JudikaturVwGH

Ra 2016/21/0348 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 2017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des K Y auch Y K in W, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Buchengasse 47/19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016, Zl. W154 2139324- 1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

1 Der Revisionswerber reiste spätestens im November 2012 illegal nach Österreich ein und stellte am 14. November 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, aus Algerien zu stammen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. August 2013 wurde der Antrag vollumfänglich abgewiesen und der Revisionswerber nach Algerien ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12. September 2014 als unbegründet abgewiesen; gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

2 Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des BFA vom 20. Juli 2015 wurde dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht erteilt; unter einem wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Z 1 und 2 FPG wurde außerdem ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen. Dem Einreiseverbot lagen mehrere strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers zugrunde, unter anderem wegen schweren Raubes und Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten.

3 Am 3. Februar 2016 stellte der Revisionswerber abermals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit am 5. Oktober 2016 in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des BFA vom 19. September 2016 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

4 Der Revisionswerber befand sich vom 27. Mai 2014 bis zum 22. März 2016 sowie vom 21. Juni 2016 bis zum 21. September 2016 in Strafhaft.

5 Mit sofort in Vollzug gesetztem Bescheid vom 21. September 2016 wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft insbesondere zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

6 Am 3. November 2016 wurde der Revisionswerber einer algerischen Delegation zum Zweck der Feststellung seiner Herkunft bzw. Identität vorgeführt. Er wurde dabei nicht als algerischer, sondern (entsprechend seinen eigenen Angaben) mutmaßlich marokkanischer Staatsangehöriger erkannt.

7 Am 10. November 2016 erhob der Revisionswerber gemäß § 22a BFA-VG Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft seit dem 21. September 2016. Er brachte unter anderem vor, dass die Anhaltung in Schubhaft spätestens seit dem 3. November 2016 unverhältnismäßig sei, weil er an diesem Tag von der algerischen Botschaft nicht als algerischer Staatsangehöriger qualifiziert worden sei und die Erlangung eines Heimreisezertifikats von der algerischen Behörden daher auszuschließen sei. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 FPG als unbegründet ab. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG stellte es fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG wurde der Revisionswerber zum Aufwandersatz gegenüber dem Bund verpflichtet.

9 In der Entscheidungsbegründung gab das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Stellungnahmen des BFA vom

11. und vom 16. November 2016 wieder, in denen dieses näher begründet ausführte, dass es weiterhin berechtigten Anlass zur Annahme habe, für den Revisionswerber die Ausstellung eines Heimreisezertifikats erwirken zu können; ein entsprechender Antrag sei am 14. November 2016 an die marokkanische Botschaft ergangen, wobei der Vertretungsbehörde auf Grund von getroffenen Vereinbarungen eine Bearbeitungsfrist von zwei bis drei Wochen einzuräumen sei. Ausgehend davon stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass ein Ergebnis dieser Konsultationen "in absehbarer Zeit" zu erwarten sei. In rechtlicher Hinsicht ging es auf Grund der fehlenden familiären und sozialen Verankerung des Revisionswerbers in Österreich, des mehrfachen Untertauchens in Österreich und der bewussten Verschleierung seiner Identität von einer erheblichen Fluchtgefahr aus, weshalb es der Sicherung der Abschiebung mittels Schubhaft bedürfe.

10 Von der beantragten Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

11 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

13 1. Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG unter anderem vor, dass die Schubhaft offenkundig zum Zweck der Sicherung der Abschiebung nach Algerien verhängt worden sei, nun aber mit dem Ziel der Abschiebung nach Marokko aufrecht erhalten werde; eine Abschiebung nach Algerien komme jedenfalls nicht mehr in Frage. Das Bundesverwaltungsgericht übersehe, dass es für die Abschiebung nach Marokko oder in ein anderes Land keinen Titel gebe, weil auf Basis der gegen den Revisionswerber erlassenen Rückkehrentscheidung lediglich die Abschiebung nach Algerien zulässig wäre.

14 Damit wirft der Revisionswerber die Frage auf, ob eine Rückkehrentscheidung als Titel für eine Abschiebung in einen anderen Staat als den im Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG genannten in Betracht kommt. Da zu dieser Frage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ist die Revision zulässig. Sie ist aber, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, nicht berechtigt.

15 2. Die Rückkehrentscheidung verpflichtet gemäß § 52 Abs. 8 FPG zur unverzüglichen Ausreise in den Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist zwar mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, was einer Konkretisierung des Zielstaates gleichkommt; dieser Ausspruch kann jedoch unterbleiben, wenn er aus vom Fremden zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. In solchen Fällen sind also - ausnahmsweise - Rückkehrentscheidungen ohne einen Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG zulässig (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ra 2016/21/0101, Rz 16). Stellt sich nun aber im Nachhinein heraus, dass der Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG aus vom Fremden zu vertretenden Gründen auf einen für die Abschiebung gar nicht in Betracht kommenden Staat bezogen wurde und daher ins Leere geht, so ist dieser Fall jenem gleichzuhalten, in dem ein Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG zulässigerweise von vornherein unterblieben ist. Die Rückkehrentscheidung kommt in einer solchen Konstellation grundsätzlich auch ohne entsprechenden Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG als Titel für die Abschiebung in den Herkunftsstaat in Betracht, wobei von Amts wegen das Refoulement-Verbot (§ 50 FPG) zu beachten ist (vgl. in diesem Sinn zu einer ähnlichen Fallgestaltung auch die Erläuterungen zu § 8 Abs. 6 AsylG 2005, 952 BlgNR 22. GP 38: Ist der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht bekannt, so ist der Asylwerber zwar nach § 10 AsylG 2005 (in der Stammfassung) aus dem Bundesgebiet auszuweisen, es kann aber praktisch unmöglich sein, ihn in seinen tatsächlichen Herkunftsstaat abzuschieben; wird die Abschiebung möglich, so ist vor der Durchführung der Abschiebung deren Zulässigkeit durch die Fremdenpolizeibehörden zu überprüfen.). Dem Fremden steht es freilich offen, Bedenken im Hinblick auf eine drohende Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK durch die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat gegebenenfalls im Weg eines Antrags auf internationalen Schutz geltend zu machen. Für eine Vorgangsweise, wie sie in den ErlRV zu § 51 Abs. 1 FPG idF des FrÄG 2015 (582 BlgNr 25. GP 20) skizziert wird (Abänderung der Zulässigkeitsfeststellung von Amts wegen bzw. Wiederaufnahme des Verfahrens in diesem Punkt, wenn sich nachträglich die Abschiebung in einen anderen Staat als möglich erweist), fehlt es indes an einer gesetzlichen Grundlage.

