JudikaturVfGH

V37/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2025
Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der Kanalordnung der Gemeinde Riefensberg durch Festlegung eines – dem Vlbg KanalisationsG widersprechenden – zu hohen Beitragssatzes

Spruch

I. §10 Abs2 der Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Riefensberg vom 11. März 2020 über die öffentliche Wasserentsorgung (Kanalordnung) der Gemeinde Riefensberg, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel am 13. März 2020, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Land Vorarlberg verpflichtet.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z1 B VG begehrt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg, "§10 Abs2 der Verordnung über die öffentliche Wasserentsorgung (Kanalordnung) der Gemeinde Riefensberg vom 11.03.2020, ZI ri003.36 1/2020 1, erlassen in Anwendung der Bestimmung des §12 Abs1 Kanalisationsgesetz, LGBl Nr 5/1989", als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes über öffentliche Abwasserbeseitigungsanlagen (Kanalisationsgesetz KanalG.), LGBl 5/1989 (WV), idF LGBl 32/2017, (im Folgenden: Vbg KanalG) lauten:

"§12

Beitragssätze

(1) Die Gemeindevertretung hat durch Verordnung den Beitragssatz festzusetzen. Dieser darf 8 v.H. und, wenn eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage besteht, in die ungeklärte häusliche Schmutzwässer eingeleitet werden können, 12 v.H. jenes Betrages nicht überschreiten, der den Durchschnittskosten für die Herstellung eines Laufmeters Rohrkanal für die Abwasserbeseitigungsanlage im Durchmesser von 400 mm in einer Tiefe von 3 m entspricht.

(2) Wenn die Gemeindevertretung die Einhebung eines Nachtragsbeitrages nach §17 Abs1 lita beschließt, ist hiefür ein eigener Beitragssatz festzusetzen. Dieser darf den Unterschied zwischen 12 v.H. des im Abs1 genannten Betrages und dem bei der Vorschreibung der Anschlussbeiträge herangezogenen Hundertsatz nicht übersteigen.

§13

Erschließungsbeitrag

(1) Für die Erschließung innerhalb des Einzugsbereiches eines Sammelkanales gelegener Grundstücke, die in einem Flächenwidmungsplan als Bauflächen oder als bebaubare Sondergebiete gewidmet sind, kann ein Erschließungsbeitrag erhoben werden, wenn in den Sammelkanal Schmutzwässer nicht nur vorläufig eingeleitet werden dürfen.

(2) Die Gemeindevertretung hat die Bewertungseinheit mit Verordnung festzulegen. Diese darf 5 v.H. der in den Einzugsbereich fallenden Grundstücksfläche (m²) nicht übersteigen.

(3) Der Abgabenanspruch entsteht mit der Betriebsfertigstellung des Sammelkanales. Erfolgt die Betriebsfertigstellung jedoch vor der Widmung der betreffenden Grundstücke als Bauflächen oder als bebaubare Sondergebiete, so entsteht der Abgabenanspruch mit der Rechtswirksamkeit der Widmung. Wurde vor der Widmung der betreffenden Grundstücke als Bauflächen oder als bebaubare Sondergebiete ein Erschließungsbeitrag gemäß Abs4 erhoben, so ist dieser auf den Erschließungsbeitrag gemäß Abs1 anzurechnen, wobei der bereits geleistete Erschließungsbeitrag unter Anwendung des geltenden Beitragssatzes rechnerisch neu festzusetzen ist.

(4) Für Grundstücke, bei denen ein Anschluss gemäß §3 Abs5 erfolgt, und für Grundstücke innerhalb des Einzugsbereiches eines Sammelkanales, die nicht als Baufläche oder als bebaubares Sondergebiet gewidmet sind und auf denen bereits der Anschlusspflicht gemäß §3 Abs3 unterliegende Bauwerke oder befestigte Flächen bestehen, kann ein Erschließungsbeitrag erhoben werden. Dabei gelten die Abs1 bis 3 sinngemäß mit der Maßgabe, dass bei Grundstücken, die nicht als Baufläche oder als bebaubares Sondergebiet gewidmet sind, die für die Berechnung der Bewertungseinheit heranzuziehende, in den Einzugsbereich fallende Grundstücksfläche mit maximal 500 m² begrenzt ist. Der Abgabenanspruch entsteht frühestens mit der Rechtskraft der Entscheidung über den Anschluss."

2. §10 der Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Riefensberg vom 11. März 2020 über die öffentliche Wasserentsorgung (Kanalordnung), kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel am 13. März 2020, (im Folgenden: Kanalordnung vom 11. März 2020) lautete (aufgehoben durch die Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Riefensberg über die öffentliche Wasserentsorgung [Kanalordnung] der Gemeinde Riefensberg vom 24. Mai 2022, Zl ri003.36 1/2022 1):

" §10

Beitragsausmaß und Beitragssatz

1) Das Ausmaß der Kanalisationsbeiträge ergibt sich aus dem mit der Bewertungseinheit (§§13, 14, 15 und 17 des Kanalisationsgesetzes) vervielfachten Beitragssatz. Die Bewertungseinheit für die Berechnung des Erschließungsbeitrages beträgt 5 v.H. der in den Einzugsbereich fallenden Grundstücksfläche (m²).

2) Der Beitragssatz beträgt € 39,27* das sind 29 v.H. jenes Betrages, der den Durchschnittskosten für die Herstellung eines Laufmeters Rohrkanal für die Abwasserbeseitigungsanlage im Durchmesser von 400 mm in einer Tiefe von 3 m entspricht.

