E1569/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein am 1. Mai 1989 geborener syrischer Staatsangehöriger und gibt an, der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten anzugehören. Er stamme aus dem Gouvernement Al Hasaka, wo er im Bezirk Alnashwa Al Gabia der Stadt Al Hasaka gelebt und sich für etwa sechs Monate im Dorf Al Nasri (ländliches Gebiet von Al Hasaka) bis kurz vor seiner Ausreise am 5. Oktober 2015 aufgehalten habe. Von 10. Oktober 2015 bis 5. März 2021 sei er in der Türkei aufhältig gewesen. Am 11. Mai 2021 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24. August 2021 im Wesentlichen an, dass er in Syrien auf Grund der Rekrutierung zum Militärreservedienst sowie der Teilnahme an Demonstrationen von den Behörden gesucht werde und gegen ihn Haftbefehle bestünden.
3. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
4. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2023 – mit Erkenntnis vom 3. April 2023 als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers die kurdischen Kräfte an der Macht seien. Die syrische Regierung verfüge über mehrere kleine Gebiete im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und Al Hasaka trügen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate"; in diesen befänden sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für Rekrutierungen. In den nur von den Kurden kontrollierten Gebieten, zu denen sowohl der Bezirk Alnashwa Al Gabia der Stadt Al Hasaka, als auch das Dorf Al Nasri gehören würden, sei das syrische Regime nicht in der Lage oder jedenfalls nicht gewillt, Rekrutierungen durchzusetzen. Selbiges gelte wohl auch für die Verfolgung von Personen, die das Regime als oppositionell ansehe, zumal es keine Berichte von Verfolgungen bzw Festnahmen von Personen mit dem Profil des Beschwerdeführers, einer regimefeindlichen Person, die aber nicht besonders exponiert sei, gebe. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung komme es hinsichtlich der Frage, ob der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei, nicht auf die Sicherheitslage, die Rückkehrsituation und/oder die Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Asylwerbers an (VwGH 27.5.2015, Ra 2015/18/0041). Daraus folge, dass hinsichtlich der Gewährung des Status des Asylberechtigten unter anderem die Anreise außer Bedacht zu bleiben habe und es nur darauf ankomme, ob Verfolgung im Herkunftsgebiet drohe. Im Herkunftsgebiet sei das syrische Regime nicht in der Lage, den Beschwerdeführer zu verfolgen und drohe dem Beschwerdeführer keine Verfolgung durch die kurdischen Kräfte. Die Beschwerde sei "— trotz der jedenfalls für die Teilnahme an Demonstration[en] in Syrien und Österreich drohende[n] Verfolgung durch das Regime, sollte der Beschwerdeführer für dieses greifbar sein — abzuweisen".
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Verwaltungsakt vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichtsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und den Antrag stellt, die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls für die Teilnahme an Demonstrationen in Syrien und Österreich Verfolgung durch das Regime drohe, sollte der Beschwerdeführer für dieses greifbar sein. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes sei das syrische Regime nicht in der Lage, den Beschwerdeführer im Herkunftsgebiet zu verfolgen und komme es hinsichtlich der Gewährung des Status des Asylberechtigten nur darauf an, ob dem Beschwerdeführer Verfolgung im Herkunftsgebiet drohe.
3.2. Diese Rechtsauffassung begründet das Bundesverwaltungsgericht mit einem Verweis auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem eine Revision zurückgewiesen wurde (vgl VwGH 27.5.2015, Ra 2015/18/0041). Nach dieser Entscheidung komme es "hinsichtlich der Frage, ob der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, nicht auf die Sicherheitslage, die Rückkehrsituation und/oder die Erreichbarkeit der Herkunftsregion […] an" und habe folglich die Anreise außer Bedacht zu bleiben.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls für die Teilnahme an Demonstrationen in Syrien und Österreich Verfolgung durch das Regime drohe, sollte der Beschwerdeführer für dieses greifbar sein, vermag der bloße Verweis auf den zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nicht hinreichend zu begründen, weshalb eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Herkunftsregion für den Beschwerdeführer ohne Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung erreichbar ist, gänzlich unterbleiben kann. Schließlich könnte sich die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Gefahr der Verfolgung des Beschwerdeführers auch auf dem Weg in seine Herkunftsregion realisieren. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer in seine Herkunftsregion gelangen kann, ohne dabei der festgestellten asylrelevanten Verfolgung durch den syrischen Staat ausgesetzt zu sein (vgl VfGH 29.6.2023, E3450/2022; 4.10.2023, E1085/2023; 26.2.2024, E2226/2023).
3.3. Da das Bundesverwaltungsgericht allerdings nur prüft, ob dem Beschwerdeführer im Bezirk Alnashwa Al Gabia der Stadt Al Hasaka und im Dorf Al Nasri, mithin in seiner Herkunftsregion, Verfolgung droht, jedoch die Frage außer Acht lässt, ob dem Beschwerdeführer ein Weg in diese Region offensteht, auf dem er nicht Gefahr läuft, einer Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK ausgesetzt zu sein, belastet es sein Erkenntnis mit Willkür (vgl hinsichtlich der auf den Herkunftsstaat bezogenen Prüfung auch VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.