Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des M K, zuletzt in W, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 8/1/1-3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Dezember 2016, W154 2141306- 2/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber ist kosovarischer Staatsangehöriger. Gegen ihn war letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 21. Juli 2015 eine Rückkehrentscheidung ergangen, im Hinblick auf die er mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30. November 2016 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft genommen wurde. Diesem Bescheid lag ausgehend von aktuellen ärztlichen Untersuchungen des Revisionswerbers zugrunde, dass er im Hinblick auf eine Lungenerkrankung zwar fluguntauglich sei, dass aber "Reisefähigkeit auf dem Landweg" bestehe.
2 Mit Erkenntnis vom 7. Dezember 2016 wies das BVwG die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde ab und stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen; die Lungenerkrankung des Revisionswerbers stehe dem nicht entgegen, weil er auf dem Landweg reisefähig sei und eine solcherart geplante Abschiebung "für den 08.12.2016 organisiert" sei.
3 Die gegen das genannte Erkenntnis des BVwG erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2016/21/0021, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet ab. Dem in der Revision insbesondere erhobenen Einwand, eine Abschiebung des Revisionswerbers wegen Reiseunfähigkeit könne nicht stattfinden, hielt der Verwaltungsgerichtshof in der Rz 29 entgegen, dass Schubhaft keine Gewissheit darüber erfordere, dass es letztlich zu einer Abschiebung kommen könne; sie müsse sich nach Lage des Falles "bloß" mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als möglich darstellen, wovon im vorliegenden Fall angesichts der ohnehin erfolgten medizinischen Abklärung des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers, die ein positives Ergebnis erbrachte (es bestehe zwar Fluguntauglichkeit, aber Reisefähigkeit auf dem Landweg), trotz der von ihm geäußerten Bedenken jedenfalls vorderhand habe ausgegangen werden dürfen.
4 Mittlerweile war indes die für den 8. Dezember 2016 geplante Abschiebung des Revisionswerbers auf dem Landweg gescheitert; die ungarischen Behörden hatten sich geweigert, den Revisionswerber zur Beförderung zu übernehmen. Über den daraufhin nach Wien zurückverbrachten Revisionswerber verhängte das BFA hierauf mit Mandatsbescheid vom 9. Dezember 2016 abermals gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung. In diesem Bescheid wurde erneut festgehalten, dass der Amtsarzt am 30. November 2016 zwar die Reisefähigkeit des Revisionswerbers auf dem Luftweg ausgeschlossen, seine Reisefähigkeit auf dem Landweg jedoch bejaht habe.
5 Die dagegen eingebrachte Schubhaftbeschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. Dezember 2016 gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ab. Außerdem stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und verpflichtete den Revisionswerber zum Kostenersatz an den Bund. Schließlich sprach das BVwG noch aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, ist zulässig und berechtigt.
7 Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Das gilt auch - zumal vor dem Hintergrund des Unionsrechtes (hier konkret: Art. 15 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie) - für die Rechtslage nach dem FrÄG 2015, wie in den betreffenden ErläutRV zur Neufassung des § 76 FPG (582 BlgNR 25. GP 23) unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. August 2012, Zl. 2010/21/0517, ausdrücklich festgehalten wird.
8 Dass mit einer Abschiebung tatsächlich gerechnet werden kann, bedeutet nicht, dass ihre Effektuierung schon als gewiss feststeht. Die Abschiebung muss sich aber nach Lage des Falles mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als möglich darstellen (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2009/21/0047).
9 Im vorliegenden Fall hatte der Revisionswerber schon im Zusammenhang mit seiner ersten Schubhaft geltend gemacht, er sei nicht reisefähig und könne daher nicht abgeschoben werden. Gestützt auf das Ergebnis ärztlicher Untersuchungen gingen dann sowohl das BFA als auch das BVwG (in seinem oben unter Rz 2 genannten Erkenntnis vom 7. Dezember 2016) davon aus, die Lungenerkrankung des Revisionswerbers stehe zwar einer Flugabschiebung im Wege, sie verhindere aber nicht eine Abschiebung auf dem Landweg. Diese Ansicht ist auch noch in dem hier gegenständlichen Schubhaftbescheid vom 9. Dezember 2016 zum Ausdruck gebracht worden.
10 Die Abschiebung auf dem Landweg erwies sich jedoch mangels Zustimmung der ungarischen Behörden als nicht durchführbar. Mit der Frage, ob - allenfalls wie lange - nach dem gescheiterten Abschiebeversuch vom 8. Dezember 2016 dennoch realistisch weiterhin mit einer "Landabschiebung" gerechnet werden durfte, hat sich das BVwG nicht beschäftigt. Es stellte aber fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in der Folge für den 27. Dezember 2016 auf dem Luftweg terminisiert worden sei. Dazu hielt das BVwG dann weiter fest, dass der Revisionswerber "betreffend die Abschiebung auf dem Luftweg reisefähig" sei. Das habe der Amtsarzt am 14. Dezember 2016 - so das BVwG beweiswürdigend - festgestellt. Weiter führte es in diesem Zusammenhang aus, es bestünden "keine Bedenken an der (unbelegt) im Widerspruch zur Beschwerde, wonach dem (Revisionswerber) im Falle der weiteren Schubhaft oder Abschiebung ein schwerer gesundheitlicher Schaden bis hin zum Tod drohe, stehenden Feststellung des Amtsarztes, der (Revisionswerber) sei am Landweg
aktuell reisefähig und der Diagnose des ... Spitals, im Falle des
(Revisionswerbers) bestehe derzeit kein Handlungsbedarf aus pneumologischer Sicht".
11 Diese Überlegungen sind, wie vom Revisionswerber mit Recht geltend gemacht, nicht stichhaltig, weil sich in der Tat die Frage stellt, wieso im Hinblick auf die - bereits 2013 diagnostizierte - Lungenerkrankung des Revisionswerbers (Sarkoidose) am 14. Dezember 2016 Reisefähigkeit auf dem Luftweg attestiert werden konnte, wenn nur etwa zwei Wochen davor im Zusammenhang mit der ersten Schubhaft nach amtsärztlicher Untersuchung noch von Fluguntauglichkeit und Reisefähigkeit bloß auf dem Landweg ausgegangen worden war, zumal der vom BVwG noch festgestellte Hungerstreik des Revisionswerbers im Verlauf der ersten Schubhaft seinen Gesundheitszustand schwerlich verbessert haben dürfte.
12 Ohne nähere Auseinandersetzung mit den der vom BVwG ins Treffen geführten - dem Revisionswerber (wie von ihm in der Revision zu Recht gerügt wird) gar nicht zur Kenntnis gebrachten - amtsärztlichen Stellungnahme vom 14. Dezember 2016 zugrunde liegenden Überlegungen, die in Abweichung von der bisherigen Beurteilung zu dem Ergebnis führten, der Revisionswerber sei (nun) auch auf dem Luftweg reisefähig, durfte das BVwG eine derartige Reisefähigkeit in Anbetracht der dies bestreitenden Behauptungen des Revisionswerbers nicht zugrunde legen. Dann war aber auch nicht ohne weiteres anzunehmen, eine erfolgreiche Abschiebung des Revisionswerbers sei möglich, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen des aufgezeigten Begründungsmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
13 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. Mai 2017