JudikaturVfGH

E4833/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
06. Juni 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Belutschen an und bekennt sich zum schiitisch muslimischen Glauben. Er wurde in der Provinz Daikundi geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Frühsommer 2023. Am 4. Dezember 2023 stellte der Beschwerdeführer nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 28. Februar 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 2. Dezember 2024 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell und konkret gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können.

Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hält das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben, im Wesentlichen aus folgenden Gründen: Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan habe sich seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 durchwegs verbessert; sie vermöge daher im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers – bei dem es sich nicht um eine Person handle, die auf Grund ihrer politischen oder religiösen Haltung oder ihrer (beruflichen) Tätigkeit besonders exponiert sei – nicht, die Annahme des Vorliegens einer realen Gefahr ("real risk") für ihn zu rechtfertigen. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat könne jedoch auch dann eine Verletzung von Art3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfinden würde, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden könnten; eine solche Situation sei nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Der Beschwerdeführer könne in einem Haus seiner Familie in Daikundi wohnen und es sei ihm möglich, wie vor seiner Ausreise durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zumindest seinen notdürftigen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Familie könne er auch von ihr unterstützt werden. Das Bundesverwaltungsgericht gehe daher davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine reale Gefahr einer Verletzung des Art3 EMRK drohe.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in seiner Begründung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich auf das familiäre Netzwerk des Beschwerdeführers sowie die abgesicherte wirtschaftliche Situation seiner Familie in Afghanistan. Es stellt fest, dass mehrere Verwandte des Beschwerdeführers – insbesondere seine Eltern und mehrere Geschwister – in Daikundi im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben würden, dass der Vater eine familieneigene Landwirtschaft bewirtschafte, wobei die Familie von den dabei erwirtschafteten Einkünften leben würde, und dass ein im Iran lebender Bruder des Beschwerdeführers die Familie finanziell unterstütze. In der Folge geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan über ein tragfähiges weites familiäres Netzwerk verfüge und im Falle einer Rückkehr in seinem Elternhaus – in dem die Familie aktuell lebe – Unterkunft finden könne. Weiters zeige der Umstand, dass es dem Beschwerdeführer bzw seiner Familie möglich gewesen sei, seine Ausreise (mit) zu finanzieren, dass sich die persönliche Lebenssituation der Familie weit besser gesichert dargestellt habe, als es der Einstufung seiner Herkunftsregion Daikundi in der "Integrated Food Security Phase Classification (IPC)" in der "Phase 3 (Krise)" entspreche. Überdies seien der Beschwerdeführer und seine Familie nicht von der verbreiteten humanitären Notlage betroffen (gewesen). Unter anderem auf Grund des familiären Rückhaltes des Beschwerdeführers und der abgesicherten wirtschaftlichen Situation seiner Familie sei auszuschließen, dass er nach einer Rückkehr in eine aussichtslose Lebenssituation geraten würde. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse könne die Familie des Beschwerdeführers ihn auch unterstützen.

2.3. Den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur abgesicherten wirtschaftlichen Situation der Familie in Afghanistan stehen Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegenüber, nach denen es seiner Familie in Afghanistan auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage finanziell "nicht so gut" gehe. Wiewohl das Bundesverwaltungsgericht dieses Beschwerdevorbringen in der Darstellung des Verfahrensganges wiedergibt, setzt es sich damit im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung nicht auseinander. Insofern ist aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht zu der – nicht weiter substantiierten – Annahme gelangt, die Familie des Beschwerdeführers befände sich in einer abgesicherten wirtschaftlichen Situation und könnte ihn im Falle einer Rückkehr unterstützen.

2.4. Soweit das Bundesverwaltungsgericht überdies davon ausgeht, der Vater des Beschwerdeführers würde die Familie mit den Einkünften bzw mit dem Ertrag aus der Bewirtschaftung der familieneigenen Landwirtschaft versorgen, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, worauf das Bundesverwaltungsgericht diese für eine zumutbare Rückkehrsituation wesentliche Annahme stützt. Aus den vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Akten ist lediglich ersichtlich, dass der Beschwerdeführer angab, sein Vater würde in der Landwirtschaft arbeiten und Weizen anbauen. Wie das Bundesverwaltungsgericht auf dieser Grundlage zu dem Schluss gelangt, der Vater des Beschwerdeführers würde die Familie mit den Einkünften bzw dem Ertrag aus der Landwirtschaft versorgen, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.

2.5. Insgesamt hat es das Bundesverwaltungsgericht somit bei seinen Ausführungen zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich hinsichtlich der Versorgungslage substantiiert und konkret mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Dabei wäre das Bundesverwaltungsgericht insbesondere gehalten gewesen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur wirtschaftlichen Situation seiner Familie auseinanderzusetzen und dies in seine Beurteilung im Hinblick auf die Versorgungslage miteinzubeziehen. Indem das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, hat es seine Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und Willkür geübt. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht trotz der divergierenden Angaben zur wirtschaftlichen Lage der Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht ein in jeder Hinsicht rechtmäßiges Ermittlungsverfahren geführt und zu Recht nicht den Status des Asylberechtigten zuerkannt hat, insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.