JudikaturVfGH

E3986/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
24. Februar 2025
Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nicht-Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft allein wegen des Vorliegens minderschwerer Verwaltungsübertretungen ungeachtet der langen Aufenthaltsdauer, Unbescholtenheit und des reumütigen Verhaltens des Antragstellers

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Beschwerde, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 20. Jänner 1994 geborener kosovarischer Staatsangehöriger. Er ist seit dem Jahr 2012 im Bundesgebiet aufhältig und verfügt über eine Aufenthaltsbewilligung als Schüler bzw Student.

Er ist strafgerichtlich unbescholten, weist jedoch verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf:

Am 8. November 2023 erließ die Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien) ein Straferkenntnis gegen den damals knapp dreißigjährigen Beschwerdeführer, weil dieser gegen §8 Abs4 sowie §99 Abs4a StVO verstoßen habe, indem er am 22. Februar 2023 als Radfahrer während der Fahrt ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung telefoniert und einen Gehsteig befahren habe. Die LPD Wien verhängte deshalb jeweils eine Geldstrafe iHv € 60,– über den Beschwerdeführer.

Am 10. November 2023, also zwei Tage später, erließ die LPD Wien eine Strafverfügung, mit der über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des §102 Abs3 KFG, des §60 Abs3 StVO und des §1 Abs1 Z1 WLSG drei Geldstrafen verhängt wurden, weil er am Abend des 8. November 2023 als Radfahrer während der Fahrt ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung telefoniert und sein Fahrrad bei Dunkelheit ohne Beleuchtung gelenkt habe. Zudem habe er den öffentlichen Anstand verletzt, indem er gegenüber anwesenden Exekutivbeamten die Worte "Fuck you all" ausgesprochen habe. Über den Beschwerdeführer wurden deshalb Geldstrafen gemäß §134 Abs3c KFG iHv € 120,–, gemäß §99 Abs3 lita StVO iHv € 60,– sowie gemäß §1 Abs1 WLSG iHv € 100,– verhängt.

Vorher und nachher ließ sich der Beschwerdeführer keine (weiteren) Verwaltungsübertretungen zu Schulden kommen.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 31. Jänner 2023 einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Wiener Landesregierung wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Mai 2024 ab, weil angesichts der fünf Verwaltungsübertretungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer zukünftig die öffentliche Ordnung bzw Sicherheit gefährde. Er erfülle somit die Verleihungsvoraussetzung des §10 Abs1 Z6 StbG nicht.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 2. September 2024 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Das Verwaltungsgericht Wien begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner fünf Verwaltungsübertretungen, des kurzen Zeitraumes, in dem diese begangen wurden, des Umstandes, dass der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits die Verleihung der Staatsbürgerschaft beantragt habe, der wiederholten Verstößen gegen gleichgelagerte Vorschriften und der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch den respektlosen Umgang gegenüber den Exekutivbeamten die Anforderungen des §10 Abs1 Z6 StbG nicht erfülle. An dieser Einschätzung könne auch sein reumütiges Verhalten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien nichts ändern.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) beantragt wird.

Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit ließe nicht den Schluss zu, dass er in Zukunft eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art8 Abs2 EMRK genannte Rechtsgüter im Sinne des §10 Abs1 Z6 StbG darstelle. Weder aus der bisherigen Art, Schwere und Häufigkeit der Verstöße noch aus dem sonstigen Verhalten und bisherigen Lebenswandel des Beschwerdeführers, noch aus seinem Auftreten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien ließe sich die negative Prognose des Verwaltungsgerichtes Wien schlüssig ableiten.

Dass es sich bei den Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers nicht um schwerwiegende Verstöße handle, zeige sich auch in der Höhe der jeweiligen Geldstrafen. Die Übertretungen würden sich überdies nur auf einen jeweils kurzen Zeitraum erstrecken. Das gegen die Vorgaben der StVO verstoßende Verhalten sei zudem bei geringem Verkehrsaufkommen und geringer Fahrgeschwindigkeit erfolgt. Die Äußerung gegenüber den Exekutivbeamten sei unmittelbarer Ausdruck von Ärger gewesen, der Beschwerdeführer habe aber niemanden beleidigen wollen. Darüber hinaus habe er während seines mittlerweile langjährigen Aufenthaltes in Österreich ansonsten keine Gesetzesverstöße begangen.

5. Das Verwaltungsgericht Wien und die Wiener Landesregierung haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift jeweils abgesehen.

