JudikaturVfGH

G19/2024 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2024

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

I. Anträge

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B VG, begehren die Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge

"§50 Abs11 Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (ORF G) zur Gänze"

als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

§50 Abs11 Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (ORF Gesetz, ORF G), BGBl 379/1984 (WV), idF BGBl I 112/2023, in Kraft getreten am 9. September 2023, lautet wie folgt:

"Übergangsbestimmungen

[…]

(11) Bei Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Österreichischen Rundfunk stehen, dessen vertraglich vereinbarter Beginn vor dem 1. Jänner 2004 liegt, gebühren ab 1. Jänner 2024 Ansprüche auf eine Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage, unabhängig davon, ob diese auf Einzelvereinbarungen oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung beruhen, in der Höhe von 50 vH jenes Betrages, der in dem der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 112/2023 vorangehenden Kalendermonat gebührt. Ab 1. Jänner 2026 entfallen derartige Ansprüche zur Gänze. Durch den Wegfall oder die Beschränkung der Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage darf sich das monatliche Gesamtentgelt, wie es ohne Wegfall oder Beschränkung der Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage zustehen würde, jedoch nicht um mehr als 10 vH reduzieren. Bestimmungen in Einzelvereinbarungen oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, die von den Anordnungen in diesem Absatz abweichende Sonderregelungen für Ansprüche auf eine Wohnungs , Familien- oder Kinderzulage vorsehen, sind unwirksam.

[…]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin in dem vor dem Verfassungsgerichtshof zur Zahl G19/2024 protokollierten Verfahren legt die Zulässigkeit ihres Antrages wie folgt dar:

"I. Zulässigkeit des Antrags

A. Sachverhalt

1. Die Antragstellerin ist seit 01.08.1991 beim Österreichischen Rundfunk angestellt. Ihr derzeitiges Grundgehalt beträgt € 4.556,96 brutto monatlich.

2. Auf ihr Dienstverhältnis ist seit 1.3.2004 der KV 96 Beilage B anwendbar. Sie ist in VG 10 Stufe 17 eingestuft.

3. Sie erhielt im Jahr 2023 eine Wohnungszulage in Höhe von € 101,66 brutto sowie eine Kinderzulage in Höhe von € 196,78 brutto, beides jeweils monatlich.

4. Seit 01.01.2024 erhält die Antragstellerin nur noch die Hälfte dieser Zulagen, nämlich eine Wohnungszulage in Höhe von € 50,83 brutto sowie eine Kinderzulage in Höhe von € 98,39 brutto, beides jeweils monatlich.

5. Ab 01.01.2026 entfällt der Bezug dieser Zulagen zur Gänze.

B. Antragslegitimation

1. Gem Art140 Abs1 Z1 litc B VG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

[…]

2. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, weil die Vorschrift des §50 Abs11 ORF G unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragstellerin eingreift: Der Antragstellerin gebühren seit 1.1.2024 nur mehr 50 % der Wohnungs- wie auch der Kinderzulage, die in dem der Kundmachung des ORF G BGBl I Nr 112/2023 vorangehenden Kalendermonats gebührt haben. Ab 1.1.2026 entfallen beide Zulagen zur Gänze. Die in der bekämpften Gesetzesstelle vorgesehene Rechtsfolge ist zum erwähnten Zeitpunkt eingetreten.

3. Die Antragstellerin wird durch die Verfassungswidrigkeit des §50 Abs11 ORF G unmittelbar (ohne Erlassung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung) in ihren Rechten verletzt, und zwar in ihrem subjektiven Recht auf Eigentumsschutz wie auch auf Gleichbehandlung gemäß dem Gleichheitsgrundsatz.

4. Der VfGH sprach bereits aus, dass, sofern der einzige Zweck des Feststellungsbescheides darin besteht, damit ein Mittel zu gewinnen, um die gegen ein Gesetz bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken an den VfGH heranzutragen, ein solcher Feststellungsbescheid seit Einführung des Individualantrages (anders als zuvor, vgl zB VfSlg 6392/1971) eben kein für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendiges Mittel mehr ist (vgl Erk. des VfGH vom 20.3.1986 V40/84, V18/86, S 9, das zum selben Ergebnis kommt, VfSlg 11.402). Dies muss auch für den Zivilrechtsweg gelten.

