JudikaturVwGH

1623/63 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Oktober 1964

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Borotha, und die Hofräte Dr. Krzizek, Dr. Lehne, Dr. Striebl und Dr. Rath als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Morscher, über die Beschwerde des K P in W, gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid der Magistratsabteilung 64 vom 26. Juni 1963, Zl. M.Abt. 64 B XX 63/61), betreffend einen Abtragungsauftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung vom Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Juni 1961 teilte die Stadtbauamtsdirektion des Magistrates der Stadt Wien der Magistratsabteilung 36 mit, daß im Rahmen des Wohnbauprogrammes 1960/1961 auch die Verbauung der städtischen Liegenschaft im X. Bezirk, I gasse 10, vorgesehen sei; Teilflächen dieser Liegenschaft seien an den Beschwerdeführer zu gärtnerischen Zwecken verpachtet; auf ihnen seien mehrere Objekte errichtet worden; es werde nun ersucht zu prüfen, ob dafür um Baubewilligungen angesucht worden sei. Sollten keine Baubewilligungen erteilt worden sein, möge ein Abtragungsauftrag erlassen werden. Sollten Bewilligungen nach § 71 der Bauordnung für Wien vorliegen, so wären diese zu widerrufen.

Nun wurde eine mündliche Verhandlung für den 23. Oktober 1961 anberaumt. Die Ladung enthielt ohne Anführung des § 42 AVG. 1950 den Hinweis darauf, daß Einwendungen die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung oder während der Verhandlung vorgebracht wurden, keine Berücksichtigung finden könnten und die Beteiligten dann dem Parteiantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden werde, als zustimmend angesehen werden. Die Ladung enthielt als Bezeichnung der zu verhandelnden Angelegenheiten nur die Angabe „Überprüfung der Baubewilligungen der Bestandsobjekte (X, I gasse 10)“.

Bei der Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer nach dem Inhalt der Niederschrift nur, daß es ihm nicht möglich sei, innerhalb der festgesetzten Frist die Gebäude abzutragen, weil er keinen Ersatz dafür habe. Das Pachtverhältnis sei um 10 Jahre verlängert worden. Würden die Gebäude abgetragen, so könne der Beschwerdeführer den Grund nicht mehr gärtnerisch nutzen. Damit sei ihm die Existenzmöglichkeit genommen.

Nun erging der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 8. November 1961. Er enthielt den auf § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien gestützten Auftrag, sämtliche bestehenden Baulichkeiten auf der Grundfläche Wien X, I gasse 10, binnen sechs Monatne nach Rechtskraft des Bescheides abtragen zu lassen. Gleichzeitig wurde hievon der Grundeigentümer, die Stadt Wien in Kenntnis gesetzt. In der Begründung dieses Bescheides wurde festgestellt, auf der Liegenschaft befinde sich ein zum Teil gemauertes, zum Teil in Holzkonstruktion errichtetes Wohngebäude mit Nebenräumen an der Straße und an der rechten Grundgrenze, ein gemauertes ebenerdiges Objekt an der linken Grundgrenze, das Lagerräume und einen Einstellraum enthalte, und einschließlich ein gemauertes ebenerdiges Objekt, das an das zweite anschließe und als Arbeitsraum Verwendung finde. Sämtliche Gebäude seien ohne Baubewilligung errichtet worden. Eine nachträgliche Baubewilligung könne nicht erteilt werden, weil die behördlichen Bebauungsbestimmungen nicht eingehalten seien und der Grundeigentümer seine Zustimmung nicht erteilt habe. Gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien seien daher die vorschriftswidrigen Bauten zu beseitigen. Die gesetzte Frist sei angemessen. Zu den Einwendungen des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, sie hätten nicht berücksichtigt werden können, weil sie ausschließlich von privatwirtschaftlichen Erwägungen ausgegangen seien, aber keine Beziehung zur Rechtslage hätten. Die Frist habe nicht länger bemessen werden können, weil auf der Liegenschaft eine Wohnhausanlage zur Errichtung kommen solle und somit ein öffentliches Interesse an der Freimachung des Grundes bestehe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er führte aus, die gegenständliche Gärtnerei seit 1937 innezuhaben. Vor ihm habe sie aber schon sein Vater betrieben. Die Bauten seien zumindest seit dem Jahre 1880 vorhanden. Sie befänden sich in gutem Zustand; der Beschwerdeführer habe die notwendigen Reparaturen immer vorgenommen und nach dem zweiten Weltkrieg die vorhandenen Kriegsschäden vollständig beseitigt; er bestreite nicht, daß er außerstande sei, einen Baubewilligungsbescheid vorzulegen, doch seien die Gebäude zu einer Zeit errichtet worden, in der eine Baubewilligung zumindest in dieser Gegend noch gar nicht erforderlich gewesen sei. Die Gemeinde Wien habe seit dem Bestehen einer Bauordnung von der Existenz der Gebäude Kenntnis gehab, habe aber nie etwas in dieser Hinsicht unternommen, sondern das Vorhandensein der Bauwerke „offensichtlich genehmigt“.