II. Rechtslage

1. §10 des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG), BGBl 311/1985, idF BGBl I 162/2021 lautet auszugsweise wie folgt:

"

Verleihung

§10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1.-5.[…]

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7.-8. […]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), BGBl 159/1960, idF BGBl I 52/2024 lauten auszugsweise wie folgt:

"§8. Fahrordnung auf Straßen mit besonderen Anlagen.

(1)-(3) […]

(4) Die Benützung von Gehsteigen, Gehwegen und Schutzinseln mit Fahrzeugen aller Art und die Benützung von Radfahranlagen mit Fahrzeugen, die keine Fahrräder sind, insbesondere mit Motorfahrrädern, ist verboten. Dieses Verbot gilt nicht

1. für das Überqueren von Gehsteigen, Gehwegen und Radfahranlagen mit Fahrzeugen auf den hiefür vorgesehenen Stellen, sofern Fußgänger und Radfahrer nicht gefährdet oder gehindert werden,

2. für das Befahren von Mehrzweckstreifen mit Fahrzeugen, für welche der links an den Mehrzweckstreifen angrenzende Fahrstreifen nicht breit genug ist oder wenn das Befahren durch Richtungspfeile auf der Fahrbahn für das Einordnen zur Weiterfahrt angeordnet ist, wenn dadurch Radfahrer weder gefährdet noch behindert werden, sowie

3. für Arbeitsfahrten mit Fahrzeugen oder Arbeitsmaschinen, die nicht mehr als 1 500 kg Gesamtgewicht haben und für die Schneeräumung, die Streuung, die Reinigung oder Pflege verwendet werden.

(4a) […]

§60. Zustand und Beleuchtung der Fahrzeuge.

(1) Ein Fahrzeug darf auf Straßen nur verwendet werden, wenn es so gebaut und ausgerüstet ist, daß durch seinen sachgemäßen Betrieb Personen nicht gefährdet oder durch Geruch, Geräusch, Staub, Schmutz u. dgl. nicht über das gewöhnliche Maß hinaus belästigt oder Sachen, insbesondere die Fahrbahn, nicht beschädigt werden.

(2) Schneekufen sind nur zulässig, wenn die Straße mit einer ununterbrochenen oder doch wenigstens nicht nennenswert unterbrochenen Schnee- oder Eisschicht bedeckt ist.

(3) Während der Dämmerung, bei Dunkelheit oder Nebel oder wenn es die Witterung sonst erfordert, sind Fahrzeuge auf der Fahrbahn zu beleuchten; ausgenommen hievon sind Fahrräder, die geschoben werden. Weißes Licht darf nicht nach hinten und rotes Licht nicht nach vorne leuchten. Eine Beleuchtung des Fahrzeuges darf unterbleiben, wenn es stillsteht und die sonstige Beleuchtung ausreicht, um es aus einer Entfernung von ungefähr 50 m zu erkennen.

(4) Wenn es die Verkehrssicherheit erfordert, hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Stand der Technik nähere Vorschriften über die Ausführung und Beschaffenheit der an Fahrzeugen anzubringenden Rückstrahleinrichtungen einschließlich der gelben Rückstrahler an den Pedalen von Fahrrädern und über ihre Lichtwirkungen durch Verordnung zu erlassen.

[…]

§68. Fahrradverkehr

(1) […]

(3) Es ist verboten,

a) auf einem Fahrrad freihändig zu fahren oder die Füße während der Fahrt von den Treteinrichtungen zu entfernen,

b)-d) […]

e) während des Radfahrens ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung zu telefonieren; hinsichtlich der Anforderungen für Freisprecheinrichtungen gilt §102 Abs3 KFG 1967.

[…]

§99. Strafbestimmungen.

(1)-(2g) […]

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,

a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,

b)-k) […]

(4) […]

(4a) Wer als Radfahrer die in §68 Abs3 lite angeführte Verpflichtung nicht erfüllt, begeht, wenn dies bei einer Anhaltung gemäß §97 Abs5 StVO 1960 festgestellt wird, eine Verwaltungsübertretung, welche mit einer Organstrafverfügung gemäß §50 VStG mit einer Geldstrafe von 50 Euro zu ahnden ist. Wenn die Zahlung des Strafbetrages verweigert wird, ist von der Behörde eine Geldstrafe bis zu 72 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe bis zu 24 Stunden, zu verhängen.

