JudikaturVfGH

G1238/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2024

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

In ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litc B VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge "§2 des Volksgruppengesetzes, BGBl Nr 396/1976 in der Fassung BGBl Nr 575/1976 und BGBl I Nr 194/1999, zuletzt geändert BGBl I Nr 84/2013, zur Gänze" als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

1. Das Bundesgesetz über die Rechtsstellung der Volksgruppen in Österreich (Volksgruppengesetz – VoGrG), BGBl 396/1976, idF BGBl I 84/2013 lautet auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"ABSCHNITT I

Allgemeine Bestimmungen

§1. (1) Die Volksgruppen in Österreich und ihre Angehörigen genießen den Schutz der Gesetze; die Erhaltung der Volksgruppen und die Sicherung ihres Bestandes sind gewährleistet. Ihre Sprache und ihr Volkstum sind zu achten.

(2) Volksgruppen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum.

(3) Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei. Keinem Volksgruppenangehörigen darf durch die Ausübung oder Nichtausübung der ihm als solchem zustehenden Rechte ein Nachteil erwachsen. Keine Person ist verpflichtet, ihre Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe nachzuweisen.

§2. Die Volksgruppen, für die ein Volksgruppenbeirat eingerichtet wird, sowie die Zahl der ihm angehörenden Mitglieder sind durch Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates nach Anhörung der in Betracht kommenden Landesregierung festzulegen. "

2. Die Verordnung der Bundesregierung vom 18. Jänner 1977 über die Volksgruppenbeiräte (im Folgenden: Volksgruppenbeiräteverordnung), BGBl 38/1977, idF BGBl 895/1993 lautet wie folgt:

"

§1. Für die kroatische Volksgruppe, die slowenische Volksgruppe, die ungarische Volksgruppe, die tschechische Volksgruppe, die slowakische Volksgruppe und die Volksgruppe der Roma werden Volksgruppenbeiräte eingerichtet.

§2. Der Volksgruppenbeirat für die kroatische Volksgruppe besteht aus 24 Mitgliedern. Hievon sind zwölf Mitglieder auf Grund von Vorschlägen der im §4 Abs2 Z2 des Volksgruppengesetzes genannten Vereinigungen zu bestellen.

§3. Der Volksgruppenbeirat für die slowenische Volksgruppe besteht aus 16 Mitgliedern. Hievon sind acht Mitglieder auf Grund von Vorschlägen der im §4 Abs2 Z2 des Volksgruppengesetzes genannten Vereinigungen zu bestellen.

§4. Der Volksgruppenbeirat für die ungarische Volksgruppe besteht aus 16 Mitgliedern. Hievon sind acht Mitglieder auf Grund von Vorschlägen der im §4 Abs2 Z2 des Volksgruppengesetzes genannten Vereinigungen zu bestellen.

§5. Der Volksgruppenbeirat für die tschechische Volksgruppe besteht aus zehn Mitgliedern. Hievon sind fünf Mitglieder auf Grund von Vorschlägen der im §4 Abs2 Z2 des Volksgruppengesetzes genannten Vereinigungen zu bestellen.

§6. Der Volksgruppenbeirat für die slowakische Volksgruppe besteht aus sechs Mitgliedern. Hievon sind drei Mitglieder auf Grund von Vorschlägen der im §4 Abs2 Z2 des Volksgruppengesetzes genannten Vereinigungen zu bestellen.

§7. Der Volksgruppenbeirat für die Volksgruppe der Roma besteht aus acht Mitgliedern. Hievon sind vier Mitglieder auf Grund von Vorschlägen der im §4 Abs2 Z2 des Volksgruppengesetzes genannten Vereinigungen zu bestellen.