[…]

(*zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer) "

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

1.1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Riefensberg vom 27. März 2023 wurde dem Beschwerdeführer ein Erschließungsbeitrag für das Jahr 2019 gemäß §13 Vbg KanalG iVm §§9 und 10 der Kanalordnung iHv € 739,54 unter Zugrundelegung eines Beitragssatzes von € 38,50 vorgeschrieben.

1.2. Mit Beschwerdevorentscheidung des Bürgermeisters der Gemeinde Riefensberg vom 29. September 2023, Zl ri851.3 1/2020 1 18, wurde die Beschwerde unter Änderung des Spruches als unbegründet abgewiesen. Gegen diesen Bescheid stellte der Beschwerdeführer einen Vorlageantrag an das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg.

1.3. Aus Anlass des Beschwerdeverfahrens sind beim Landesverwaltungsgericht Vorarlberg Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §10 Abs2 der Kanalordnung vom 11. März 2020 entstanden, weshalb dieses den vorliegenden Antrag nach Art139 Abs1 Z1 B VG gestellt hat.

1.4. Zur Präjudizialität führt das Landesverwaltungsgericht aus, dass der Erschließungsbeitrag im angefochtenen Bescheid gemäß §13 Vbg KanalG mit € 739,54 festgesetzt worden sei. Die Höhe des Beitrags gründe sich auf §10 Abs2 der Kanalordnung vom 11. März 2020. Im Falle einer Aufhebung dieser Bestimmung bestehe keine Rechtsgrundlage, den Erschließungsbeitrag in dieser Höhe festzusetzen. Daraus ergebe sich, dass der Erfolg der Beschwerde (allein) von der Gesetzmäßigkeit der genannten Verordnungsbestimmung abhänge.

2. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg legt seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bewogen haben, der Sache nach wie folgt dar: §12 Abs1 Vbg KanalG ermächtige die Gemeindevertretung durch Verordnung die Höhe des Erschließungsbeitragssatzes festzusetzen. Dabei dürften die in §12 Abs1 Vbg KanalG festgelegten Prozentsätze bei der Festsetzung dieses Beitrags nicht überschritten werden. Der in §10 Abs2 der Kanalordnung vom 11. März 2020 normierte Beitragssatz von 29 % übersteige die in §12 Abs1 Vbg KanalG festgelegten Prozentsätze bei Weitem und stehe folglich im Widerspruch zu seiner gesetzlichen Grundlage.

3. Die Gemeindevertretung der Gemeinde Riefensberg legte den Verordnungsakt vor, sah jedoch von der Erstattung einer Äußerung ab. Der Bürgermeister der Gemeinde Riefensberg legte den Verwaltungsakt vor und sah ebenso von der Erstattung einer Äußerung ab. Die Vorarlberger Landesregierung wies in ihrer Äußerung darauf hin, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung zwischenzeitlich außer Kraft getreten sei.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg ist über eine Beschwerde gegen die Vorschreibung eines Erschließungsbeitrages nach §13 Vbg KanalG zu entscheiden. Dieser richtet sich nach dem in §10 Abs2 der Kanalordnung normierten Beitragssatz. Im vorliegenden Fall wurde der Erschließungsbeitrag von der vor dem Landesverwaltungsgericht belangten Behörde unter Anwendung der Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Riefensberg vom 17. Mai 2013 mit einem Beitragssatz iHv € 38,50 ermittelt. Vor dem Hintergrund des Inhaltes des dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungs- und Gerichtsaktes erscheint es jedoch nicht von vornherein denkunmöglich, dass im zu Grunde liegenden Verfahren die genannte Verordnungsbestimmung in der angefochtenen Fassung (Kanalordnung vom 11. März 2020) anzuwenden wäre.

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet:

2.2.1. Die vom Landesverwaltungsgericht Vorarlberg angefochtene Verordnung stützt sich auf §12 Vbg KanalG, LGBl 5/1989. Nach dieser Bestimmung hat die Gemeindevertretung durch Verordnung den Beitragssatz festzusetzen. Nach §12 Abs1 Vbg KanalG darf dieser 8 v.H. und, wenn eine gemeinsame Abwasserreinigungsanlage besteht, in die ungeklärte häusliche Schmutzwässer eingeleitet werden können, 12 v.H. jenes Betrages nicht überschreiten, der den Durchschnittskosten für die Herstellung eines Laufmeters Rohrkanal für die Abwasserbeseitigungsanlage im Durchmesser von 400 mm in einer Tiefe von 3 m entspricht.

2.2.2. Die Gemeindevertretung hat in §10 Abs2 der angefochtenen Verordnung den Beitragssatz mit € 39,27 und damit mit 29 v.H. jenes Betrages, der den Durchschnittskosten für die Herstellung eines Laufmeters Rohrkanal für die Abwasserbeseitigungsanlage im Durchmesser von 400 mm in einer Tiefe von 3 m entspricht, festgelegt. Der verordnete Beitragssatz steht damit im Widerspruch zur gesetzlichen Grundlage des §12 Abs1 Vbg KanalG. Er erweist sich damit als gesetzwidrig.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung der Gemeindevertretung ist daher wegen Verstoßes gegen §12 Abs1 Vbg KanalG als gesetzwidrig aufzuheben.

Mit der Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Riefensberg über die öffentliche Wasserentsorgung (Kanalordnung) der Gemeinde Riefensberg vom 24. Mai 2022, Zl ri003.36 1/2022 1, wurde die in Prüfung gezogene Verordnung aufgehoben. Da die als gesetzwidrig erkannte Verordnung jedoch mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung steht, ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe zB VfSlg 19.343/2011 mwN) mit Aufhebung nach Abs3 des Art139 B VG und nicht mit einem Ausspruch nach Abs4 dieser Verfassungsbestimmung vorzugehen.

2. Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B VG und §59 Abs2 VfGG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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