(5) […]"

3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1967 über das Kraftfahrwesen (Kraftfahrgesetz 1967 – KFG. 1967), BGBl 267/1967, idF BGBl I 116/2024 lauten auszugsweise wie folgt:

"§102. Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers

(1) Der Kraftfahrzeuglenker darf ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass das von ihm zu lenkende Kraftfahrzeug und ein mit diesem zu ziehender Anhänger sowie deren Beladung den hiefür in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen; die Überprüfung der Wirksamkeit der Vorrichtungen zum Abgeben von akustischen Warnzeichen darf jedoch nur erfolgen, sofern nicht ein Verbot gemäß §43 Abs2 lita StVO 1960 besteht. Berufskraftfahrer haben bei Lastkraftwagen, Sattelzugfahrzeugen, Omnibussen oder Anhängern unverzüglich den Zulassungsbesitzer nachweisbar zu verständigen, wenn das Fahrzeug diesen Vorschriften nicht entspricht.

(1a)-(2) […]

(3) Der Lenker muß die Handhabung und Wirksamkeit der Betätigungsvorrichtungen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges kennen. Ist er mit ihrer Handhabung und Wirksamkeit noch nicht vertraut, so darf er das Fahrzeug nur mit besonderer Vorsicht lenken. Er muss die Lenkvorrichtung während des Fahrens mit mindestens einer Hand festhalten. Er hat sich im Verkehr der Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend zu verhalten. Während des Fahrens ist dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten. Der Bundesminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie hat unter Bedachtnahme auf die Verkehrssicherheit und den Stand der Technik durch Verordnung die näheren Vorschriften bezüglich der Anforderungen für Freisprecheinrichtungen festzulegen. Freisprecheinrichtungen müssen den Anforderungen der Produktsicherheitsbestimmungen für Freisprecheinrichtungen entsprechen.

(3a) […]

§134. Strafbestimmungen

(1)-(3b) […]

(3c) Wer als Lenker eines Kraftfahrzeuges die in §102 Abs3 fünfter Satz angeführte Verpflichtung nicht erfüllt, begeht, wenn dies bei einer Anhaltung gemäß §97 Abs5 StVO 1960 festgestellt wird oder aus Beweismaterial aus bildgebender Verkehrsüberwachung gemäß §§98a, 98b, 98c, 98d oder 98e StVO 1960 einwandfrei erkennbar ist, eine Verwaltungsübertretung, welche im Falle einer Anhaltung mit einer Organstrafverfügung gemäß §50 VStG mit einer Geldstrafe von 100 Euro zu ahnden ist. Wenn die Zahlung des Strafbetrages verweigert wird, oder wenn die Übertretung anhand von Beweismaterial aus bildgebender Verkehrsüberwachung festgestellt wird, ist von der Behörde eine Geldstrafe bis zu 140 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe bis zu 24 Stunden, zu verhängen. Erfolgt die Übertretung durch eine Person, die sich noch in der Probezeit befindet, so sind auch im Falle einer Anhaltung die Daten der Person (Name, Geburtsdatum) sowie Zeit und Ort der Übertretung zu erfassen und es ist die Führerscheinbehörde davon zu verständigen.

(3d) […]"

4. §1 des Gesetzes, mit dem Bestimmungen zum Schutz vor Beeinträchtigungen des örtlichen Gemeinschaftslebens erlassen werden und das Gesetz, mit dem der Landespolizeidirektion Wien die Mitwirkung an der Vollziehung bestimmter ortspolizeilicher Verordnungen übertragen wird, geändert wird (Wiener Landes-Sicherheitsgesetz – WLSG), LGBl für Wien 51/1993, lautet auszugsweise wie folgt:

"Anstandsverletzung und Lärmerregung

§1. (1) Wer

1. den öffentlichen Anstand verletzt oder

2. ungebührlicherweise störenden Lärm erregt oder

3. eine Person an einem öffentlichen Ort zu einer Handlung oder Duldung auffordert, die deren sexuelle Sphäre betrifft und von dieser Person unerwünscht ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 700 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen.

(2) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

3. Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien unterlaufen.

3.1. §10 Abs1 Z6 StbG legt als Verleihungsvoraussetzung fest, dass der Fremde nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bieten muss, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für diese Prognoseentscheidung gemäß §10 Abs1 Z6 StbG maßgebend, ob das Gesamtverhalten des Staatsbürgerschaftswerbers, insbesondere von ihm begangene Rechtsbrüche, den Schluss rechtfertigt, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art8 Abs2 EMRK genannte Rechtsgüter erlassene Vorschriften missachten (VwGH 22.8.2006, 2005/01/0026; 21.11.2013, 2012/01/0096; 13.2.2020, Fe 2019/01/0001, mwN). Bei dieser Beurteilung der Einstellung des Betreffenden ist die Art, Schwere und Häufigkeit der Verstöße zu berücksichtigen (VwGH 21.11.2013, 2012/01/0096).

