Ro 2018/07/0047 2 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Nach der Rechtsprechung des EuGH sind für die Beurteilung, ob eine Verwaltungssanktion von strafrechtlicher Natur ist, die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten "Engel-Kriterien" maßgeblich. Nach diesen ist erstens die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im nationalen Recht, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion zu beurteilen (vgl. EuGH 5.6.2012, Bonda, C 489/10; EGMR 8.6.1976, Engel ua/Niederlande, Serie A Nr. 22, sowie 10.2.2009, Zolotukhin/Russland, 14939/03). Die Anwendung (auch) der in Art. 91 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 vorgesehenen Verwaltungssanktion erfolgt gemäß Art. 3 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 unbeschadet der Anwendung strafrechtlicher Sanktionen, soweit diese nach nationalem Recht vorgesehen sind. Damit kommt im Sinn des ersten Kriteriums zweifelsfrei zum Ausdruck, dass die Verwaltungssanktion des Unionsrechts, die dem "innerstaatlichen Recht" im Sinne der Rechtsprechung des EGMR gleichzusetzen ist (vgl. EuGH 5.6.2012, Bonda, C-489/10), nicht als strafrechtliche Sanktion ausgestaltet ist. Hinsichtlich des zweiten Kriteriums ist hervorzuheben, dass nach Art. 99 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 bzw. Art. 39 oder 40 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 das Zuwiderhandeln eines Begünstigten gegen die Cross-Compliance-Vorschriften mit einer Kürzung oder gänzlichen Streichung des Gesamtbetrags der Direktzahlung, die dem Begünstigten gewährt wurde bzw. zu gewähren war, für das Kalenderjahr, in dem der Verstoß festgestellt wurde, sanktioniert wird. Sohin fehlt es der Verwaltungssanktion des Art. 91 legcit. an einer repressiven Zielsetzung; sie ist vielmehr darauf gerichtet, die Verwaltung der Unionsmittel zu schützen (vgl. EuGH 5.6.2012, Bonda, C-489/10). Zum letzten Kriterium ist festzuhalten, dass nach Art. 99 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 die Gesamthöhe der Kürzungen und Ausschlüsse in einem Kalenderjahr den Gesamtbetrag im Sinn von Abs. 1 Unterabsatz 1 legcit. in keinem Fall übersteigen darf. Somit droht einem Begünstigten höchstens die Streichung der gesamten Direktzahlung, womit er den in Aussicht gestellten Vermögenszuwachs verliert. Die Verwaltungssanktion nach Art. 91 legcit. ist demnach ihrer Art und ihres Schweregrads nach nicht mit einer in Form einer Geldbuße oder Freiheitsstrafe auferlegten Verwaltungsstrafe vergleichbar. Nach den "Engel-Kriterien" des EGMR besitzt sie daher keinen strafrechtlichen Charakter.