§8. Diese Verordnung tritt mit 1. Feber 1977 in Kraft."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragsteller sind Mitglieder in Vereinigungen österreichischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger bosnischer Herkunft in Österreich und betrachten sich als Angehörige der bosnischen Volksgruppe in Österreich. Die Zulässigkeit ihres Antrages begründen die Antragsteller im Wesentlichen damit, dass die Nichtanerkennung einer Volksgruppe, welche alle Merkmale erfülle, Art8 Abs2 B VG verletze und die Antragsteller durch die Nichtanerkennung der bosnischen Volksgruppe daher in ihren individuellen Rechten als Volksgruppenangehörige verletzt seien. Für die Anerkennung als Volksgruppe sei kein entsprechendes Verfahren vorgesehen, weshalb auch kein anderer Rechtsweg zur Verfügung stehe. Der Rechtseingriff sei daher auch ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Bescheiderlassung wirksam geworden. Der Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller erfolge nicht nur potenziell, sondern tagtäglich aktuell. Die bosnische Volksgruppe in Österreich werde als solche nicht wahrgenommen bzw nicht akzeptiert, sondern lediglich als eine der vielen Communities von österreichischen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund behandelt, ohne dass ihr als autochthoner Gruppe, die in Teilen des österreichischen Bundesgebietes wohnhaft und beheimatet sei, der Schutz des VoGrG zukomme.

2. Die Bundesregierung hat keine Äußerung erstattet.

IV. Erwägungen

1. Der Antrag ist nicht zulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc B VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

3. Nach §1 Abs1 VoGrG genießen die Volksgruppen und ihre Angehörigen in Österreich den Schutz der Gesetze; die Erhaltung der Volksgruppen und die Sicherung ihres Bestandes sind gewährleistet. Ihre Sprache und ihr Volkstum sind zu achten. Volksgruppen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind gemäß §1 Abs2 VoGrG die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum. Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei (s zum Bekenntnisprinzip als "Grundgedanke des Minderheitenrechts" VfSlg 11.585/1987).

4. Gemäß §2 VoGrG sind die Volksgruppen, für die ein Volksgruppenbeirat eingerichtet wird, sowie die Zahl der ihm angehörenden Mitglieder durch Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates nach Anhörung der in Betracht kommenden Landesregierung festzulegen. Eine "Anerkennung" von Volksgruppen sieht das VoGrG nicht vor, sondern nur, dass für zu bestimmende Volksgruppen mittels Verordnung der Bundesregierung ein Volksgruppenbeirat eingerichtet wird. Dadurch wird allerdings eine implizite "Anerkennung" als Volksgruppe zum Ausdruck gebracht (vgl Kolonovits , Rechte der Minderheiten, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte VII/1 2 , 2014, Rz 2; Kolonovits , Sprachenrecht in Österreich, 1999, 67). Durch die Volksgruppenbeiräteverordnung wurden für die kroatische Volksgruppe, die slowenische Volksgruppe, die ungarische Volksgruppe, die tschechische Volksgruppe, die slowakische Volksgruppe und die Volksgruppe der Roma Volksgruppenbeiräte eingerichtet.

5. Die Bedenken der Antragsteller richten sich der Sache nach gegen die Nichtanerkennung der bosnischen Volksgruppe in der Volksgruppenbeiräteverordnung.

6. Die Anfechtung einer Verordnungsermächtigung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unzulässig, weil durch eine derartige Verordnungsermächtigung die Rechtsstellung eines Einzelnen nicht unmittelbar beeinträchtigt werden kann. Eine Verordnungsermächtigung wird erst über die Erlassung der Verordnung für die Einzelnen wirksam (vgl VfSlg 11.730/1988, 13.318/1992, 15.316/1998 sowie zuletzt zB VfGH 13.12.2019, G67/2019 ua; 22.9.2021, G187/2021 ua; 16.6.2023, G85/2021 ua jeweils mwN).

7. Dies gilt auch für die Verordnungsermächtigung gemäß §2 VoGrG, welche die von den Antragstellern behauptete Wirkung nur in Verbindung mit einer auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnung entfaltet. Vor dem Hintergrund ihrer Bedenken hätten die Antragsteller daher jedenfalls die Volksgruppenbeiräteverordnung anzufechten gehabt.

8. Da die Antragsteller die Volksgruppenbeiräteverordnung nicht angefochten haben, erweist sich der Antrag schon aus diesem Grund als unzulässig. Im Hinblick darauf erübrigt sich die Prüfung in Bezug auf das Vorliegen der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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