E2553/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
Begründung
1. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der von den Antragstellern erhobenen Beschwerde gegen das im Kopf erwähnte Erkenntnis mit Beschluss vom 28. November 2023, E2553/2023-11, ab. Dieser Beschluss wurde ihrem Rechtsanwalt am 12. Dezember 2023 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) übermittelt, sodass er als am 13. Dezember 2023 zugestellt gilt.
2. Mit am 5. Februar 2024 via ERV eingebrachtem Schriftsatz begehren die Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines nachträglichen Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof und holen unter einem die versäumte Prozesshandlung nach.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages führen sie im Wesentlichen aus, dass die Versäumung der Frist auf einen Fehler der Kanzleileiterin ihres Rechtsanwaltes zurückzuführen sei. Diese habe am 13. Dezember 2023 versehentlich nicht die 14 tägige Frist für einen Abtretungsantrag, sondern die sechswöchige Frist für eine Revision in den Kalender eingetragen. Dies vor dem Hintergrund, dass in den zahlreichen Beschwerden in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren, die von der Kanzlei des Rechtsanwaltes der Antragsteller bearbeitet würden, regelmäßig bereits in der Beschwerde ein Antrag auf Abtretung derselben an den Verwaltungsgerichtshof gestellt werde. Die Kanzleileiterin habe aber übersehen, dass dies hier ausnahmsweise nicht geschehen sei und daher der Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes auch keine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof umfasst habe.
Die betreffende Mitarbeiterin sei seit 1994 in der Kanzlei des Rechtsanwaltes der Antragsteller beschäftigt. Sie sei eine verlässliche und erfahrene Kanzleikraft, die Kenntnis über Fristenläufe habe und bisher immer korrekte Fristeintragungen vorgenommen habe. Ihr sei noch nie ein derartiger Fehler unterlaufen. Die fehlerhafte Fristeintragung sei auf die große Arbeitsbelastung in der Kanzlei rund um den 13. Dezember 2023 zurückzuführen, die durch mehrere Umstände verursacht worden sei (frühzeitige Niederkunft der Kanzleipartnerin, urlaubs- und krankheitsbedingte Abwesenheiten einer Kanzleimitarbeiterin und einer Rechtsanwaltsanwärterin, mehrere auswärtige Gerichtstermine des Rechtsvertreters, Ausfall der Registrierkasse am 13. Dezember 2023).
Zudem sei der Rechtsanwalt der Antragsteller just am 13. Dezember 2023 am Weg in die Kanzlei in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen. Die übliche Postbesprechung, in der die Fristeintragungen der Kanzleileiterin vom Rechtsanwalt der Antragsteller nochmals kontrolliert würden, habe zwar stattgefunden, aber unter den erwähnten besonderen, nicht vorhersehbaren Bedingungen, weshalb ihm der besagte Fehler nicht aufgefallen sei. Die Fristversäumung sei somit auf ein unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis zurückzuführen und es liege beim Rechtsanwalt der Antragsteller nur ein minderer Grad des Versehens vor. Bemerkt habe er den Fehler erst am 23. Jänner 2024 beim Verfassen der für diesen Tag vorgemerkten Revision. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag legten die Antragsteller eidesstattliche Erklärungen ihres Rechtsanwaltes und seiner Kanzleileiterin sowie weitere Bescheinigungsmittel vor.
3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrages auf nachträgliche Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist begründet.
3.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 Abs1 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff ZPO sinngemäß anzuwenden.
3.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).
Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist. Auch auf Kanzleikräfte und Mitarbeiter des Bevollmächtigten findet die Verschuldensregelung des §146 ZPO Anwendung (vgl VfSlg 14.792/1997).
3.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §35 Abs1 VfGG iVm §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen (§35 Abs1 VfGG iVm §149 Abs1 ZPO).
3.2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung eines Antrages auf nachträgliche Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof fiel am 23. Jänner 2024 weg. Mit dem am 5. Februar 2024 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.
3.3. Nach dem glaubhaften Vorbringen der Antragsteller kann nicht angenommen werden, dass ihren Bevollmächtigten ein Verschulden trifft, das leichte Fahrlässigkeit übersteigt:
Dem Rechtsanwalt der Antragsteller wäre ein Verschulden seiner Kanzleimitarbeiterin nur dann anzulasten, wenn man ihm selbst Nachlässigkeit bei der Kontrolle, Überwachung oder Belehrung vorwerfen könnte (vgl VfSlg 18.473/2008). Der Verfassungsgerichtshof erachtet das – durch eidesstattliche Erklärungen bescheinigte – Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag für zutreffend, dass die Fristversäumung auf einem singulären und durch außergewöhnliche Umstände mitbedingten Versehen einer sonst zuverlässigen Kanzleimitarbeiterin beruhte. Dieses Fehlverhalten kann angesichts eines unvorhergesehenen Ereignisses (Verkehrsunfall) auch dem Rechtsanwalt der Antragsteller nicht angelastet werden.
3.4. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher zu bewilligen, was gemäß §35 Abs1 VfGG iVm §149 Abs2 ZPO ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.