5. Ein anderer zumutbarer Weg als jener des Individualantrages, um die behauptete Verfassungswidrigkeit an den VfGH heranzutragen, besteht in diesem Fall nicht. Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung ist es im Fall der Antragstellerin nicht geboten, die (arbeits )gerichtliche Feststellung der konkreten Rechtsfolge des §50 Abs11 ORF G – nämlich die Kürzung der ihr bislang zustehenden Zulagen – zu begehren, da sich diese ohnehin direkt aus dem Gesetz selbst auf eine jeden Zweifel ausschließende Weise ergibt.

[…]"

2. Die Antragsteller in den vor dem Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G20/2024, G21/2024 und G35/2024 anhängigen Verfahren sind – wie auch die Antragstellerin im Verfahren zur Zahl G19/2024 – Angestellte beim Österreichischen Rundfunk, deren Arbeitsverhältnis vor dem 1. Jänner 2024 begonnen hat. Die Antragsteller in den Verfahren zu den Zahlen G20/2024, G21/2024 und G35/2024 erstatten im Hinblick auf die Zulässigkeit ihres Antrages im Wesentlichen ein gleichlautendes Vorbringen wie die Antragstellerin im Verfahren zu G19/2024.

3. Die Bundesregierung erstattete zu den Anträgen G19 21/2024 eine Äußerung, auf die sie im Verfahren zu G35/2024 verwies. Die Bundesregierung bestreitet die Zulässigkeit der Anträge wie folgt:

"3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 112/2023 wurde die Finanzierung des Österreichischen Rundfunks umgestellt. Statt eines Programmentgeltes ist nun ein ORF-Beitrag zu entrichten (§31 ORF G). Dieser dient der Finanzierung der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages (Abs1 leg cit). Die Höhe des ORF-Beitrags ist so festzulegen, dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann. Dabei ist auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Bedacht zu nehmen (Abs2 leg cit). In den Jahren 2024 bis 2026 darf grundsätzlich die Gesamtsumme der dem Österreichischen Rundfunk (ORF) zur Verfügung stehenden Mittel aus ORF-Beiträgen den Betrag von 710 Mio. Euro und die Höhe des ORF-Beitrags den Betrag von monatlich 15,3 Euro nicht übersteigen (Abs19 leg cit). Mit dieser gesetzlichen Festlegung ist bereits bei Inkrafttreten BGBl I Nr 112/2023 klar, wieviel Beitragszahlerinnen und zahler genau leisten ( Kassai/Kogler , Die ORF Gesetz-Novelle 2023, medien und recht 2023, 235 [244]). Damit ist die Gesamtsumme der für den Österreichischen Rundfunk zur Abdeckung der Nettokosten eingehobenen ORF-Beiträge an sich gedeckelt. Die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags wurden primär in Anwendung der Anforderungen des Nettokostenprinzips im Sinne der 'Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk' ermittelt (vgl näher ErläutRV 2082 BlgNR 27. GP, 19 ff).

Übersteigen die Einnahmen aus den ORF-Beiträgen in den Jahren 2024 bis 2026 den vorgegebenen Betrag, so sind diese Mittel der Widmungsrücklage zuzuführen (Abs20 leg cit). Gehen die Einnahmen über den Betrag von 710 Mio. Euro hinaus und ist selbst unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung eine Steigerung der Nettokosten über den Betrag von 710 Mio. Euro unvermeidlich, da unerwartete gesamtwirtschaftliche Entwicklungen vorliegen, ist der übersteigende Betrag zunächst für diese Kostensteigerung heranzuziehen (Abs21 leg cit). Ist zu erwarten, dass die Einnahmen aus dem ORF-Beitrag nicht ausreichen, um die voraussichtlichen Nettokosten abzudecken, so ist durch den Generaldirektor ein entsprechendes Prüfungsverfahren einzuleiten. In diesem Zusammenhang ist auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, insbesondere durch Preis- oder Kostensteigerungen unter Zugrundelegung der erforderlichen sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung, Rücksicht zu nehmen (vgl Abs22 leg cit). Somit wird eine 'möglichst weitgehende Festlegung der Einnahmen und Kosten des ORF für die Jahre 2024 bis 2026 [erreicht], nicht ohne gleichzeitig Flexibilität für unvorhergesehene Umstände einzuräumen' ( Kassai/Kogler , aaO., 244).

