Leitsatz
Auswertung in Arbeit
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte nach illegaler Durchreise und Rücküberstellung aus Deutschland auf der Grundlage der Dublin III-Verordnung am 20. Juni 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er wegen seines Bruders Probleme mit den Taliban bekommen habe. Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer, getötet zu werden.
2. Mit Bescheid vom 8. August 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab und wies dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Das BFA erteilte dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres.
3. Mit Verfahrensanordnung vom 8. August 2023 stellte das BFA dem Beschwerdeführer von Amts wegen die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU als Rechtsberaterin zur Seite. In der Verfahrensordnung informierte das BFA den Beschwerdeführer über sein Recht, sich durch die Rechtsberaterin im Beschwerdeverfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, vertreten zu lassen.
4. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU mit seiner Vertretung im Verfahren und erhob am 5. September 2023 durch seine bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
5. Mit Erledigung vom 16. Mai 2024, zugestellt am 21. Mai 2024, brachte das Bundesverwaltungsgericht der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU als Rechtvertreterin des Beschwerdeführers die Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis. Der Ladung war folgender Hinweis angeschlossen: "Als Verfahrenspartei steht es Ihnen frei, gemeinsam mit Ihrer Vertreterin oder Ihrem Vertreter zu erscheinen." Eine gesonderte Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung an den Beschwerdeführer erfolgte nicht.
6. Die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU stellte mit Schriftsatz vom 31. Mai 2024 eine Vertagungsbitte und begründete dies damit, dass es ihr nicht möglich sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Im Falle der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Rechtsvertreterin sei deren Nichterscheinen zu entschuldigen. Die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU beantragte gleichzeitig die Gewährung einer 14 tägigen Stellungnahmefrist im Anschluss an die Durchführung der mündlichen Verhandlung.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10. Juni 2024 eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit der dem Beschwerdeführer von Amts wegen beigegebenen Rechtsvertreterin durch. Der erkennende Richter erkundigte sich nicht, ob der Beschwerdeführer damit einverstanden war, ohne seine von Amts wegen beigegebene Rechtsvertreterin zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Der erkennende Richter prüfte ferner nicht, ob der Vertagungsbitte stattzugeben ist. Beim Bundesverwaltungsgericht langte auch keine Stellungnahme der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU ein.
8. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen den Bescheid vom 8. August 2023 erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 12. November 2024 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Fluchtvorbringen als unglaubwürdig und stellt fest, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens keine Anhaltspunkte hervorgekommen seien, die auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers hindeuteten.
9. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass das angefochtene Erkenntnis ihn in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletze (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses. Der erkennende Richter habe den Beschwerdeführer angesichts der Abwesenheit seiner Rechtsvertreterin nicht ausdrücklich dahingehend befragt, ob die mündliche Verhandlung in Abwesenheit der von Amts wegen zur Verfügung gestellten Rechtsvertreterin durchgeführt werden könne. In der Niederschrift finde sich auch kein Hinweis, dass der Beschwerdeführer das Vertretungsverhältnis in der Verhandlung aufgelöst habe. Es finde sich kein Hinweis, dass der erkennende Richter den Beschwerdeführer über sein Recht informiert habe, gemeinsam mit seiner Rechtsvertreterin an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Es finde sich ferner kein Hinweis, dass der Beschwerdeführer keinen Einwand gegen die Durchführung der mündlichen Beschwerdeverhandlung in Abwesenheit seiner Rechtsvertreterin gehabt habe.
10. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
11. Das BFA nahm ebenfalls von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg 11.196/1986 zum rechtsstaatlichen Prinzip festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl auch VfSlg 18.809/2009).
In seinem Erkenntnis VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie VfGH 2.10.2010, U3078/09 ua) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§48 bis 52 BFAVG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des (damaligen) Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Mai 2016, Ro 2016/18/0001, judiziert, dass es auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof gibt in ständiger Rechtsprechung Beschwerden bei von Amts wegen beigegebenen Rechtsberatern, die zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht erscheinen, statt, wenn die mündliche Verhandlung durchgeführt wird, ohne dass der Beschwerdeführer über die Möglichkeit der Ladung der Rechtsberaterin in Kenntnis gesetzt wird oder dahingehend befragt wird, ob er sein Vertretungsverhältnis aufrechterhält (VfGH 24.2.2020, E2425/2019; 22.9.2021, E2594/2021).
2.3. In der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10. Juni 2024 wird die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, die nicht zu dieser Verhandlung erschien, als Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers ausgewiesen. Der erkennende Richter befragte den Beschwerdeführer angesichts der Abwesenheit seiner Rechtsvertreterin nicht ausdrücklich dahin, ob die mündliche Verhandlung ohne Anwesenheit der von Amts wegen zur Verfügung gestellten Rechtsvertreterin durchgeführt werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht nahm sohin in Kauf, dass der Beschwerdeführer während der gesamten Verhandlung nicht vertreten war, anstatt den Beschwerdeführer (zumindest) über die Möglichkeit der Beiziehung der Rechtsvertreterin in Kenntnis zu setzen. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass der erkennende Richter "nach Aufruf der Sache die Identität und Stellung der Anwesenden sowie etwaige Vertretungsbefugnisse wie oben eingetragen" prüfte und die Parteien des Verfahrens und die sonstigen Anwesenden zur Verhandlung rechtzeitig geladen wurden. Entgegen der offenkundigen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes genügt es nicht, dass die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU als Rechtvertreterin des Beschwerdeführers das Bundesverwaltungsgericht darüber informiert, dass der Beschwerdeführer keinen Einwand gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit seiner Rechtsberatung hat; es ist vielmehr Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes, sich dieser Tatsache durch Belehrung und Nachfrage zu vergewissern.
Da das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, liegt eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechts vor (vgl VfGH 8.6.2021, E3947/2020; 22.9.2021, E2594/2021; 28.2.2022, E2810/2021; 14.12.2022, E2016/2022 jeweils mwN).
2.4. Es ist außerdem Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes, sich der Tatsache zu vergewissern, dass die Parteien und deren Vertreter (mit einer ausreichenden Vorbereitungszeit) an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können. Stellt die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU als von Amts wegen zur Seite gestellte Rechtsvertreterin – wie im Beschwerdefall getan – eine Vertagungsbitte, hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob der Vertagungsbitte stattzugeben ist (vgl VwGH 19.10.1970, 751/70; 16.12.1993, 90/06/0185; 25.10.2000, 99/06/0063; VfGH 3.10.2024, E2483/2024). Dass das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, stellt ebenfalls eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechts dar.
2.5. Das angefochtene Erkenntnis ist aus den genannten Gründen aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.