E2226/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein am 25. Jänner 1994 geborener syrischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten angehört. Er wurde in der Stadt Idlib geboren und lebte dort – mit zwischenzeitlichen Aufenthalten im Gouvernement Latakia und im Libanon – bis zu seiner Ausreise im Jahr 2021. Er stellte am 9. Dezember 2021 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Syrien für den Militärreservedienst rekrutiert und gezwungen werde, gegen andere Syrer zu kämpfen. Er wolle jedoch nicht kämpfen. Überdies fürchte er auch Probleme auf Grund der Teilnahme an Demonstrationen.
2. Mit Bescheid vom 23. April 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
3. In der ausschließlich gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, dass ihm Verfolgung auf Grund der Teilnahme an Demonstrationen und der unterstellten politischen Gesinnung gegen die Regierung sowie eine mögliche Zwangsrekrutierung bzw Bestrafung auf Grund seiner Weigerung, einem Einberufungsbefehl zu folgen, drohe.
4. Die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 3. Juli 2023 als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Stadt Idlib weiterhin in der Hand der HTS (Hay'at Tahrir ash Sham) sei. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sei nur zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsgebiet drohe. Es komme nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf Feststellungen zur Sicherheitslage, Rückkehrsituation und Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Beschwerdeführers für die Klärung des Sachverhalts im Hinblick auf den Asylstatus an (VwGH 27.5.2015, Ra 2015/18/0041). Das zu prüfende Herkunftsgebiet sei die Stadt Idlib. Im Herkunftsgebiet drohe dem Beschwerdeführer keine Verfolgung. Zweifelsohne müsse dieser Verfolgung durch die Regierung befürchten, weil er in Syrien an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen und sich dem Wehrdienst entzogen habe. Allerdings könne das Regime bzw dessen Sicherheitsbehörden in Idlib nicht auf den Beschwerdeführer greifen. Diese seien daher keine relevanten Verfolger. In der Beschwerde werde (implizit) behauptet, dem Beschwerdeführer drohe Zwangsrekrutierung durch die in Idlib herrschende HTS. Dem würden aber die Länderfeststellungen widersprechen, denen der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten sei.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) und darauf, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden (Art3 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber – wie auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner rechtlichen Begründung aus, dass der Beschwerdeführer zweifelsohne Verfolgung durch die Regierung befürchten müsse, weil er in Syrien an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen und sich dem Wehrdienst entzogen habe. Vor diesem Hintergrund begründet es die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten damit, dass die Sicherheitsbehörden des Regimes in Idlib nicht auf den Beschwerdeführer greifen könnten. Diese seien daher keine relevanten Verfolger.
3.2. Diese Rechtsauffassung begründet das Bundesverwaltungsgericht mit einem Verweis auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem eine Revision zurückgewiesen wurde (vgl VwGH 27.5.2015, Ra 2015/18/0041). Es komme nach dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf Feststellungen zur Sicherheitslage, Rückkehrsituation und Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Beschwerdeführers für die Klärung des Sachverhalts im Hinblick auf den Asylstatus an.
3.3. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, dass der Beschwerdeführer zweifelsohne Verfolgung durch die Regierung befürchten müsse, weil er in Syrien an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen und sich dem Wehrdienst entzogen habe, vermag der bloße Verweis auf den zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nicht hinreichend zu begründen, weshalb eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Herkunftsregion für den Beschwerdeführer ohne Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung erreichbar ist, gänzlich unterbleiben kann. Schließlich könnte sich die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Gefahr der Verfolgung des Beschwerdeführers auch auf dem Weg in seine Herkunftsregion realisieren. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer in seine Herkunftsregion gelangen kann, ohne dabei der festgestellten asylrelevanten Verfolgung durch den syrischen Staat ausgesetzt zu sein (vgl VfGH 29.6.2023, E3450/2022; 4.10.2023, E1085/2023).
3.4. Da das Bundesverwaltungsgericht allerdings nur prüft, ob dem Beschwerdeführer in der Stadt Idlib, mithin in seiner Herkunftsregion, Verfolgung droht, jedoch die Frage außer Acht lässt, ob dem Beschwerdeführer ein Weg in diese Region offensteht, auf dem er nicht Gefahr läuft, einer Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK ausgesetzt zu sein, belastet es sein Erkenntnis mit Willkür (vgl hinsichtlich der auf den Herkunftsstaat bezogenen Prüfung auch VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.