Eine negative Gefährdungsprognose muss sich daher auf gewichtige Umstände, die eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr durch den Staatsbürgerschaftswerber begründen können, stützen. Maßgebend ist, ob es sich – nach Art, Schwere und Häufigkeit – um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Staatsbürgerschaftswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften missachten (vgl VfSlg 20.563/2022 sowie VwGH 4.4.2001, 99/01/0369; 8.3.2005, 2004/01/0421; 28.1.2019, Ro 2018/01/0018; 28.2.2019, Ra 2018/01/0095).

So vermag nicht jede Übertretung der zum Schutz der Verkehrsteilnehmer ergangenen Regelungen der StVO bzw des KFG für sich genommen eine negative Gefährdungsprognose gemäß §10 Abs1 Z6 StbG zu begründen (vgl dazu hinsichtlich des auf §10 Abs1 Z6 StbG gestützten Widerrufes der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft schon VfSlg 20.322/2019, 20.563/2022; vgl auch VwGH 4.4.2001, 99/01/0369; 8.3.2005, 2004/01/0421; 25.2.2022, Ra 2018/01/0159;). Es kommt vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung an, die die Bedeutung der in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen im Hinblick auf den Schutzzweck des §10 Abs1 Z6 StbG in den Blick nehmen muss (VfSlg 20.563/2022; VwGH 25.2.2022, Ra 2018/01/0159).

3.2. Die Verwaltungsübertretungen, auf die das Verwaltungsgericht Wien seine negative Prognoseentscheidung gemäß §10 Abs1 Z6 StbG stützt, sind angesichts der jeweils geringen Strafhöhe als minderschwer zu bewerten (vgl VwGH 4.4.2001, 99/01/0369). Sie betreffen ein Fehlverhalten, das, ungeachtet dessen, dass es nicht vorkommen sollte, nicht als untypisch angesehen werden kann. Dieses Fehlverhalten hat der Beschwerdeführer in einem kurzen Zeitraum zweimal gesetzt und vorher und, insbesondere, nachher nicht wiederholt. Das Verwaltungsgericht Wien geht in seiner Entscheidung selbst davon aus, dass der Beschwerdeführer sich mit seinem Fehlverhalten auseinandergesetzt und sein Verhalten als Fahrradfahrer angepasst hat sowie seine Wortwahl gegenüber den Exekutivbeamten glaubhaft bereut.

Es kann auch einem die durch §10 Abs1 Z6 StbG geschützten Grundinteressen der Gesellschaft achtenden und respektierenden Mitglied dieser Gesellschaft unterlaufen, da oder dort eine Ordnungswidrigkeit zu begehen (vgl VfSlg 20.563/2022). Würde §10 Abs1 Z6 StbG davon ausgehen, dass so gut wie jede Verwaltungsübertretung eine positive Prognoseentscheidung ausschließt bzw eine solche nur bei einem langen (das Verwaltungsgericht Wien erachtet neun bis zehn Monate jedenfalls als zu kurz), über die als Voraussetzung für die Verleihung ohnedies geforderte Aufenthaltsdauer hinausgehenden Beobachtungszeitraum ermöglicht, würde diese Bestimmung über die gesetzlich geforderte Aufenthaltsdauer des Staatsbürgerschaftswerbers im Bundesgebiet hinweg an ihn Verhaltensanforderungen stellen, die mit der erklärten Zielsetzung der Bestimmung, jenen Menschen die Staatsbürgerschaft zu verwehren, von denen eine erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr ausgehen kann, nicht vereinbar sind. Ungeachtet der Eigenständigkeit der Verleihungsvoraussetzung des §10 Abs1 Z6 StbG (vgl VwGH 19.5.2021, Ra 2021/01/0058; 2.9.2020, Ra 2020/01/0323) wären bei einem solchen Verständnis dieser Bestimmung auch die Verleihungshindernisse des §10 Abs2 Z1 und 2 StbG überflüssig.

3.3. Vor diesem Hintergrund unterstellt das Verwaltungsgericht Wien §10 Abs1 Z6 StbG einen sachlich nicht zu rechtfertigenden und damit gleichheitswidrigen Inhalt, wenn es sich allein durch das Vorliegen der konkret dem Beschwerdeführer anzulastenden Verwaltungsübertretungen, ungeachtet des Umstandes, dass der Beschwerdeführer über seine (lange) Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet hinweg ansonsten in jeder Hinsicht unbescholten ist (vgl VwGH 18.4.2002, 2001/01/0120), sowie angesichts des vom Verwaltungsgericht Wien selbst festgestellten reumütigen Verhaltens des Beschwerdeführers dennoch durch §10 Abs1 Z6 StbG zu einer negativen Prognoseentscheidung bestimmt sieht.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Antragsteller Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §35 Abs1 VfGG iVm §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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