Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Drexler, Dr. Närr, Dr. Leukauf Dr. Pokorny, Dr. Dorner. Dr. Stoll und Dr. Bernard als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungskommissär Dr. Kundegraber, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 16. August 1985, Zl. VerkR-960/1-1985-II/Gr, betreffend Zurückweisung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Kraftfahrgesetz 1967, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion vom 14. Mai 1985 wurde der Beschwerdeführer wegen zweier Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967 verurteilt; es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt. Die Strafverfügung wurde dem Beschwerdeführer zu eigenen Handen am 22. Mai 1985 zugestellt. Am 12. Juni 1985 gab der Beschwerdeführer, rechtsanwaltlich vertreten, gegen diese Strafverfügung einen Einspruch zur Post. Am 18. Juni 1985 wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers von der genannten Behörde vorgehalten, der Einspruch sei verspätet erhoben worden. Daraufhin ersuchte der Rechtsvertreter um eine vierzehntägige Frist zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme. Mit Postaufgabedatum vom 1. Juli 1985 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist ein und wiederholte den bereits einmal erhobenen Einspruch.
Mit Bescheid vom 9. Juli 1985 wies die genannte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 2 und Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950, da verspätet eingebracht, als unzulässig zurück; ferner wies sie den Einspruch gegen die Strafverfügung gemäß S 68 Abs. 1 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950, da verspätet eingebracht, als unzulässig zurück. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung, in der er erklärte, den Bescheid vollinhaltlich anzufechten. Der Berufungsantrag lautete dahin, der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, daß dem Wiedereinsetzungsantrag Folge gegeben werde oder daß der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstbehörde zurückverwiesen werde. Hilfsweise wurde in dem Schriftsatz ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der einwöchigen Frist zur Erhebung des Wiedereinsetzungsantrages gestellt. Über letzteren Antrag wurde nach der Aktenlage bis nun nicht abgesprochen.
Der Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 16. August 1985 enthielt folgenden Vorspruch:
„Die Bundespolizeidirektion hat mit Bescheid vom 9. 7. 1985, St 15.780/85 K, den Einspruch des Herrn gegen die wegen Übertretung nach den §§ 1.) 102 Abs. 1 i.V.m. § 36 und § 27 Abs. 2 KFG 1967 und 2.) 51 Abs. 3 KFG 1967 erlassene Strafverfügung der genannten Behörde vom 14. Mai 1985, Zl. St-15.780/85 K, als verspätet zurückgewiesen.
Der Bestrafte brachte dagegen in offener Frist Berufung ein, über welche der Landeshauptmann von OÖ. als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung in zweiter und letzter Instanz wie folgt entscheidet:“
Diesem Vorspruch folgte der Spruch, der Berufung vom 23. Juli 1985 werde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 im Zusammenhalt mit § 24 VStG 1950 keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. In der Begründung wurde zunächst auf jene der Erstbehörde verwiesen. Der Einspruch sei außerhalb der gesetzlichen Einspruchsfrist eingebracht worden. Die Erstbehörde habe dem Beschwerdeführer eine vierzehntägige Frist für die Abgabe einer Stellungnahme hinsichtlich des verspäteten Einspruches eingeräumt und damit dem Grundsatz des Parteiengehörs Rechnung getragen. Keinesfalls sei diese Frist als Rechtsmittelfrist anzusehen, wie dies der Beschwerdeführer in seiner Berufung annehme. Die gesetzliche Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages könne von der Behörde nicht abgeändert werden. Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages finde keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt. Das Vorbringen in der Berufung sei nicht geeignet gewesen, die Zurückweisung des Einspruches gegen die Strafverfügung als ungerechtfertigt erscheinen zu lassen. Aus diesem Grund habe der Berufung ein Erfolg versagt bleiben müssen.
Mit Bescheid vom 24. Februar 1986 sprach der Landeshauptmann von Oberösterreich über die Berufung gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages ab und gab dieser Berufung keine Folge. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 25. Februar 1986 zugestellt.
Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom 16. August 1985 richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen „Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erklärt, in seinem subjektiven Recht auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ferner in seinem Recht, entgegen den Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes und des Kraftfahrgesetzes nicht bestraft zu werden, verletzt zu sein. Er vertritt, wie schon im Verwaltungsstrafverfahren, die Ansicht, die Einräumung einer zweiwöchigen Äußerungsfrist zur Frage der Verspätung des Einspruches bedeute gleichzeitig eine Verlängerung der gesetzlichen Wiedereinsetzungsfrist von einer auf zwei Wochen. Ausgehend von der längeren Frist, sei sein Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß S 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gegenstand des bekämpften Berufungsbescheides ist, wie sich insbesondere aus dem später erlassenen Bescheid vom 24. Februar 1986 ergibt, allein die Frage, ob die erste Instanz den Einspruch des Beschwerdeführers gegen die Strafverfügung zu Recht als verspätet zurückwies. Daß aber der Einspruch außerhalb der gesetzlichen Frist, somit verspätet, eingebracht worden war, wird auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Das Beschwerdevorbringen vermochte in keiner Weise die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in der hier allein zu prüfenden Frage, ob der Einspruch zu Recht als verspätet zurückgewiesen wurde, zu erweisen.
Sofern der Beschwerdeführer die Meinung vertritt, sein Wiedereinsetzungsantrag sei zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen worden, hätte er dies in jenem Verfahren geltend machen müssen, das die Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrages betrifft.