Das sei ein weiterer Hinweis dafür, daß ihr Bestehen als legal zu werten sei. Hinsichtlich der Frist für die Abtragung führte der Beschwerdeführer aus, daß sein Pachtrecht auf Grund einer Entscheidung des Pachtamtes beim Bezirksgericht F vom 20. September 1961, welche mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. Dezember 1960 (richtig wohl: 1961) bestätigt worden sei, bis zum 1. November 1969 dauern werde. Aus diesem Grunde sei es unmöglich, auf der Grundfläche eine Wohnhausanlage zu errichten; dies wäre nur unter Verletzung der Pachtrechte denkbar. Sollte aber der Zweck des Abtragungsauftrages darin liege, die Weiterführung der Gärtnerei unmöglich zu machen und den Beschwerdeführer so zum Verzicht auf die Pachtrechte zu veranlassen, so müsse darauf hingewiesen werden daß ein Abtragungsauftrag seine Rechtfertigung nur in baupolizeilichen Gründen finden könne.

Nun wurde die Magistratsabteilung 36 ersucht, hinsichtlich der in der Berufung enthaltenen Behauptungen Erhebungen anzustellen. Der Beschwerdeführer, welcher vorgeladen wurde, gab an, die Gebäude seien um 1890 von seinem Vater gekauft worden, doch bestünden sie schon länger, zumindest seit 1880. Er werde sich bemühen, weitere Unterlagen zu beschaffen. Hiefür wurde ihm eine Frist von vier Wochen erteilt. In dieser Zeit wurde aber offenbar keine Beweismittel vorgelegt. Die Antwort der Magistratsabteilung 36 vom 12. September 1962 lautete: In den amtlichen Unterlagen konnten keinerlei Anhaltspunkte für den Zeitpunkt der Erbauung dieser Objekte gefunden werden; es fänden sich weder Pläne noch sonstige Belege. Obwohl der Eigentümer angebe, daß die Baulichkeiten seit 1880 bestünden, müsse aus dem verhältnismäßig guten Bauzustand, insbesondere aus dem Zustand der hölzernen Bauteile und des Bauwerkes geschlossen werden, daß die Gebäude wesentlich später erbaut oder zumindest im Laufe der Zeit weitgehend erneuert worden seien. Nach Angabe des Hauseigentümers seien sie nach Kriegsschäden instandgesetzt worden. Diese Instandsetzung wäre nach Ansicht der Magistratsabteilung 36 bewilligungspflichtig gewesen, sodaß die nunmehr instandgesetzten Gebäude als konsenslos anzusehen seien.