Die neue Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erforderte Einsparungen (ErläutRV 2082 BlgNR 27. GP, 22). Diese Einsparungen betreffen auch den Personalaufwand. Aus diesem Grund sieht das Bundesgesetz BGBl I Nr 112/2023 – ua flankierend zu den sonstigen Maßnahmen nach §31 Abs12 ORF G – wesentliche Änderungen der arbeitsrechtlichen Bestimmungen im ORF Gesetz vor. Diese Maßnahmen setzten an unterschiedlichen Stellen an: Zunächst erhöhte sich der Pensionssicherungsbeitrag, wodurch sich die Betriebspension, die auf direkten Leistungszusagen beruht, kürzt (§50 Abs8 ORF G). Außerdem ist der Anspruch auf Abfertigung begrenzt, außer dieser wurde gemäß §47 Abs1 des Betrieblichen Mitarbeiter und Selbständigenvorsorgegesetzes in eine Betriebliche Vorsorgekasse übertragen. Diese Begrenzung erfolgt gestaffelt (§50 Abs10 ORF G). Schlussendlich betreffen die Maßnahmen auch die Wohnungs , Familien- und Kinderzulage von Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Österreichischen Rundfunk stehen, sofern deren vertraglich vereinbarter Beginn vor dem 1. Jänner 2004 liegt. Ab 1. Jänner 2024 gebühren diese Zulagen in Höhe von 50 % und ab 1. Jänner 2026 entfallen diese Ansprüche zur Gänze. Dabei macht es keinen Unterschied, ob derartige Ansprüche auf Einzelvereinbarungen oder Normen kollektiver Rechtsgestaltung beruhen. Durch die Beschränkung bzw den gänzlichen Wegfall der Zulagen darf sich aber das monatliche Gesamtentgelt – wie es ohne diese Kürzungen zustehen würde – nicht um mehr als 10 % verringern (§50 Abs11 ORF G).

II. Zum Sachverhalt und zur Zulässigkeit:

Zum Sachverhalt:

Bei den Antragstellerinnen handelt es sich um drei Angestellte des Österreichischen Rundfunks. Sie sind alle bereits seit den 1990er Jahren für den Österreichischen Rundfunk tätig. Die Antragstellerinnen beziehen (in unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlicher Höhe) Wohnungs , Familien- bzw Kinderzulagen. Gemäß §50 Abs11 ORF G gebühren diese Zulagen ab 1. Jänner 2024 nur noch in der Höhe von 50 vH und ab 1. Jänner 2026 entfallen derartige Ansprüche zur Gänze, sofern sich damit das monatliche Gesamtentgelt – wie es ohne diese Kürzungen zustehen würde – nicht um mehr als 10 % verringert. Die Antragstellerinnen bringen vor, dass §50 Abs11 ORF G gegen den Gleichheitsgrundsatz, die Eigentums- und Koalitionsfreiheit verstoße. Zunächst liege kein öffentliches Interesse für einen derartigen Eingriff vor. Selbst wenn ein solches angenommen werden würde, wäre der Eingriff weder geeignet dieses Ziel zu erreichen noch erforderlich oder adäquat. Vor allem wirke sich die Maßnahme ungleich auf die Betroffenen aus. Mit dem vorliegenden Individualantrag begehren die Antragstellerinnen demnach die Aufhebung der Kürzung bzw Streichung der Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage.

Zur Zulässigkeit:

1. Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG über die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes auf Antrag einer Person, die durch diese Verfassungswidrigkeit unmittelbar in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das angefochtene Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass der Antragstellerin kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteter Weise – rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 18.891/2003). Auf die Erfolgsaussichten in diesem vom Antragsteller angestrengten gerichtlichen Verfahren kommt es für die Frage der Zulässigkeit des Individualantrages nicht an (zB VfSlg 17.359/2004; zuletzt VfGH 15.6.2015, G182/2014 ua mwN).