Sofern der Beschwerdeführer die Meinung zu vertreten scheint, sein Einspruch hätte nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden dürfen, seiner diesbezüglichen Berufung hätte nicht der Erfolg versagt werden dürfen, solange nicht über die Frage der Wiedereinsetzung endgültig entschieden sei, geht er von einer irrigen Rechtsauffassung aus:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. Erkenntnisse vom 23. Februar 1978, Zlen. 2068, 2394/77; vom 5. März 1980, Zlen. 2800, 2809/79; vom 5. November 1982, Zl. 82/08/0178, u. a.) ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zur Zeit seiner Erlassung zu beurteilen, was bedeutet, daß der Zurückweisungsbescheid (die bestätigende Berufungsentscheidung) dann rechtmäßig ist, wenn zur Zeit seiner Erlassung die Wiedereinsetzung nicht bewilligt war. Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, so tritt der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG 1950 von Gesetzes wegen außer Kraft (Erkenntnisse vom 23. Mai 1956, Slg. N. F. Nr. 4070/A; vom 29. Mai 1967, Zlen. 497, 1424/66).
In Anbetracht dieser Rechtslage vermag der Verwaltungsgerichtshof jenen Teil seiner Rechtsprechung, der die Zurückweisung eines Rechtsmittels dann als verfrüht ansieht, wenn zu dieser Zeit über einen Wiedereinsetzungsantrag noch nicht abweisend entschieden wurde, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Diese Rechtsansicht wurde vor allem im Erkenntnis vom 24. Mai 1973, Zl. 72/73, nur mit Leitsatz veröffentlicht in Slg. N. F. Nr. 8420/A, und in den diesem Erkenntnis folgenden weiteren Erkenntnissen vom 30. März 1977, Zlen. 1057, 1059, 1061, 1063, 1065/76, vom 22. Dezember 1982, Zl. 82/03/0096, und vom 19. September 1983, Zl. 83/10/0206, vertreten. Gerade die im erstzitierten Erkenntnis gegebene Begründung aus S 72 Abs. 1 AVG 1950 führt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber zur gegenteiligen Schlußfolgerung:
Nach der letzterwähnten Bestimmung tritt, wie auch die weiter oben zitierte Rechtsprechung erkannte, der Zurückweisungsbescheid von Gesetzes wegen außer Kraft. Es ist daher von Gesetzes wegen dafür gesorgt, daß auch die nachträgliche Bewilligung der Wiedereinsetzung die Versäumungsfolgen beseitigt. Umso weniger besteht ein Grund dafür, mit der Zurückweisung eines verspäteten Rechtsmittels zuzuwarten, wenn über einen Wiedereinsetzungsantrag noch nicht bejahend entschieden worden ist. Dies trifft selbstverständlich nur auf solche Fälle zu, in denen die Behörde dem Wiedereinsetzungsantrag nicht aufschiebende Wirkung beigelegt hat. Übt sie ihre diesbezügliche in § 71 Abs. 6 AVG 1950 festgelegte Befugnis aus, so wird freilich bis zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung mit keinem Zurückweisungsbescheid vorgegangen werden dürfen. Der Verwaltungsgerichtshof hält vielmehr an seiner Rechtsansicht, ausgesprochen in den Erkenntnissen vom 3. Oktober 1977, Zlen. 2583, 2623/76, und vom 23. März 1983, Zlen. 83/03/0059, 0068, dahin fest, daß die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem bloß anhängigen, aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage zu entscheiden sei. Eine Ausnahme davon kann nur, wie bereits erwähnt, im Falle der Bewilligung einer aufschiebenden Wirkung im Sinne des § 71 Abs. 6 AVG 1950 gemacht werden.
Eine solche Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an den Wiedereinsetzungsantrag lag aber im vorliegenden Falle nicht vor. Die Behörde handelte daher ohne Rechtsirrtum, wenn sie in ihrer Berufungsentscheidung die Zurückweisung des verspäteten Einspruches durch die erste Instanz bestätigte.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß auch die Vorschrift des § 72 Abs. 3 AVG 1950 zu keiner anderen Lösung beiträgt: Nach dieser Bestimmung ist, wenn eine Partei Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der mündlichen Verhandlung beantragt und gegen den Bescheid Berufung eingelegt hat, auf die Erledigung der Berufung erst einzugehen, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen worden ist. Abgesehen vom Wortlaut, welcher allein auf die Versäumung einer mündlichen Verhandlung abstellt, bleibt für eine auf die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ausdehnende Interpretation nach dem offenbaren Zweck dieser Bestimmung, bis zur Erledigung des Wiedereinsetzungsantrages die Schaffung eines rechtskräftigen und damit vollstreckbaren Bescheides zu verhindern, kein Raum. Dieser Zweck würde nämlich auch bei Zuwarten mit der Entscheidung über ein Rechtsmittel, welches infolge Versäumung der Rechtsmittelfrist als unzulässig, weil verspätet, anzusehen ist, nicht erfüllt, weil die inzwischen eingetretene Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Bescheides durch die Einbringung eines unzulässigen Rechtsmittels (zunächst) nicht beseitigt wird.
Da in der vorliegenden Beschwerdesache weder § 71 Abs. 2 noch § 61 Abs. 3 AVG 1950 anzuwenden war, erübrigte es sich, auf die Anregung des Beschwerdeführers einzugehen, allfällige Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen zu erwägen.
Da es der Beschwerde somit nicht gelungen ist, die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, am 23. Oktober 1986