Dieses Erhebungsergebnis wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Er führte dazu aus: Das gegenständliche Bauwerk sei anläßlich von Kriegshandlungen im Jahre 1945 beschädigt worden, wobei insbesondere das Dach schwer in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Er habe kurz nach Beendigung der Kampfhandlungen noch im Jahre 1945 das Dach hergerichtet und auch die anderen Beschädigungen, soweit es damals möglich war, beseitigt. Die Einholung einer Baubewilligung sei hiefür weder erforderlich noch auch möglich gewesen, da das zuständige Bauamt zu diesem Zeitpunkt keinen Amtsbetrieb eingerichtet hatte. In der Folgezeit seien auch Ausbesserungen am Verputz vorgenommen worden, die selbstverständlich ebenfalls nicht bewilligungspflichtig gewesen seien. Instandsetzungsarbeiten seien übrigens auch schon in den Jahrzehnten vor dem Kriege vorgenommen worden, sodaß sich der gute Zustand des Hauses dadurch zwangslos erkläre. Da weder ein Bau noch ein Zu oder Umbau vorgenommen worden sei, habe nach § 60 der Bauordnung für Wien keine Verpflichtung zur Einholung einer Baubewilligung bestanden.

Nun erging auf Grund eines Beschlusses der Bauoberbehörde für Wien vom 26. Juni 1963 der Berufungsbescheid; mit ihm wurde gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 der erstinstanzliche Bescheid dahin gehend abgeändert, daß die nähere Bezeichnung der abzutragenden Objekte, wie sie in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides enthalten gewesen war, in den Spruch aufgenommen wurde. Im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurde der Inhalt der Äußerung der Magistratsabteilung 36 wiedergegeben und als schlüssig bezeichnet. Somit wurde der Meinung Ausdruck gegeben, daß für die Baulichkeiten, sollten sie nach der Bauordnung für Wien konsentiert worden sein, unbedingt Baubewilligungen erforderlich sein müßten und daß daher die Vermutung, es handle sich um Baulichkeiten, deren Konsens nicht mehr auffindbar sei und die deshalb als konsensgemäß anzusehen seien, nicht zutreffe. Es bestünden daher keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auftrages zur Beseitigung der Baulichkeiten und es erscheine der Beweis für einen konsensgemäßen Bestand auf keinen Fall erbracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde und die Gegenschrift erwogen:

