Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des S E in G, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2016, I409 2125925-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, beantragte am 10. September 2014 internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, er sei homosexuell und habe in seinem Herkunftsstaat in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung gelebt. Sein Lebenspartner sei von der nigerianischen Polizei wegen homosexueller Orientierung ermordet worden. Auch ihm drohe bei einer Rückkehr nach Nigeria wegen seiner Homosexualität zumindest eine Freiheitsstrafe. Er führe nunmehr auch in Österreich eine gleichgeschlechtliche Beziehung.
2 Mit Bescheid vom 7. April 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach den §§ 55 und 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 § 9 BFA-VG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) und stellte fest, dass gemäß § 46 FPG seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Begründend führte das BFA aus, es sei nicht glaubwürdig, dass der Revisionswerber homosexuell sei.
3 In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wandte sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung des BFA und bekräftigte, homosexuell zu sein und mit seinem Partner CO in Österreich eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu führen. Zum Beweis seiner homosexuellen Orientierung legte er ein Schreiben des Flüchtlingsbetreuers MD vom 14. April 2016 vor. Mit Schreiben vom 26. Juni 2016 beantragte der Revisionswerber zum Beweis seiner Homosexualität die Einvernahme des CO und des MD als Zeugen.
4 In der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 2016 vernahm das Bundesverwaltungsgericht den Revisionswerber und den Zeugen CO. Zu dem als Vertrauensperson des Revisionswerbers anwesenden MD hielt es in der Niederschrift fest: "Aufgrund des heutigen Verlaufs der Verhandlung scheint eine Einvernahme der Vertrauensperson des Revisionswerbers entbehrlich zu sein. Die Rechtsberaterin ist mit dieser Vorgangsweise einverstanden und verweist auf die Stellungnahme der Vertrauensperson, die im Akt aufliegt."
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend führte es aus, dem Revisionswerber drohe in Nigeria keine Verfolgung wegen einer homosexuellen Orientierung. Der Revisionswerber habe seine Behauptung, homosexuell zu sein, nicht konsistent darstellen können. Auch die Aussage des Zeugen CO sei widersprüchlich und nicht glaubwürdig .
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
7 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet, das Parteivorbringen und angebotene Beweise zu berücksichtigen. Der Revisionswerber habe die Einvernahme des Zeugen MD zum Beweis seines Vorbringens beantragt. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Einvernahme dieses Zeugen zu Unrecht für "entbehrlich" gehalten, zumal der Zeuge bereits zuvor in einer schriftlichen Eingabe an das Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt habe, über die Homosexualität des Revisionswerbers Kenntnis erlangt zu haben, wobei ihm die persönliche Nähe zwischen dem Revisionswerber und CO schon lange davor aufgefallen sei. Auch die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis sei grob mangelhaft. Das Bundesverwaltungsgericht begründe nicht nachvollziehbar, warum die Angaben des Zeugen CO und des Revisionswerbers "unglaubwürdig" gewesen wären. Soweit das Verwaltungsgericht widersprüchliche Angaben des Zeugen CO bei verschiedenen Einvernahmen behaupte, entziehe sich dies auch einer nachprüfenden Kontrolle, weil diese Aussagen im angefochtenen Erkenntnis nicht wiedergegeben würden.
8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 27. Juni 2016, Ra 2016/18/0098).
10 Der Revisionswerber behauptete eine Verfolgung in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner homosexuellen Orientierung, wobei ihm zumindest eine Freiheitsstrafe drohe (vgl. zur Asylrelevanz dieses Vorbringens das hg. Erkenntnis vom 16. November 2016, Ra 2015/18/0295). Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Situation Homosexueller in Nigeria keine Feststellungen getroffen, sondern die vom Revisionswerber behauptete Gefahr einer Verfolgung schon deshalb verneint, weil es der Aussage des Revisionswerbers, homosexuell zu sein, keinen Glauben schenkte.
11 Vor diesem Hintergrund kommt aber dem zum Beweis der Homosexualität des Revisionswerbers gestellten Beweisantrag auf Einvernahme des MD Relevanz zu. Der Einvernahme kann nicht von vorherein die Eignung abgesprochen werden, über eine homosexuelle Orientierung des Revisionswerbers Beweis zu liefern, zumal der Zeuge MD bereits schriftlich bekannt gegeben hat, Wahrnehmungen zur sexuellen Orientierung des Revisionswerbers bzw. seiner gleichgeschlechtlichen Beziehung zum Zeugen CO gemacht zu haben.
12 Bei der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. Juli 2016 war, wie in der Niederschrift festgehalten, auch eine Rechtsberaterin des Vereins Menschenrechte Österreich anwesend. Es ist dem Akt jedoch nicht zu entnehmen, dass der Revisionswerber im Sinn des § 52 Abs. 2 BFA-VG um eine Vertretung durch einen Rechtsberater ersucht bzw. seiner Rechtsberaterin eine Vollmacht zur Vertretung im Verfahren erteilt hätte. Ein von der Rechtsberaterin erklärtes Einverständnis mit dem Unterbleiben der Einvernahme des Zeugen CO kann dem Revisionswerber daher nicht ohne Weiteres zugerechnet werden. Schon aus diesem Grund durfte von der Vernehmung nicht Abstand genommen werden.
13 Das Bundesverwaltungsgericht wäre daher zur Aufnahme des beantragten Beweises verpflichtet gewesen. Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
14 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. Februar 2017