16 Im vorliegenden Fall hat sich gezeigt, dass es sich bei dem Staat, hinsichtlich dessen gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt wurde, entgegen den ursprünglichen Angaben des Revisionswerbers nicht um dessen Herkunftsstaat handeln dürfte. Vor diesem Hintergrund kam die Rückkehrentscheidung entgegen der Ansicht des Revisionswerbers als Titel für die Abschiebung in seinen (laut seinen revidierten Angaben) eigentlichen Herkunftsstaat in Betracht, obwohl insoweit ein Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG fehlt.

17 3. Ausgehend davon wurde die Schubhaft durch die Unmöglichkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien nicht unverhältnismäßig. Vielmehr durfte sie zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko aufrechterhalten werden. Daran änderte nichts, dass zunächst noch Konsultationen mit der marokkanischen Vertretungsbehörde erforderlich waren, zumal hierfür die erst nachträglich vorgenommene Änderung der Angaben des Revisionswerbers, der die Behörden bis dahin offenbar über seinen wahren Herkunftsstaat getäuscht hatte, kausal war. Das Bundesverwaltungsgericht ist auf Grund der im Verfahren abgegebenen Stellungnahmen des BFA auch zu Recht davon ausgegangen, dass Aussicht bestand, innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer ein Heimreisezertifikat für Marokko zu erlangen und die Abschiebung durchführen zu können.

18 4. Entgegen dem weiteren Vorbringen des Revisionswerbers war die Schubhaft auch nicht deswegen unverhältnismäßig, weil nicht schon während seiner Anhaltung in Strafhaft mit den Vorbereitungen für die Abschiebung begonnen worden war. Während seiner (letzten) Strafhaft war nämlich noch ein - faktischen Abschiebeschutz begründendes - Verfahren über seinen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz anhängig, sodass das BFA nicht gehalten war, bereits in diesem Stadium Vorbereitungen für eine allfällige Abschiebung zu treffen (vgl. in diesem Zusammenhang auch § 33 Abs. 4 BFA-VG). Ob die Erlangung eines Heimreisezertifikats schon während der ersten Strafhaft des Revisionswerbers (vom 27. Mai 2014 bis zum 22. März 2016) möglich gewesen wäre, ist für die Verhältnismäßigkeit der hier zu beurteilenden Schubhaft unerheblich, zumal Heimreisezertifikate in der Regel nur mit kurzen Befristungen ausgestellt werden und daher nicht unabhängig von einer bereits in Aussicht genommenen Abschiebung gleichsam "auf Vorrat" beantragt werden können (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0527, wonach im Hinblick auf die Befristung von Heimreisezertifikaten ein Zuwarten mit ihrer Beschaffung am Beginn einer längeren Haft des betreffenden Fremden geboten erscheinen kann). Eine Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft folgt auch nicht daraus, dass das BFA die Einvernahme des Revisionswerbers im Asylverfahren "schon zu einem früheren Zeitpunkt" hätte ansetzen können.

19 5. Schließlich rügt der Revisionswerber noch, dass das Bundesverwaltungsgericht trotz seines ausdrücklichen Antrags von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe. Entgegen seiner Ansicht durfte das Bundesverwaltungsgericht aber im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG annehmen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war. Der Revisionswerber wendet dagegen zwar ein, dass der Sachverhalt "im Hinblick auf die Identität des Revisionswerbers und damit zusammenhängend die Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikats und die Durchführbarkeit einer Abschiebung innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer alles andere als geklärt" gewesen sei. Für die verfahrensgegenständliche Frage der Rechtmäßigkeit der Schubhaft war es aber gar nicht erforderlich, dass die Identität des Revisionswerbers bereits geklärt war; vielmehr genügte es, dass Aussicht bestand, die Klärung der Identität - und damit verbunden die Erlangung eines Heimreisezertifikats - innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer bewirken zu können. Das hat das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Stellungnahmen des BFA zu den aktuell laufenden Konsultationen mit der marokkanischen Vertretungsbehörde - wie bereits dargestellt - zu Recht angenommen. Auch der Revisionswerber bestreitet die rechtzeitige Erlangbarkeit des Heimreisezertifikats nicht konkret. Dass das BFA und das Bundesverwaltungsgericht aber von einer marokkanischen Staatsangehörigkeit ausgingen, beruhte - was der Revisionswerber übersieht - auf seinen eigenen Angaben im Anschluss an den Termin bei der algerischen Vertretungsbehörde und nicht bloß auf einer "Feststellung" durch diese Vertretungsbehörde.

20 6. Da somit bereits der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 2017

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