbringen zulässig.
13 6.2. Die Mitbeteiligte führt in ihrer Revisionsbeantwortung - wie bereits in ihrer Stellungnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - aus, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (mit Hinweis auf EuGH 12.5.2011, C 115/09, und EuGH 16.4.2015, C 570/13) sei die Einschränkung der Beschwerdebefugnis auf Nachbarn gemäß § 3 Abs. 9 UVP G 2000 zulässig. Die Revisionswerberin mache geltend, durch die Errichtung, den Betrieb bzw. den Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt oder in ihren dinglichen Rechten gefährdet werden zu können. Sie sei daher berechtigt, eine Beschwerde zu erheben. In der Beschwerde sei im Namen der sechs Beschwerdeführer vorgebracht worden, dass der Abstand zwischen dem Wohnort und dem Vorhaben zwischen 150 und 250 m betrage, weshalb eine Gesundheitsgefährdung in Frage käme. Dieses Vorbringen möge für vier der Beschwerdeführer zutreffen, treffe jedoch nicht auf die Revisionswerberin zu, welche in Wien wohnhaft sei. Ihr Wohnort sei demnach ca. 100 km vom Vorhaben entfernt. Eine allfällige Beschwerdelegitimation auf Grund der Gefährdung eines dinglichen Rechts sei von der Revisionswerberin nicht behauptet worden. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher die Beschwerde der Revisionswerberin als unzulässig zurückweisen müssen. Mangels Beschwerdelegitimation könne die Revisionswerberin auch nicht zulässigerweise Revision erheben. Bereits aus diesem Grund sei die Revision als unzulässig zurückzuweisen.
14 6.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zwar mit der Beschwerdelegitimation der übrigen Beschwerdeführer auseinandergesetzt, die sämtliche nicht Partei des Revisionsverfahrens sind. Jedoch hat das Bundesverwaltungsgericht keine Feststellungen zu der Bestreitung der Beschwerdelegitimation der Revisionswerberin getroffen und es geht aus dem angefochtenen Erkenntnis auch nicht hervor, auf Basis welcher Feststellungen und auf Grund welcher rechtlichen Schlussfolgerung das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass diese beschwerdelegitimiert sei.
15 Auf Grund des Fehlens dieser Feststellungen zu dem bereits vor dem Verwaltungsgericht strittigen Tatsachenvorbringen leidet das angefochtene Erkenntnis an einem sekundären Feststellungsmangel. Dem Verwaltungsgerichtshof ist es auf Basis der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht möglich, die Beschwerdelegitimation der Revisionswerberin zu überprüfen.
16 Das angefochtene Erkenntnis war bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2022