Mit der Frage, wie es sich verhält, wenn für ein Bauwerk eine schriftliche Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 4. Juni 1957, Slg. N.F.Nr. 4364/A, befaßt und ausgesprochen: Sind hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Gebäudes Unterlagen über eine seinerzeitige Baubewilligung nicht mehr auffindbar, steht andererseits aber fest, daß baubehördliche Beanstandungen aus dem Grund, weil ein Konsens fehle, niemals stattgefunden haben, dann spricht die Vermutung dafür, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestalt auf Grund einer nach der im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschrift erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, daß Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorliegen. Die Grundlagen für die Beurteilung in diesem Sinne hat die erkennende Behörde im Ermittlungsverfahren festzustellen. Bei der Feststellung des Sachverhaltes trifft auch die Partei eine Mitwirkungspflicht (vgl. das Erkenntnis vom 26. Juni 1959, Slg. N.F.Nr. 5007/A). Dieser Mitwirkungspflicht kommt an sich bei einem Sachverhalt der vorliegenden Art zwar besondere Bedeutung zu, weil in der Regel vor allem der Eigentümer eines Bauwerkes in der Lage sein wird, zielführende Hinweise zur Klärung zu bieten. Im vorliegenden Fall hat allerdings der Beschwerdeführer bei der Verhandlung nur wirtschaftliche Momente gegen den Abtragungsauftrag ins Treffen geführt und erst in der Berufung Umstände vorgebracht, die als Beitrag zur Klärung der Bewilligungsfrage gelten konnten. In der Gegenschrift wird der Standpunkt vertreten, daß in Anbetracht dieser Umstände und der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit vorangegangener Ladung unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG. 1950 für die belangte Behörde gar keine Verpflichtung bestanden hätte, sich mit dem Berufungsvorbringen auseinanderzusetzen. Diese Rechtsanschauung hält der Verwaltungsgerichtshof für verfehlt. Er hat in seinem Erkenntnis vom 14. November 1962, Zl. 732/62, zum Ausdruck gebracht daß im Falle der Erteilung eines von Amts wegen zu erlassenden Auftrages die Rechtsfolgen des § 42 AVG. 1950 den Adressaten des Auftrages nicht treffen können. Der Verwaltungsgerichtshof hält an dieser Anschauung fest. Dazu kommt, daß im vorliegenden Fall als Verhandlungsgegenstand in der Ladung nur die Überprüfung der Baubewilligungen, nicht aber der Abtragungsauftrag angeführt war. Auch dies hätte die Verschweigung nach § 42 AVG. 1950 ausgeschlossen. Es ist somit zu prüfen, ob, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, die belangte Behörde sich in unzureichender Weise mit dem Berufungsvorbringen und den Einwendungen des Beschwerdeführers gegen das eingeholte Gutachten befaßt hat oder ob die Ermittlungen ausgereicht habe und ihre Würdigung schlüssig war. In der Beschwerde wird in dieser Hinsicht vor allem ausgeführt, die Bauoberbehörde erkenne durch ihre Argumentation, die sich auf die Annahme eines wesentlich späteren als des vom Beschwerdeführer angegebenen Erbauungszeitpunktes stütze, an, daß für den Fall, als die Erbauung tatsächlich zu den von dem Beschwerdeführer behaupteten Zeitpunkt erfolgt sein sollte, eine Baubewilligung „nicht erforderlich wäre“. Die Behörde könne sich aber nicht etwa auf präzise Feststellungen hinsichtlich des Baujahres berufen, sondern nur auf ein Gutachten, welches auf Grund des verhältnismäßig guten Bauzustandes, insbesondere auf Grund des Zustandes der hölzernen Bauteile und des Mauerwerkes, auf einen wesentlich späteren Bautermin oder eine weitgehende Erneuerung schließen. Die Schlußfolgerung werde aber dadurch erschüttert, daß die Möglichkeit einer weitgehenden Erneuerung erwähnt werde. Dieser Begriff sei im Gesetz nicht enthalten. Die vorgenommenen Arbeiten hätten jedenfalls nicht den Charakter eines Umbaues getragen.

Die Meinung der Baueberbehörde, „daß für die Baulichkeiten, sollten sie nach der Bauordnung für Wien konsentiert worden sein, unbedingt Baubewilligungen erforderlich sein müßten“, könnte, wenn das Wort „erforderlich'' nicht etwa „auffindbar“ heißen sollte, kaum als eine ausreichend bestimmte Beurteilung bewertet werden. Aber auch die tatsächlichen Feststellungen die dieser Beurteilung zugrunde lagen, reichen nicht aus. Zunächst wäre es durchaus möglich und zugleich auch erforderlich, festzustellen, ob aus der behaupteten Entstehungszeit der Bauten für ähnliche Bauten im örtlichen Umkreis die Baubewilligungen auffindbar sind. Sollte aber das entscheidende Faktum in dem Fehlen der Bewilligungen für „Erneuerungsarbeiten“ nach dem Krieg erblickt werden, so müßte hier eine genauere Feststellung als die getroffene durchaus möglich sein. Auch ist zu bedenken, daß nach der Darstellung des Beschwerdeführers die Arbeiten vor dem Geltungsbeginn des Gesetzes vom 20. Februar 1947, LGBl. für Wien Nr. 5/1947, vorgenommen worden sein dürften.

Der angefochtene Bescheid mußte aus den bisher ausgeführten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, und zwar wegen Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes aufgehoben werden. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf das sonstige Beschwerdevorbringen hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen dem hoheitlichen Handeln der Organe der Gebietskörperschaft und ihren Tätigkeiten auf dem privatrechtlichen Sektor sowie auf die Frage einzugehen, ob die vom Beschwerdeführer betonte zivilrechtliche Bindung durch das Pachtverhältnis im vorliegenden öffentlich rechtlichen Zusammenhang irgendeine Bedeutung haben konnte.

Wien, 26. Oktober 1964

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