Ein solcher zumutbarer Umweg steht den Antragstellerinnen nach Auffassung der Bundesregierung aber offen: Gemäß §50 Abs1 Z1 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes (ASGG), BGBl Nr 104/1985, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 161/2023, handelt es sich bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis um Arbeitsrechtssachen. Ein solcher Zusammenhang ist umfassend zu verstehen (mit zahlreichen Beispielen Neumayr , §50 ASGG, in: Neumayr/Reissner [Hrsg.], ZellKomm zum Arbeitsrecht, Stand 1.1.2018, rdb.at, Rz. 10 ff). Darunter fallen auch Streitigkeiten über die Geltendmachung von Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulagen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis im Sinne des §1151 ABGB. Zur Entscheidung über Arbeitsrechtssachen sind gemäß §2 Abs1 ASGG die ordentlichen Gerichte berufen (vgl etwa OGH 5. Februar 1985, 4 Ob 131/83). Die Antragstellerinnen haben sich daher zunächst an das zuständige ordentliche Gericht zu wenden (vgl VfSlg 16.664/2002), um ihr Begehren auf Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage geltend zu machen. Als Parteien einer vor einem ordentlichen Gericht in erster Instanz anhängigen oder von diesem entschiedenen Rechtssache hätten die Antragstellerinnen jedenfalls die Möglichkeit, durch Anregung einer amtswegigen Antragstellung bzw mittels Parteiantrages (Art140 Abs1 Z1 litd B VG) ihre Bedenken gegen §50 Abs11 ORF G an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl etwa VfGH 11. Dezember 2020, V532/2020). Dies entspricht auch dem Charakter des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes (vgl VfGH 11. März 2015, G194/2014 ua). Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen ergibt sich die Kürzung auch nicht 'auf eine jeden Zweifel ausschließende Weise' (Punkt I.B.5 im Individualantrag) direkt aus dem Gesetz. Es können sich etwa Fragen zum vertraglich vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses stellen oder ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Darüber hinaus ist – entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen – auf die (jüngere) Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach selbst die Möglichkeit von Feststellungsverfahren einen zumutbaren Weg der Rechtsverfolgung darstellt (vgl etwa VfSlg 19.233/2010; aus der Literatur Schäffer/Kneihs , Art140 B VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 29. Lg. 2022, Rz. 57; Holzinger/Hiesel , Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts I 4 [2015] Art140 B VG, E285).

2. Zudem ist es zur Zulässigkeit eines Individualantrages erforderlich, dass das Gesetz selbst in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen aktuell eingreift (VfSlg 17.652/2005 mwN). Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen der Antragstellerinnen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt. Die Bundesregierung verkennt nicht, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein zu weiter Anfechtungsumfang einen Antrag nicht per se unzulässig macht. Vielmehr führt eine zu weite Fassung des Antrags, ist dieser in der Sache begründet, allenfalls zu seiner teilweisen Abweisung (vgl VfSlg 19.746/2013, 19.942/2014). Da jedoch §50 Abs11 zweiter Satz ORF G, welcher gerade den gänzlichen Entfall der Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage normiert, erst mit 1. Jänner 2026 wirksam wird, liegt nach Ansicht der Bundesregierung die zur Antragslegitimation erforderliche aktuelle Betroffenheit der Antragstellerinnen in Bezug auf §50 Abs11 zweiter Satz ORF G nicht vor (vgl VfSlg 12.765/1991, 16.661/2002, 17.652/2015). Die aktuelle Betroffenheit ist zudem vor dem Hintergrund in Zweifel zu ziehen, als es denkbar ist, dass die Antragstellerinnen von §50 Abs11 zweiter Satz ORF G nie betroffen sein werden, da ihr Dienstverhältnis zum ORF vor dem 1. Jänner 2026 endet, oder sie in Pension treten bzw Ruhegenuss erhalten. Ob letzteres tatsächlich der Fall ist, ist aus den Anträgen nicht abzuleiten.

3. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

[…]"

IV. Zur Zulässigkeit

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung des §187 und §404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten kommt aber die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Es ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes grundsätzlich zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten, im gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen und die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl sinngemäß zB VfSlg 8979/1980, 8890/1980, 9394/1982, 9695/1983, 9926/1984, 10.445/1985, 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 11.890/1988, 12.046/1989, 12.775/1991, 16.653/2002, 18.777/2009 zur Rechtslage vor der B VG-Novelle BGBl I 114/2013) oder aus Anlass der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Gerichtes in erster Instanz einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG zu stellen (zB VfGH 11.6.2018, G91/2018).

Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt (vgl VfGH 12.10.2016, G269/2016 ua). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (zB VfSlg 8312/1978, 19.674/2012; vgl auch VfGH 19.2.2016, V150/2015 ua; 12.10.2016, G269/2016 ua).

3. Die Antragsteller bringen zur Zulässigkeit der jeweiligen Anträge vor, die in §50 Abs11 ORF G vorgesehene Kürzung (ab dem 1. Jänner 2024) bzw der gänzliche Entfall (ab dem 1. Jänner 2026) der jeweils gebührenden Wohnungs , Familien- bzw Kinderzulage folge ohne Erlassung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung unmittelbar aus der angefochtenen Bestimmung und greife unter anderem in das Eigentumsgrundrecht und das Recht der Antragsteller auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz unmittelbar ein.

Ein zumutbarer anderer Weg als ein Individualantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG, um die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §50 Abs11 ORF G an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, stehe den Antragstellern nicht offen. Ein allfälliges Feststellungbegehren im Zivilrechtsweg sei kein zumutbarer Weg, weil einziger Zweck eines solchen Feststellungsbegehrens die Gewinnung eines Mittels zur Anfechtung des §50 Abs11 ORF G vor dem Verfassungsgerichtshof sei. Die arbeitsgerichtliche Feststellung der konkreten Rechtsfolge des §50 Abs11 ORF G zu begehren, sei Fall nicht geboten, weil sich die Kürzung (bzw der Entfall) der Zulagen direkt aus dem Gesetz selbst "auf eine jeden Zweifel ausschließende Weise" ergebe.

4. Entgegen der Auffassung der Antragsteller steht den Antragstellern ein zumutbarer (anderer) Weg zur Geltendmachung ihrer verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung zur Verfügung:

Den Antragstellern steht es im Hinblick auf den jeweils behaupteten Anspruch auf eine Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage in voller Höhe seit Inkrafttreten des §50 Abs11 ORF G idF BGBl I 112/2023 am 1. Jänner 2024 offen, beim Arbeits- und Sozialgericht eine Leistungsklage einzubringen. Im Hinblick auf den mit 1. Jänner 2026 gemäß §50 Abs11 ORF G eintretenden gänzlichen Entfall des jeweils behaupteten Anspruches der Antragsteller auf Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage steht es den Antragstellern offen, beim Arbeits- und Sozialgericht eine Feststellungsklage einzubringen. Im Zuge dieses Zivilverfahrens können die Antragsteller verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung des §50 Abs11 ORF G – durch Anregung eines Gerichtsantrages beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B VG oder durch Stellung eines Parteiantrages aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die in erster Instanz ergangene Entscheidung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG – an den Verfassungsgerichtshof herantragen.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Prozesskostenrisiko sowie die Verfahrensdauer diesen Weg im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch nicht unzumutbar machen (siehe insbesondere VfSlg 18.777/2009). Wollte man wegen des bloßen Prozessrisikos und damit allfällig verbundener Kostenfolgen oder wegen der mit gerichtlichen Verfahren im Regelfall verbundenen Zeitdauer grundsätzlich davon ausgehen, dass die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar sei, verlöre die in Art140 Abs1 Z1 litc B VG enthaltene Einschränkung "wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung [...] für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (vgl VfSlg 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 11.889/1988, 12.046/1989 ua). Angesichts der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Rechtsvorschriften – vom Standpunkt des Betroffenen aus – zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, kommt es dabei auch nicht auf die Erfolgschancen des Antragstellers im Gerichtsverfahren, sondern bloß darauf an, dass sich im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften über die ordentlichen Gerichte – durch Anregung eines Gerichtsantrages beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B VG oder durch Stellung eines Parteiantrages aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die in erster Instanz ergangene Entscheidung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG – an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (VfSlg 18.777/2009 unter Hinweis auf VfSlg 9170/1981, 9285/1981, 10.592/1985, 11.889/1988, 16.653/2002).

5. Bei diesem Ergebnis braucht nicht darauf eingegangen werden, ob die angefochtene Regelung des §50 Abs11 (zweiter Satz) ORF G im Hinblick auf den gänzlichen Entfall der Wohnungs , Familien- sowie Kinderzulage ab 1. Jänner 2026 die Rechtssphäre der Antragsteller aktuell berührt.

V. Ergebnis

1. Die Anträge sind daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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